Pressefreiheit unter Druck? Online-Diskussion mit Experten
Von Helmi Tischler-Venter
Das Bundestagsbüro von Gabi Weber (SPD) veranstaltete am Montagabend, 3. Mai 2021, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit eine Online-Diskussionsveranstaltung zum Thema "Pressefreiheit unter Druck - Ist auch die freie Presse im Lockdown?".
Wirges. Als Gastredner/innen eingeladen waren die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gabriela Heinrich, der Geschäftsführer von „Reporter ohne Grenzen“, Christian Mihr, und Natascha Schwanke, Director of Media Development bei der Deutschen Welle Akademie.
In ihrem Impulsvortrag betonte Gabriela Heinrich, dass der freie Zugang zu Informationen ungeheurer wichtig sei, weil diese den ersten Schritt zur Veränderung darstellten. Daher fürchteten sich Regierungen vor Informationsfreiheit. Häufig gehe die Gefahr vom Staat aus.
Neu ist, dass laut Reporter ohne Grenzen die Pressefreiheit in Deutschland nicht mehr als gut einzustufen ist. Deutschland ist im Ranking von Rang 11 auf Rang 13 abgerutscht wegen zunehmender Gewalt gegen Journalisten durch die, die zurzeit am lautesten schreien. Im internationalen Vergleich sei es eher ungewöhnlich, dass man sich mit der Zivilgesellschaft befassen muss.
Auch in der SPD-Bundestagsfraktion sei der zuverlässige Schutz für Medienschaffende ein wichtiges Anliegen. Gefordert wird mehr Polizeischutz im Vorfeld und Nachverfolgung mit Strafe. Die SPD wolle auch den journalistischen Quellenschutz verbessern. „Wer Pressefreiheit unterdrückt, der hat etwas zu verbergen und bewegt sich in Richtung Diktatur.“
Christian Mihr erklärte die Pressefreiheit sogar zum Menschenrecht. Er wies auf die Kopplung von Corona und Druck auf die Presse hin: US-Wissenschaftler haben eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass seit 2020 weltweit Journalisten bedrängt werden wie lange nicht mehr. Die Pandemie habe das Gute und das Schlechte der Regierungen gezeigt. Seine Organisation „Reporter ohne Grenzen“ leistet direkte Nothilfe und gibt grundsätzliche Unterstützung. Im Jahr 2020 hat eine Verfünffachung der Übergriffe auf Journalisten stattgefunden.
Es gibt weltweit nur noch 12 Länder, in denen die Pressefreiheit mit „gut“ bewertet wird. In 73 von 180 Ländern wird unabhängiger Journalismus blockiert, in weiteren 59 Ländern eingeschränkt. Fünf Mal in Folge liegt Norwegen im Ranking vorn, gefolgt von Schweden und Finnland, dort gibt es sehr viel weniger Gewalt gegen Journalisten und es gibt bessere Informationsfreiheitsgesetze, kürzere Bearbeitungsfristen, weniger Willkür bei Gebühren und bessere Digitalisierung.
Auf der Negativseite finden sich Malaysia, China, Nordkorea und Eritrea: „China ist das größte Gefängnis für Journalisten auf der ganzen Welt!“
Natascha Schwanke erläuterte, dass es der Deutschen Welle Akademie um Qualifizierung von Journalisten und Entwicklung von Mediensystemen weltweit geht, damit es freiheitlichen Dialog geben kann.
In unserer Informationsgesellschaft kann jeder User per Smartphone selbst Akteur werden, daher müssen diese Gruppen einbezogen werden. „Freie Gesellschaften brauchen resiliente Mediensysteme.“ Die Krise zeigt: Informationen könne über Leben und Tod entscheiden. Die Pandemie ist auch eine Infodemie, weil Falschnachrichten schnell verbreitet werden. Propaganda wird über digitale Kanäle verbreitet. Daher werden in manchen Ländern (Lateinamerika und Afrika) lokale Medien gestärkt, die Zugang zu Informationen und Teilhabe bieten können und auch Bedürfnisse zurückmelden. Die Meinungsfreiheit gerät unter Druck, weil Regimes die Krise für Zensur nutzen. Aus diesem Grund wurde von ihrer Organisation 2020 eine Kriseninitiative für Resilienz und Medienfreiheit initiiert.
Medienkompetenz muss gefördert werden als Schlüsselqualität in der modernen Gesellschaft. Verantwortungsvoller Umgang wird in vielen Ländern, speziell in Nordafrika gefördert per Messenger-Apps.
Der Sturm auf das Capitol am 6. Januar zeiget allen deutlich, dass die Legitimation von Medien sogar in den demokratischen USA unter Druck geraten ist, es findet ein Kampf um die Meinungshoheit statt.
Christian Mihr erläuterte, dass autoritäre Länder wie China, Iran, Russland oder Saudi-Arabien interne digitale Strukturen besetzen, eigene leicht zensierbare Klone erstellen und internationale Plattformen blockieren. Journalisten geraten in Notlage infolge digitaler Überwachung, daher werden Trainings angeboten, unsichtbare Überwachung zu erkennen. Schwanke ergänzte, das Bewusstsein müsse erzielt werden, dass auch Quellen und Fotografien zu schützen sind, angefangen von der physischen Lagerung von Daten und Festplatten: „In Sicherheit muss man sehr viel investieren!“
Gabi Weber klagte, im digitalen Bereich würden wir zugemüllt mit Werbung, die an persönliche Daten gekoppelt ist. Schwanke begründete dieses Interesse der Medien an Daten mit der immer geringeren Bereitschaft der Menschen, für Informationen Geld zu bezahlen. Dadurch entstanden werbefinanzierte Sender und Zeitungen. In Afrika ist der Staat oder eine religiöse Gemeinschaft oft größter Anzeigenkunde und kann so am Geldhahn drehen.
Die Ambivalenz von Social Media zeigte Mihr auf: Plattformen verbreiten Hass, der in reale Gewalt auf den Straßen umschlägt. Daher ist man leicht geneigt, solche Plattformen bei uns zu verbieten. In diktatorischen Systemen haben gerade diese Plattformen freiheitsstiftende Wirkung, weil die Informationen nicht verhindert werden können. Programme sind nicht nur gut oder schlecht: Telegram wird hierzulande viel von Rechten genutzt, in Weißrussland von Leuten, die sich für Demonstrationen verabreden.
Das Netzwerkdurchsetzungsrecht habe viele Schwächen, werde aber auch von anderen Ländern interessiert beobachtet.
Gerade Politiker/innen sind häufig dem Hass ausgesetzt. Durch Strafanzeigen kann man mehr Transparenz schaffen, damit dem Hass nicht Raum geboten wird. Heinrich ergänzte aus eigener Erfahrung, dass Opfer einer Netz-Attacke lange darunter leiden, dass die Meinungsfreiheit unterdrückt wird. Und Natascha Schwanke wusste, dass in sehr vielen Ländern Frauen so stark online gemobbt und sexuell belästigt werden, dass sie aufgeben. Mihr bestätigte, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist. Es gab im letzten Jahr eine Zunahme von Gewalt, aber gleichzeitig eine Zunahme des Vertrauens in Demokratien.
Als Fazit stellten die Redner fest, dass Pressefreiheit ein Recht für alle Menschen ist und dass Medienkompetenz auch bei uns an allen Schulen gebraucht wird. Gabi Weber würde gern die Deutsche Welle Akademie vervielfältigen und ihr Know-how weit verbreiten.
htv
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