Prozess um Unfall mit drei Toten bei Hilgert endet mit Freispruch
Der Unfall im Januar 2020 hat drei Opfer gefordert: Ist ein 25-Jähriger Autofahrer durch Unaufmerksamkeit in den Gegenverkehr geraten und hat so fahrlässig den Tod von drei Menschen - darunter der eigene Bruder - verursacht? Das Amtsgericht Montabaur war nicht dieser Meinung: Es sprach den jungen Mann frei.
Montabaur. Am 8. Januar 2020 ereignete sich ein schwerer Unfall auf der Landesstraße 307 zwischen Höhr-Grenzhausen und Ransbach-Baumbach in Höhe Hilgert. Zu dem Unfall kam es, weil ein PKW aus ungeklärten Gründen in den Gegenverkehr geriet und es zu einem Frontalzusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kam. Zwei Frauen verstarben noch an der Unfallstelle, in der Nacht verstarb ein weiteres Unfallopfer. Nun kam es beim Amtsgericht in Montabaur zur Hauptverhandlung, um die Schuldfrage zu klären.
Gedenkminute für die Flutopfer und die Toten des Unfalls
Vor Eintritt in die Hauptverhandlung bat der Vorsitzende des Schöffengerichts, Richter am Amtsgericht Ingo Buss, die im Sitzungssaal Anwesenden, sich von ihren Plätzen zu erheben, um in Stille und Würde der Opfer der Flutkatastrophe und der durch den Verkehrsunfall Verstorbenen zu gedenken.
Was geschah an jenem unheilvollen Januarabend bei Hilgert auf der L307?
Die Staatsanwaltschaft (StA) Koblenz wirft dem 25-jährigen Mann vor, durch Unaufmerksamkeit in den Gegenverkehr gekommen zu sein, und dabei fahrlässig den Tod von 3 Menschen und schwere Körperverletzung in zwei Fällen verursacht zu haben.
Der Angeklagte erklärte, dass er sich an nichts mehr erinnern könne, da er selbst bei dem Unfall schwerst verletzt worden sei und er deshalb nicht mehr seiner Arbeit als Lagerist nachgehen könne, zurzeit bezieht er eine Erwerbsminderungsrente von rund 300 Euro. Ihm würden komplett mehrere Tage vor dem Unfall fehlen, die ganze Erinnerung sei weg.
"Wie ein Schlachtfeld"
Die in der Beweisaufnahme vernommenen Zeugen schilderten übereinstimmend, dass es an der Unfallstelle wie auf einem Schlachtfeld aussah. Der VW Bora, den der Angeklagte fuhr, war total zusammengestaucht durch die Wucht des Aufpralls, so dass die Feuerwehrleute beim Aufschneiden des Autos mit der Rettungsschere zunächst nicht bemerkten, dass sich im Fußraum der Rückbank noch ein weiteres Opfer befand. Die beiden Frauen, die sich auf dem Beifahrersitz und hinten links auf der Rückbank befanden, verstarben noch an der Unfallstelle. Der Bruder des Angeklagten, der unter dem Sitz eingeklemmt war, verstarb in der folgenden Nacht im Krankenhaus.
Es wurde festgestellt, dass der Angeklagte zur Unfallzeit nicht an seinem Handy hantiert hatte. Ein Polizeibeamter sagte aus, dass damals an der Stelle 100 km/h erlaubt gewesen wären, inzwischen ist dort eine Begrenzung auf 70 km/h erfolgt. Der Straßenbelag sei teilweise rutschig gewesen.
Der Vorsitzende gab bekannt, dass die entnommene Blutuntersuchung keinerlei Hinweise auf Alkohol oder Drogen ergeben habe. Das Gutachten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) stellte fest, dass zur Unfallzeit kein Frost geherrscht habe, die Temperatur lag bei 8 Grad Celsius plus.
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Ein weiterer Zeuge, immerhin damals aktiver Kreisfeuerwehrinspektor, sagte aus, dass es im Umfeld der Unfallstelle teils sehr rutschig und schmierig war, er selbst wäre beinahe hingefallen. Die Rutschigkeit sei seines Erachtens nicht durch auslaufende Betriebsmittel verursacht worden. Der Notarzt bei diesem Einsatz bestätigte ebenfalls, dass es an der Unfallstelle sehr rutschig gewesen sei.
Die beiden Insassen des anderen unfallbeteiligten Autos bekräftigten beide, dass plötzlich die Lichter des VW da waren, die wie aus dem Nichts auftauchten, es gab keinerlei Chance, dem Auto auszuweichen. Durch den Aufprall wurde das Ehepaar ebenfalls schwer verletzt. Der Sachverständige (DEKRA) hatte eine Aufprallgeschwindigkeit beim Angeklagten von 80 bis 90 km/h ermittelt, die beim Unfallbeteiligten betrug 60 bis 70 km/h.
Der Sachverständige: „Der Fahrer des SUV hatte keinerlei Chance, den Unfall zu vermeiden, da er höchstens eine Sekunde Zeit gehabt hatte, um noch auszuweichen. Wegen fehlender Spurenlage kann keine sichere Feststellung zum Grund des Unfalls erfolgen.“
Zweifel an der Schuld des Angeklagten
Der Angeklagte ist nicht vorbestraft. Die Beweisaufnahme wurde geschlossen, die Vertreterin der StA Koblenz beantragte Freispruch, da sie keinen Fahrfehler beim Angeklagten sieht, zudem Rutschigkeit an der Unfallstelle angenommen werden kann. Der Vertreter der Nebenklage (Rechtsanwalt Ralf Querbach, Koblenz) beantragt Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr und schwerer Körperverletzung. Rechtsanwältin Uta Tiemann beantragte Freispruch nach dem Grundsatz „In dubio pro reo“, weil erhebliche Zweifel an der Fahrlässigkeit des Angeklagten bestehen würden, äußerst hilfsweise beantragt sie die Verhängung einer milden Bewährungsstrafe für den Fall der Schuldfeststellung. Bei seinem letzten Wort wiederholte der Angeklagte seine Aussage, dass er sich an nichts erinnern könne.
Richter Buss verkündete nach eingehender Beratung das Urteil: Freispruch. In der Begründung stellte der Vorsitzende fest, dass Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestehen würden, da der Angeklagte sein Auto durch Driftbewegungen wegen der Glitschigkeit auf dem Straßenbelag nicht mehr steuern konnte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Kommentar das Autors:
Es geht auch ohne viel Palaver und Geschrei, wenn sich vernünftige Juristen treffen. Obwohl die Verhandlung unter hohem emotionalem Druck stand, haben alle Prozessbeteiligten zu jeder Zeit die richtigen Worte gewählt und nicht noch Öl ins Feuer gegossen. Das eröffnet dem Angeklagten, den Verletzten und den Angehörigen die Möglichkeit, zumindest juristisch abzuschließen, wenn auch das Leben für Viele nicht mehr so sein wird, wie es einmal war. (Wolfgang Rabsch)
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