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Nachricht vom 17.03.2021    

Menschen mit Behinderungen nicht schützenswert?

Den nachfolgenden Brief hat der Geschäftsführer der Gemeinnützigen Gesellschaft für Behindertenarbeit Hachenburg, Mario Habrecht, nach Bekanntwerden einer Pressemitteilung des Landes hinsichtlich der Entscheidung über das Aussetzen der Impfungen in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe verfasst.

Symbolfoto

Hachenburg. Der Offene Brief lautet wie folgt:
"Sehr geehrte Frau Staatsministerin Bätzing - Lichtenthäler,
mit Entsetzen habe ich die Pressemitteilung vom 16. März aufgenommen.

Sie haben entschieden, geplante Impfungen in Gemeinschaftseinrichtungen für Menschen mit zum Teil schwersten Beeinträchtigungen auszusetzen, während die Termine in den Impfzentren bestehen bleiben und die hier angemeldeten Personen nun einen anderen Impfstoff erhalten.

In der Vergangenheit waren Sie bereits mehrmals zu Gast in den Einrichtungen der Gemeinnützigen Gesellschaft für Behindertenarbeit und wissen daher, dass in unseren Wohn- und Tagesförderstätten Menschen mit schwersten geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen gepflegt, betreut und gefördert werden. Ihre Besuche wurden stets als positiv und wertschätzend empfunden. Diese Wertschätzung gegenüber des bei uns zu betreuenden Personenkreises spüren wir leider seit Beginn der Corona Pandemie nicht mehr.

Zu Beginn der Pandemie sind unsere in Betreuung und Pflege tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Verteilung der Schutzausrüstung völlig vergessen worden, danach wurden Einrichtungen der Eingliederungshilfe über Monate in den öffentlichen und politischen Diskussionen totgeschwiegen und in den Umsetzungsverordnungen erst im Spätsommer erwähnt.

Die in unseren Einrichtungen lebenden Menschen sind dem Virus schutzlos ausgeliefert, da sie aufgrund der komplexen Beeinträchtigungen nicht in der Lage sind, die AHA Regeln zu verstehen beziehungsweise einzuhalten. Zudem haben fast alle Bewohner/innen aufgrund ihrer Beeinträchtigung und Begleiterkrankungen ein erhöhtes Risiko für schwere und im schlimmsten Fall tödliche Verläufe. Wann wird dieser Personenkreis endlich geschützt?

Wieso setzt man in Einrichtungen der Eingliederungshilfe die Impfungen aus und impft in den Impfzentren weiter? Die Gefahr eines Infektionsclusters ist doch in einer solchen Gemeinschaftseinrichtung um ein Vielfaches höher als im häuslichen Umfeld!

Ich spreche aktuell mit vielen verzweifelten Angehörigen. Die dritte Welle rollt über uns hinweg und noch immer haben diese schützenswerten, bei uns lebenden Menschen noch nicht einmal einen Teilschutz durch eine Erstimpfung erhalten. Am 23. März hätten unsere Bewohner endlich die rettende Impfung durch ein mobiles Impfteam erhalten. Nun liegt der Westerwaldkreis mit der Inzidenz leider knapp unter 100 und wir erhalten daher keine Impfung. Dagegen werden zum Beispiel im benachbarten Kreis Altenkirchen Bewohner/innen und Mitarbeitende in Einrichtungen der Eingliederungshilfe geimpft, obwohl nur wenige Kilometer zwischen uns liegen – nur weil die Inzidenz dort etwas höher liegt als im Westerwaldkreis.
Ich bin fassungslos und finde es skandalös, dass die Impfungen nach einem derartigen Ungleichgewicht und auf Grundlage einer willkürlich festgelegten Zahl verteilt werden.



Der Vorbehalt gegenüber dem Impfstoff von AstraZeneca war bei vielen gesetzlichen Betreuern und Angehörigen bereits vorher groß, da etliche unsere Bewohner/innen auf Symptome wie Fieber häufig mit schweren zerebralen Krampfanfällen reagieren. Gespräche und Telefonate mit Angehörigen und Betreuern zeigen deutlich, dass das Vertrauen in diesen Impfstoff bei vielen nun gänzlich verloren gegangen ist. Sollte der Impfstoff wieder verwendet werden dürfen, so wird sich unsere sehr gute Impfbereitschaftsquote mehr als halbieren.

Seit unsere Bewohner/innen, die die Maßnahmen und Tragweite der Pandemie nur bedingt verstehen, erfahren haben, dass die geplante Impfung in unserer Einrichtung vermutlich ausfällt, wachsen Unsicherheit und Angst. Ihre Frage „Was wird denn jetzt mit uns?“ lässt dies deutlich erkennen. Nichts macht Menschen, die auf Fürsorge und Schutz angewiesen sind, mehr Angst als das Gefühl, nicht gesehen zu werden.

Bei allem Respekt - die gestern getroffene Entscheidung zum Nachteil des beschriebenen Personenkreises empfinde ich fast schon als diskriminierend. Warum schützt unser Land die Menschen in den Gemeinschaftseinrichtungen, die aufgrund ihrer Hilfe- und Pflegebedürftigkeit auf enge Kontakte angewiesen sind, nicht angemessen? Das ist nicht mehr vermittelbar. Es kann doch nicht sein, dass jeder, der in der Lage ist, ein Impfzentrum aufzusuchen und zum Beispiel alleine lebt, jetzt mit einem mRNA Impfstoff immunisiert wird und die Menschen in den Einrichtungen wieder einmal die Leidtragenden sind! Hier ist nach meinem Verständnis die Priorität in eine enorme Schräglage geraten.

Wann erkennen Sie und die Verantwortlichen in Rheinland-Pfalz, dass Menschen mit schweren körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen zum Personenkreis der schützenswerten Personen zählen?

Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen dies mitzuteilen. Zudem möchte ich gegenüber Angehörigen und gesetzlichen Betreuern glaubwürdig vermitteln können, dass wir als Träger mehrerer Einrichtungen seit Beginn der Pandemie alles daran setzen, unsere Bewohner/innen bestmöglich zu schützen und es darüber hinaus nicht versäumen, die Entscheidungsträger auf die Situation in den Einrichtungen aufmerksam zu machen.

Ich hoffe sehr, dass Rheinland-Pfalz endlich zu dem längst überfälligen, angemessenen Umgang mit beeinträchtigten Menschen in der Pandemie findet.

Wir stehen weiterhin und jederzeit für Gespräche und Erfahrungsaustausch zur Verfügung.

Die Geschäftsführung der Gemeinnützigen Gesellschaft für Behindertenarbeit, Hachenburg"



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