Vor 40 Jahren hieß es in Montabaur besetzen statt schwätzen
„Nach jahrelangem Schätzen heißt´s nun Besetzen!“ So der Slogan von vielen enttäuschten Jugendlichen, deren Forderung nach einem Jugendzentrum in Montabaur in der Besetzung eines leerstehenden Hauses eskalierte. Am 19./20. Juni 2021 jährt sich dieses in der langen Stadtgeschichte einmalige Ereignis zum 40. Mal.
Montabaur. Dabei war die Forderung nicht ganz neu, denn schon in den Jahren vor Gründung der Verbandsgemeinde Montabaur in 1972 gab es immer wieder Bestrebungen, mehr für die Jugend zu tun. Nicht nur in der Stadt, sondern auch auf den Dörfern rundherum, wie beispielweise die in dieser Zeit entstandenen wegweisen-den Jugendclubs in Nomborn und Horbach zeigten.
Dass die Rufe nach offener Jugendarbeit auch im Westerwald massiver wurden, wurde sicher von den damaligen Studentenunruhen und Hausbesetzungen in größeren Städten befeuert. Eine Kommission des Bundestages beschäftigte sich damals mit dem drängenden Thema „Jugendprotest im demokratischen Staat“. Dieser schwappte dann auch in den Westerwald und führte zumindest in Montabaur zu einige heißen und umkämpften Tagen. Federführend für den lokalen Jugend-prostest rund um die Kreisstadt waren damals die Jusos, aus deren Mitte Ende der 70er Jahre die „Initiativgruppe Jugendzentrum“ (IGJ) hervorging. Ähnliche Jugend-initiativen gab es auch in Wirges und anderen Städten im Westerwald.
Schnell wuchs die IGJ zu einer durchsetzungsstarken und unüberhörbaren Gruppe, die bald ein Konzept für eine offene Jugendeinrichtung formulierte. Diese sollte vier Hauptfunktionen erfüllen: zunächst sollten für die in Schule und Beruf entstehenden Belastungen ein Ausgleich geschaffen werden. Daneben sollte die Freizeit auch als Zeit des politischen Lernens genutzt werden. Wichtig auch, dass jenseits von Profitstreben und Vereinszwang mehr Kontakt-, Entfaltungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten angestrebt würden. Nicht zuletzt sollten auch behinderte, ausländische und arbeitslose Jugendliche einbezogen werden.
Bald wurde auch ein Raumprogramm für ein JUZ erarbeitet. Mit Schreiben vom 2. November 1979 bat die IGJ die Stadtverwaltung um Prüfung, welche passenden Gebäude in der Stadt hierfür zur Verfügung ständen. Da daraufhin nix passierte, wurde bald von der Initiative die altehrwürdige „Villa Sonnenschein“ im Stadtzent-rum ins Gespräch gebracht.
Durch eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit gelang es der IGJ innerhalb von wenigen Jahren, das Thema Jugendzentrum in der Bevölkerung und der Kommunalpolitik in den Fokus zu rücken. Als Folge lud die Verbandsgemeindeverwaltung unter Einbeziehung der Jugendzentrumsinitiative alle Mitglieder des Stadt- und VG-Rates zu einer Informationsfahrt zum Jugendzentrum in Bad Neuenahr ein. Die positiven Eindrücke der Einrichtung sorgten offensichtlich bei nicht wenigen Ratsmitgliedern für einen Meinungsumschwung.
In einer Bürgerversammlung erklärten wenige Wochen später die Sprecher aller vier Fraktionen des Stadtrates ihre Absicht, in Montabaur ein JUZ zu schaffen. In einer Ratssitzung im Dezember 1979 wurde dann beschlossen, bis zum 1. April 1980 die Vorstellungen bezüglich Standort, Trägerschaft und Organisation der neuen Einrichtung zu konkretisieren. Obwohl sich nach anfänglichem Zögern inzwischen auch die Junge Union für ein JUZ einsetzte, landeten die Planungen in einer Sackgasse und es ging wenig voran. Dies auch deshalb, weil der VG-Rat eine hälftige Beteiligung an den Investitions- und Sachkosten abgelehnt hatte.
Die Jugendlichen verurteilten diese „Verzögerungstaktik“ der kommunalen Gremien scharf. Um der Bevölkerung und den politisch Verantwortlichen zu zeigen, dass man nicht gewillt war, sich noch länger verschaukeln zu lassen, reifte dann der Gedanke ein Haus zu besetzen und es zum Jugendzentrum zu erklären. Als Objekt der jugendlichen Begierde war schnell das alte und leerstehende Wasserwirtschaftsamt in Nachbarschaft der Josef-Kehrein-Schule ausgewählt.
Etwa 40 Jugendliche hatten über Wochen die Besetzung als strenge Geheimsache vorbereitet, Plakate gemalt und Flugblätter kopiert, die dann in der Nacht vom 19. auf den 20. Juni 1981 unters Volk gebracht wurden. Am nächsten Morgen verbreitete sich die Nachricht von der Hausbesetzung wie ein Lauffeuer in der Kreisstadt und der gesamten Region. Auch ein provisorisches Jugendzentrumsprogramm mit Musik, Workshops und Diskussionen für die folgende Woche war vorbereitet.
Schnell war das Haus am nächsten Morgen von Hunderten Schaulustiger ebenso umringt wie von vielen Medienvertreter/innen und Kommunalpolitiker/innen. Auch die Staatsgewalt blieb nicht untätig und rückte gar mit einer Hundertschaft der Bereitschaftspolizei mit Hundestaffel in Montabaur an. Letztere war noch nicht sichtbar, hatte ein Lager auf dem Parkplatz der Kreisverwaltung eingerichtet.
Schnell entschlossen hatte der damalige Bürgermeister Wilhelm Mangels den Hausbesetzern ein Gesprächsangebot gemacht. Diese gingen darauf ein und am Nachmittag des 20. Juni um 14.15 Uhr fand ein Gespräch der politisch Verantwortlichen mit einer Delegation der Jugendlichen im Lehrerzimmer der benachbarten Schule statt. Für die inzwischen auf 80 Personen gewachsene Gruppe der Besetzer erklärte um 17.05 Uhr deren Sprecher Uli Schmidt, dass man unter den gegebenen Umständen das Haus nicht freiwillig räumen werde. Er kündigte an, dass als nächste Aktion das Rathaus besetzt werde, wenn bis zum Jahresende keine spürbaren Fortschritte erkennbar seien. Damit die friedliche Besetzung auch als solche wirken kann, verließen die Jugendlichen trotzdem am Nachmittag freiwillig das Haus, nachdem die Hundertschaft der Polizei aufmarschiert war.
In den kommenden Wochen reifte die Entscheidung, in der stadteigenen Katharinenschule ab Sommer 1982 ein JUZ einzurichten – wohl auch um der angedrohten Besetzung des Rathauses und einer möglichen Radikalisierung einiger Jugendlicher zuvorzukommen. Nun wurden die Weichen schnell und richtig gestellt, ein Trägerverein unter dem Vorsitz von Bürgermeister Mangels mit Geschäftsführer Alfons Henkes wurde gegründet und das JUZ konnte bald mit seinem ersten Leiter Wilfried Dahlem seine Pforten öffnen. Und siehe da: alle Parteien waren jetzt dafür und bei der nächsten Kommunalwahl war das Jugendhaus für alle ein echter Wahlkampfhit! Und 2022 darf das 40-jährige Jubiläum gefeiert werden….
An die friedlichen Ereignisse von damals wollen viele im Umfeld der Besetzung beteiligte „Jugendzentrumsveteranen und -veteraninnen“ am 19. Juni 2021 (also genau 40 Jahre danach!) in Montabaur erinnern. Einige von ihnen wollen auch von weit her in die alte Heimat anreisen um die Geschichten von damals lebendig wer-den zu lassen. Wer noch nicht angesprochen wurde, aber damals beteiligt und im Juni zu dem Gespräch in die Kreisstadt kommen will, kann sich melden unter uli@kleinkusnt-mons-tabor.de. (PM)
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