Corona-Müll gefährdet Wildtiere
Von Helmi Tischler-Venter
Die Wegwerfmentalität unserer Gesellschaft bedroht Wildtiere, denn Milliarden Kunststoffmasken und -handschuhe gelangen pandemiebedingt in die Umwelt. Die Folgen wurden nun erstmals untersucht.
Region. Bereits im Frühjahr 2020 warnten die ersten Naturforscher vor einer drohenden Umweltkatastrophe. Der Grund: Aus Gründen der Hygiene wurden plötzlich Unmengen von Masken und Einmal-Handschuhen hergestellt und weggeworfen.
Geo veröffentlichte eine Studie mit erschreckenden Ergebnissen. Schätzungen zufolge werden seit Beginn der Pandemie jeden Monat 129 Milliarden Gesichtsmasken und 65 Milliarden Einmal-Handschuhe verbraucht. Sofern sie nicht richtig entsorgt werden, landen sie in der Umwelt. Und können dort Tieren zum Verhängnis werden. Link.
Eine erste Überblicksstudie über die Folgen für die Tierwelt veröffentlichte jetzt ein niederländisches Forscherteam von der Universität Leiden. Demnach forderte die Pandemie-Plastikflut ein erstes Opfer spätestens im April 2020: Eine Wanderdrossel (Turdus migratorius) hatte sich in Kanada in den Schlaufen einer OP-Maske verheddert und war verendet.
Die Forscher warnen: Corona-Einwegartikel verschärfen ein Problem, das durch Kunststoffteile und Mikroplastik in der Umwelt ohnehin schon gravierend ist – auch in den Ozeanen. Meeresschützer der NGO Oceans Asia schätzen einem Report zufolge, dass allein im Jahr 2020 rund 1,56 Milliarden Schutzmasken in die Ozeane der Welt gelangt sein könnten. Doch Berichte über tote oder verletzte Wasserlebewesen gab es bislang nur sporadisch.
Ganz klar: Wegwerfmasken, Plastikvisiere und Einmalhandschuhe zu tragen, ist während der Pandemie unumgänglich. Die Kehrseite des menschlichen Schutzes ist der Wegwerfmüll auf Straßen, in Grünanlagen, Naherholungsgebieten und im Wald.
Ein bizarrer Fund aus einem niederländischen Kanal in Leiden rief den Biologen Auke-Florian Hiemstra von der Universität Leiden auf den Plan: Ein kleiner Flussbarsch hatte sich mit der vorderen Körperhälfte in einem löcherigen Latexhandschuh verfangen – und war darin vermutlich erstickt. Daraufhin suchte der Forscher systematisch nach Berichten über verletzte oder tödlich verunglückte Tiere. In Brasilien wurde im Magen eines Magellan-Pinguins eine Einwegmaske gefunden, die er möglicherweise für Nahrung gehalten hatte; aus England kamen Berichte von Igeln und Füchsen, die sich in den elastischen Schlaufen von Masken verheddert hatten. Um einen besseren Überblick über die Unglücksfälle mit Pandemie-Abfall zu bekommen, starteten Hiemstra und sein Team eine laufend aktualisierte Homepage (covidlitter.com), auf der Funde gemeldet werden können.
Auch die Deutsche Wildtierstiftung beklagt den stillen Tod vieler Wildtiere durch Corona-Müll.
Prof. Dr. Hackländer hält die Ergebnisse des niederländischen Forscherteams lediglich für die Spitze des Eisbergs. „Die Folgen für unsere Wildtiere durch Covid-19-Müll sind nicht abzusehen“, sagt er. „Aber das stille Sterben der Tiere durch unsachgemäß entsorgte Schutzkleidung hat längst begonnen!“
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Kleine Fische zappeln in achtlos weggeworfenen Plastikhandschuhen, die am Uferrand für sie zur Todesfalle geworden sind. Die Küken von Singvögeln strangulieren sich mit den Gummibändern von FFP-2-Masken, die die Vogeleltern als „Nistmaterial“ ins Nest geschleppt haben. Die Gummis wickeln sich obendrein leicht um den Schnabel. Das alles hindert die Vögel an der Nahrungssuche und -aufnahme. Igel verheddern sich mit ihren Beinchen im Masken-Müll oder ersticken im PP-Vlies der Einmalkittel. „Noch ist das ganze Ausmaß, das durch die unsachgemäße Entsorgung von Schutzmaterialien verursacht wird, nicht abzusehen“, sagt Prof. Dr. Klaus Hackländer, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. „Doch schon jetzt steht fest, dass Wildtiere durch Covid-19-Müll zu Opfern der Pandemie werden.“
Möwen, Enten und Schwäne, aber auch Säugetiere wie Füchse und Wildschweine fressen unbeabsichtigt Reste verdreckter Schutzkleidung. „Es kommt vor, dass Plastikteile, Filteraufsätze und Reste von Schutzvisieren im Tiermagen zum Hungertod führen“, sagt Prof. Dr. Hackländer. Auch in den Verdauungsorganen von Haustieren wie Hunden und Katzen finden Tierärzte immer häufiger Plastikreste, die sich als Covid-19-Schutzmaterial identifizieren lassen.
Der Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung ruft zur Achtsamkeit im Umgang mit Schutzkleidung auf, damit Wildtiere nicht gefährdet werden. „Abfälle wie Masken und Plastikhandschuhe nie lose wegwerfen, sondern in reißfeste, dichte Müllsäcke geben, fest verschließen und in den Restmüll geben“, sagt Prof. Dr. Klaus Hackländer. Gerade Masken sollten nie achtlos entsorgt werden. „Das Leben eines Wildtieres könnte auf dem Spiel stehen.“
Auch unserem Satiriker war vor Monaten bereits der Corona-Müll in der eigentlich idyllischen Westerwälder Landschaft unangenehm aufgefallen.
Einen bundesweiten Zulauf in deutschen Wäldern stellt auch der Leiter Naturschutzpolitik des BUND, Magnus Wessel, fest. Seit Beginn der Corona-Pandemie strömen die Menschen vermehrt in die Natur. Das ist für viele ein Gewinn und ein Ausgleich zum vielen Zuhausesitzen, für die Natur aber nicht unbedingt. Der eigentlich erwünschte Naturaufenthalt von vielen Menschen ist wegen geschlossener Restaurants leider mit viel Wegwerf-Müll verbunden. Die Mülleimer in Parks und Naherholungsgebieten quellen mit Einwegmasken und To-go-Verpackungen über, vieles liegt auch einfach so in der Natur, weil es achtlos weggeworfen oder vom Wind weggeweht wurde.
Den Naturschützern ist bewusst, dass es während der Corona-Pandemie manchen Familien viel schlechter ginge, wenn sie nicht die Gelegenheit hätten, das Grüne aufzusuchen. Um Achtsamkeit wird eindringlich gebeten. Mund-Nase-Masken sind keine Wegwerfartikel, weil sie aus Kunststoffgewebe sind und sich nicht selbst abbauen. Für die Tiere im Wald sind die Masken vor allem deshalb gefährlich, weil die Gefahr besteht, dass sie sich in den Ohrschlingen verfangen und selbst strangulieren.
Schon Kindergartenkinder lernen, dass sie im Wald nichts zurücklassen dürfen. Verpackungen und anderes Material sollten Sie wieder mit nach Hause nehmen und dort entsorgen. Der Naturgenuss soll schließlich weiterhin möglich sein. htv
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