Der Spiegel der Gesellschaft
LESERMEINUNG | Alle Menschen sind der Pandemie und der daraus resultierenden Maßnahmen müde. Das Verhalten jedes Einzelnen hat auch Auswirkungen auf die Gesamtheit, daher hat die persönliche Freiheit Grenzen. Der nachstehende Leserbrief beleuchtet die Ambivalenz.
Der Brief im Wortlaut:
„Zurzeit wird der Begriff „Spiegel der Gesellschaft“ recht häufig verwendet, nach meiner Meinung berechtigterweise. Der Drang des Individuums nach seinen Grundrechten, nach seiner Selbstbestimmung und letztlich auch nach seinem privaten Vergnügen – ohne Rücksicht auf mögliche Auswirkungen auf das Gemeinwohl - wird an verschiedensten Stellen sichtbar: Bei denen, die unbedingt „mal raus müssen“ (zum Beispiel mit dem Flieger in den Urlaub) oder die offenbar auch abends nach 21 Uhr unbedingt noch unterwegs sein müssen et cetera. Alles gut und alles verständlich! Dass eine Ausgangssperre zwischen 21 Uhr und 5 Uhr sowieso nicht viel bringt und nur Alibimaßnahme ist: auch für diese Ansicht findet man begründete Argumente.
Unbestritten ist aber, dass die aktuellen Corona-Infektionen „irgendwoher“ kommen und es leider gar nicht so eindeutig ist, woher sie denn tatsächlich kommen. Deshalb: warum nimmt sich das Individuum mit seinen Grundrechten nicht für die nächsten - sagen wir mal vier Wochen - noch einmal etwas zurück, um etwas für das Gemeinwohl zu tun?!?! Unter Gemeinwohl verstehe ich an dieser Stelle: den Einzelhandel, die Gastronomie, die Tourismusbranche, den Messebau, die Kultur und daran anhängend die gesamte Veranstaltungsbranche und andere, um einige wichtige „leidende“ Branchen zu nennen; und zwar die Branchen selbst, aber besonders deren Mitarbeiter/innen, die entweder zurzeit in Kurzarbeit sind oder bereits arbeitslos sind, aber die allesamt um Ihre Jobs für die Zukunft bangen. Alle diese Menschen und nicht zuletzt die Ärzte und Pflegekräfte in den Intensivstationen tragen derzeit einen guten Teil der Grundrechte des Einzelnen und das Pochen darauf als Last auf Ihren Schultern.
Ein Teil der Gesellschaft leidet eben mehr und ein bestimmter Teil der Gesellschaft ignoriert dies zumindest teilweise. Somit stellt sich hier die Frage, warum zum Beispiel Joachim Streit, FWG-Landeschef in Rheinland-Pfalz und Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm eine mögliche Ausgangssperre per Klage verhindern möchte? Auch wenn er juristisch und sachlich noch so sehr richtig liegt, hat er erstens nicht bedacht, dass er damit Wasser auf die Mühlen derer gibt, die sich sowieso nicht an Regeln halten wollen und zweitens eine Ausgangssperre zwischen 21 Uhr und 5 Uhr über einen überschaubaren Zeitraum ein viel viel kleineres Opfer ist, als es die Menschen aus den oben genannten Branchen und dem Gesundheitswesen zurzeit bringen müssen.
Die FDP versteht es seit Beginn der Pandemie, unter dem Deckmäntelchen der Grundrechte um eigene Wählerstimmen zu buhlen. Beiden Parteien bin ich nicht abgeneigt, aber dieses Verhalten ist für mich sehr enttäuschend.
Um auf die - sagen wir mal vier Wochen „Brückenlockdown“ - wie auch immer dieser gestaltet wird - zurückzukommen: meine Meinung ist, dass diese Maßnahme in Verbindung mit einer parallel und danach deutlich besseren Impfquote dazu führen kann, dass die oben genannten notleidenden Branchen dann früher und nachhaltiger wieder zur Normalität zurückkehren können.
Zum Schluss noch ein banales Beispiel, um nochmals auf den Spiegel der Gesellschaft zurückzukommen: Leider gibt es einen bestimmten Prozentsatz an Mitmenschen, die sich auch nicht an die einfachsten Regeln halten können, wären sonst die Straßengräben neben unseren Autobahnen und Landstraßen so vermüllt wie sie es teilweise sind? Es gibt Regeln und es gibt aus meiner Sicht ausreichend Mülltonnen und trotzdem ist es so. Was sind die Gründe dafür? Ignoranz, Egoismus und noch ein ordentliches Paket Dummheit. Und diese Drei spielen in der Pandemie aktuell leider auch eine gewisse Rolle.
Ulrich Wilhelmi, 56412 Holler“
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