Ein etwas anderer Konzertbericht: »Dancas Ocultas« begeistern in Selters
Aber es waren Tausend Probleme zu bewältigen! Während das Konzert der portugiesischen Akkordeonisten die Besucher der Festhalle in Selters durchweg begeisterte, waren im Vorfeld unzählige Probleme zu bewältigen, die eine solche Veranstaltung während einer Pandemie mit sich bringt.
Selters. Die heimische Weltmusikreihe „Musik in alten Dorfkirchen“ im Kultursommer Rheinland-Pfalz steht auch in schwierigen Corona-Zeiten weiterhin für einen weltoffenen Westerwald! Dieses Fazit zieht die Kleinkunstbühne Mons Tabor nach einem Konzert der Gruppe „Dancas Ocultas“ aus Portugal in Selters. Erstmals konnte ein Konzert der Reihe im 26. Jahr nicht in einer schmucken Dorfkirche, sondern in Kooperation mit dem Kulturkreis der Verbandsgemeinde Selters in der dortigen Festhalle stattfinden. Und schon am Sonntag, 12. September werden in Montabaur zum nächsten Konzert weltweit gefeierte Musiker aus Afrika erwartet.
Gewöhnlich spielt das portugiesische Akkordeon-Quartett »Danças Ocultas« auf den großen Bühnen der Welt: jetzt gastierten sie in der wegen der Pandemie nur mit zugelassenen 120 Personen besetzen Festhalle in Selters. Artur Fernandes, Francisco Miguel, Filipe Cal und Filipe Ricardo kommen aus dem Umland von Porto. Alle vier spielen auf dem diatonischen Akkordeon – und das meisterhaft!
Die regulären Stücke des Abends sowie die Zugaben waren Eigenkompositionen, in denen die verschiedenen Motive portugiesischer Musik aufgriffen werden. Beim ersten Stück stimmte ein Akkordeon eine zarte Melodie an, nach und nach fielen alle Instrumente ein und das letzte übernahm die Melodieführung hin zu einer wundervollen, harmonischen Einheit. Man wusste nicht, was man mehr bewundern sollte: das Feingefühl des Zusammenspiels oder seine faszinierende Genauigkeit. Durchweg fasziniert waren auch die Gäste, die gebannt dem Rhythmus folgten: Mal dezidiert, mal unterschwellig sanft in wiegender Bewegung. Schlusspunkt des offiziellen Programms war ein minutenlanger Beifall, dem noch zwei Zugaben folgten.
Soviel zum eigentlichen Konzert!
Im Mittelpunkt der „Konzertkritik“ soll aber nicht die einzigartige Musik stehen, sondern das Umfeld dieses Auftaktkonzertes der Reihe „Musik in alten Dorfkirchen“ 2021. Es scheint der Kleinkunstbühne Mons Tabor wichtig, mal nicht nur das kulturelle Erlebnis in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die Schwierigkeiten, Probleme, Ärgernisse und Enttäuschungen unter denen in Pandemiezeiten solche hochkarätigen international besetzten Veranstaltungen organisiert und durchgeführt werden müssen. Aber auch die damit verbundenen Hoffnungen und die nicht nachlassende Motivation!
2020 war nach viel Aufwand und jahrelanger Vorbereitung die 25. Jubiläumsreihe der Westerwälder Weltmusikreihe angekündigt worden. Hochkarätige Bands aus Südamerika, Europa und Afrika konnten verpflichtet werden, dazu eine aufstrebende deutsche Klezmerband. Leider musste die komplette Reihe abgesagt werden und die Gruppen Dancas Ocultas (Portugal), Habib Koite & Bamada (Mali) sowie Chango Spasiuk & Band (Argentinien) wurden für dieses Jahr mit neuen Terminen und Tourneen eingeplant. Kaum nach der Ankündigung über die Medien mussten die Argentinier passen: so wie das Virus derzeit bei uns wütet, müssen wir die Tour erneut absagen! Die zwei anderen Bands hielten mit der Kleinkunstbühne Mons Tabor an den Terminen fest und die Dancas Ocultas standen dann auch in Selters auf der Bühne. Ein Konzert, das die Organisatoren an den Rand ihrer Möglichkeiten brachte.
Nach der erneuten Bestätigung durch die portugiesischen Musiker etwa 5 Wochen vor dem Konzerttermin wurden die Plakate und Eintrittskarten gedruckt, Anzeigen geschaltet und alle Lokalmedien informiert. Schnell waren die 200 Plakate im gesamten Westerwald verschickt und aufgehängt. Erste Karten wurden gekauft oder reserviert. Die Künstleragentur gab weiterhin grünes Licht: nach aktuell geprüftem Stand dürfen die Musiker nach Deutschland einreisen! Allerdings waren inzwischen die weiteren geplanten Konzerte der Gruppe in Hannover und Ulm abgesagt worden – die örtlichen Veranstalter hatte der Mut verlassen. Es bleibt nur das Konzert im Westerwald übrig, natürlich mit erhöhten Kosten.
Dann entstand erneut Verwirrung: Der Vorstand des Kulturkreises der Verbandsgemeinde Selters als Kooperationspartner zog aus heiterem Himmel seine Zusage zurück: Das Konzert kann nur ohne unsere Beteiligung stattfinden! Nach Intervention der Geschäftsführerin, dass man ein zugesagtes Konzert, für das es einen gültigen Vertrag gibt und für das schon der Vorverkauf läuft, doch nicht so einfach ohne rechtlich wirksamen Grund absagen könne, wurde die Entscheidung zurückgenommen.
Unter normalen Bedingungen sind die Konzerte der Reihe in den dafür ausgewählten Dorfkirchen fast immer restlos ausverkauft. Da der Vorverkauf nun bereits seit zwei Wochen lief, stellte sich heraus, dass es wenig Nachfrage gibt. Die Werbung wurde daraufhin intensiviert. Aber bald war klar, dass die Wäller sich doch wohl eher kurzfristig zum Besuch eines solchen Konzertes – wenn auch unter Einhaltung aller Hygienevorschriften und der 3-G-Regel – entscheiden werden.
Was tun? Bei Kosten für die Veranstaltung von circa 7.700 Euro konnten bei zulässigen 120 Plätzen nur ca. 1.800 Euro eingenommen werden. Der hohe Fehlbetrag kann weitgehend durch den Kooperationspartner, den KuSo, die Sparkasse Westerwald-Sieg und die EVM als Sponsoren abgedeckt werden – aber was tun, wenn nur 20 Leute kommen? Doch die Kartennachfrage stieg (leider ebenso wie die Inzidenzzahlen) leicht und damit auch der Optimismus der Verantwortlichen.
Dann kam eine Info der Agentur, dass die Flugtickets von Porto nach Frankfurt gebucht sind und es jetzt kein Zurück mehr gibt! Die Fahrt mit dem ICE von Frankfurt nach Montabaur passt und der Rest des Weges bis zum Hotel in Selters mit dem Taxi auch. Da die Musiker nur für das Gastspiel im Westerwald nach Deutschland kommen, war die Anreise schon am Vortag vereinbart – natürlich verbunden mit doppelten Hotelkosten zulasten des Veranstalters.
Doch am Vortag der Abreise dann ein Notanruf: einer der vier Musiker muss in Quarantäne und kann nicht mitkommen! Die Dancas Ocultas haben aber noch nie im Trio gespielt und sind dabei, einige Partituren schnell umzuschreiben und zu proben. Dafür blieben noch etwa 14 Stunden Zeit. Der Vorschlag, das Konzert noch kurz vorher abzusagen, wurde verworfen. Gleichzeitig erinnerten sich Agentur und Veranstalter an ein internationales Abkommen, dass bei solchen Tourneen Künstler bei nachgewiesenem negativem Test eine Quarantäne erspart werden kann, wenn dadurch die gesamte Tournee unnötig gefährdet wird. Die zuständige Behörde in Portugal stimmte dem Antrag zu und der 4. Musiker konnte nachkommen. Schnell musste für ihn ein Flug am Veranstaltungstag gebucht werden und ein ICE brachte ihn nach Montabaur, wo schon ein Auto Richtung Selters wartete. Kurz vor Beginn des Soundchecks am Nachmittag in der Festhalle, wo die Crew der Kleinkunstbühne schon seit dem Vormittag die Ton- und Lichttechnik aufgebaut hatte, war das Quartett komplett und in spielfähiger Besetzung. Noch zu erwähnen ist, dass die Technik von den Helfern im strömenden Regen ausgeladen werden musste, was zum gesamten Rahmen passte.
Was dann pünktlich um 17 Uhr folgte, war ein grandioses Konzert, bei dem nur die Musik von vier Ausnahmekönnern zählte. Und die Verantwortlichen von Kleinkunstbühne und Kulturkreis wurden mit Worten des Dankes und der Anerkennung überhäuft: „Das wir sowas tolles hier in Selters erleben durften, ist wohl nur einigen Wäller Basaltköppen zu verdanken“, so ein begeisterter Gast. Und dass sich die Portugiesen mit ihrem Techniker im Westerwald so wohlfühlten, lag sicher neben der guten Atmosphäre und dem guten Ton in der Festhalle auch an dem leckeren Catering der Veranstalter. Ein gemeinsames Abendessen aller Beteiligten war der versöhnliche Abschluss des Tages.
Doch nach dem Abbau in der Halle zog neben einem Gewitter eine weitere Bedrohung auf: Die GDL kündigte einen weiteren Bahnstreik an, beginnend am Montagmorgen. Also ein neues Problem: wie kommen die Musiker mit ihren Instrumenten am Montag pünktlich zum Flughafen? Damit wurde ein Taxiunternehmen mit einem Großraumfahrzeug beauftragt, das am Montagmorgen frühzeitig von Selters nach Frankfurt startete. Leider war auch dieser Auftrag wieder mit zusätzlichen Kosten für die Veranstalter verbunden. Nur gut, dass wenigstens die zulässigen 120 Gäste gekommen und Eintritt bezahlt hatten. So kann das hohe Defizit zumindest nicht die Existenz der Kleinkunstbühne Mons Tabor nach 34 erfolgreichen Jahren gefährden.
Fazit: bei einer solchen Veranstaltung kommt ehrenamtliche Kulturarbeit an ihre Grenzen. Insgesamt war allein diese Veranstaltung von der ersten Kontaktaufnahme mit den Künstlern bis zur Abrechnung mit etwa 215 Telefonaten, Mails und Postsendungen und anderen Kontakten verbunden. Aber alle Helfer der Kleinkunstbühne waren sich einig: Kulturpicknicks oder Ähnliches im Freien gibt es schon genug, wir machen auf unserer Schiene weiter, auch international für einen weltoffenen Westerwald – trotz aller damit verbundenen Probleme und Einschränkungen! (PM)
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