Wolfgang Niedecken sang und las in Engers für die Flutopfer
Von Helmi Tischler-Venter
Im idyllischen Schlosshof des barocken Schlosses Neuwied-Engers begrüßte Innenminister Roger Lewentz das Publikum und lobte die solidarische Hilfsbereitschaft von Privatpersonen, Vereinen und Institutionen. Lewentz erzählte, er habe Wolfgang Niedecken als sehr engagierten Menschen kennengelernt, der auch im afrikanischen Partnerland Ruanda bereits half.
Neuwied. Wolfgang Niedecken, der bekannte Sänger und Gitarrist der Gruppe „BAP“ ist zusammen mit seinem Freund Mike Hertling am elektronischen Klavier auf Tour, um in Benefizkonzerten mit Songs und Texten von Bob Dylan die Hilfe im Ahrtal zu unterstützen. Niedecken freute sich, dass durch die technische und logistische Unterstützung der Landesstiftung Villa Musica Rheinland-Pfalz die gesamten Einnahmen ohne jeglichen Kostenabzug zugunsten der „Aktion Deutschland hilft“ gespendet werden können.
Mit Sonnenbrille und Hut seinem Idol sehr ähnlich, verriet Niedecken, dass er anfangs gar nichts mit Bob Dylans Liedern anfangen konnte. Das sollte sich gründlich ändern: „Ohne Bob Dylan wäre ich niemals Musiker geworden!“ Im vergangenen Sommer schrieb der Kölner ein sehr subjektives, emotionales Buch über Bob Dylan, dessen roter Faden eine Reise im Jahr 2017 kreuz und quer durch die USA auf den Spuren Dylans ist. Auf dieser Reise erlebte Anekdoten wechselten sich ab mit Songs von Bob Dylan in Englisch, Deutsch und Bayrisch (eine Strophe von „You Ain't Goin' Nowhere“, eingeübt mit der bayrischen Ehefrau) und mit Lebenserinnerungen an Begegnungen mit Dylan und an die alte Kölner Clique, in der der junge Niedecken als Bassist Rolling Stones-Titel spielte. Ausgerechnet der Bob Dylan-Song „Like a Rolling Stone“ gab den Ausschlag, dass Niedecken vom Bassisten zum Sänger am Rheinbreitbacher Gymnasium mutierte.
„In den Texten kommen viele Katastrophen vor. Wir müssen unbedingt einen Paradigmenwechsel erreichen!“, appellierte der Künstler und sang mit Bezug zur Flutkatastrophe an der Ahr: „Letzte Naach hann ich jedräump, ich wöhr dä Noah un dä Herrjott kohm un säät: „Pass op, Jung! Et jeht widder loss, Jung, bau ens flöck e’ Floß, nähxte Friedaach jitt et Rään!“
Gegen Ende des Kunststudiums verteilten Wolfgang Niedecken und sein Freund Frieder als Zivildienstleistende Essen an Senioren und sangen in Altenpflegestätten Lieder auf Kölsch, zum Beispiel für den 93. Geburtstag der „leef Frau Hermann“.
Bob Dylan ließ sich als Jude erst sehr spät überreden, im Land des Holocausts aufzutreten. 1978 fand sein erster Auftritt auf deutschem Boden in der Dortmunder Westfalenhalle statt. Nachdem er dieses Konzert miterlebt hatte, spielte Niedecken bei Solo-Gigs in Kneipen oft Bob Dylan-Songs, zum Beispiel „One more cup of coffee fort he road“.
In Erinnerung an das Pfadfinderlager im Brexbachtal bei Bendorf-Sayn Anfang der 60er Jahre sangen Niedecken und Hertling den Song „Mighty Quinn“, mit dem Manfred Man weltberühmt wurde, bevor Bob Dylan selbst ihn sang. Das Publikum geriet in Stimmung, klatschte und sang mit: „Wo Quinn, der Eskimo optaucht, han mer all keen Probleme mieh!“
Bester Stimmung war der bekennende FC-Fan, als er hörte, dass der FC Köln gewonnen habe: „Wer hat die Tore geschossen? Der Torwart? Wir können abbrechen und feiern gehen!“
Gedanklich sprang Niedecken gleich wieder zurück nach New Orleans und zu dem Haus, in dem der junge Bob Dylan als Robert Zimmermann seine Kindheit verbrachte und weiter zu Sarah, dem „Girl from the North Country“, von Niedecken eingedeutscht: "Wo dä Nordwind weht".
Ein besonders stimmungsvoller Moment entstand, als Wolfgang Niedecken den künstlerischen Direktor der Villa Musica, Professor Alexander Hülshoff mit seinem Cello auf der Bühne begrüßte. Gemeinsam spielten die drei Musiker „Man in the Long Black Coat“, das die Zuhörer mit viel Applaus belohnten.
Beim Anflug auf San Francisco sah das Musiker-Team gigantische Waldbrände, Rauch über der gesamten Bay und in der Stadt massenhaft homeless people. Konsequenter Weise folgte der Song „Only a hobo, but one more is gone“.
Eine weitere Episode von der Westküste erzählte, wie bei einem Dreh für „Californien“ am Tour-Bus die Scheiben eingeschlagen und die Rucksäcke gestohlen wurden, die persönlichen Dokumente aber wieder an ihre Besitzer zurückkamen. Auch eine persönliche Begegnung mit Bob Dylan im Jahr 2009 zwecks Übergabe einer neu entwickelten Lapsteel hinterließ Eindruck bei Niedecken.
Die Gitarre musste zwischendrin gestimmt werden, denn „das nächste Lied ist sehr zart“. Es war „Forever young“, das Dylan zur Geburt seines Sohnes geschrieben hatte. Als Zugabe bot Niedecken eine Story, die er zu Dylans 80. Geburtstag schrieb und die nicht in dem Buch steht. „Knocking on heaven’s door“ weckte Erinnerungen an die Loreley-Bühne und Niedeckens Zusammenspiel mit ganz großen Stars wie Eric Burton und Liam Gallagher.
Wim Wenders drehte den allerletzten Video-Clip in Kalifornien auf der Route 66: „Eine Pilgerfahrt zu den Sehnsuchtsorten meiner Jugend. Alles gut!“ und als BAP-Version gesungen: „Schluss, aus, okay!“
Standing Ovations waren der Lohn der über 500 Besucher für eine besondere, fast dreistündige Veranstaltung. Die anhaltende Hilfsbereitschaft zeigten die Gäste auch am Ausgang, wo viele Scheine in eine Spendenbox wanderten.
Wer für den Auftritt im Schlosshof Neuwied-Engers keine Karten mehr bekam, hat die Chance, für den 12. September in Altenkirchen Tickets zu erwerben. (htv)
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