Europäische Solidarität ist nötig: Plädoyer für Integration statt Angst und Abschottung
Anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Arbeitskreises Integration und Asyl hielt Pfarrer Andreas Lipsch am 21. August einen Vortrag zum Thema “Solidarität entgrenzen – #offen geht“ in der Stadthalle Hachenburg.
Hachenburg. Pfarrer Lipsch ist der interkulturelle Beauftragte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, der Leiter der Abteilung Flucht, interkulturelle Arbeit und Migration der Diakonie Hessen und der Bundesvorsitzende von Pro Asyl.
Er gratulierte dem Team des Arbeitskreises Integration und Asyl für seine bisherige Tätigkeit und erinnerte anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Arbeitskreises an das 70-jährige Bestehen der Genfer Flüchtlingskonvention. Nach dem Zweiten Weltkrieg und den Erfahrungen von Flucht und Vertreibung, vor allem verursacht durch den Nationalsozialismus, hat die Genfer Flüchtlingskonvention den Flüchtlingsbegriff definiert und den Schutz vor Zurückweisung rechtlich verankert. Sie ist bis heute gültig, wird aber in der aktuellen Asylpolitik der europäischen Staaten immer wieder unterlaufen. Der für das Jahr 2021 geplante europäische „New Pact on Migration and Asylum“ führe diese Politik weiter. Dem müsse zum Schutz der Menschenrechte Einhalt geboten werden.
Die aktuellen Zahlen zur Integration Geflüchteter, so Lipsch, seien viel positiver als oft behauptet wird. 85 Prozent der Aufgenommenen haben Sprachkurse besucht, die Integration in die Arbeit ist schneller fortgeschritten als gedacht. Die integrierten Geflüchteten leisten einen wichtigen Beitrag für das Sozial- und Rentensystem und das gesellschaftliche Leben.
Nach dem Sommer der Flucht im Jahre 2015 seien die Rahmenbedingungen für Asyl in Deutschland immer restriktiver gestaltet worden. So mindere zum Beispiel die Einführung einer prekären „Duldung-light“ die Rechte Geflüchteter erheblich. Die mögliche Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen wurde verlängert, die Abschiebungshaft massiv ausgeweitet. Dies laufe jedoch EU-Recht zuwider, das eine Verminderung von Haft anstrebe.
Die Art und Weise, wie Europa Schutzsuchende behandele, zeige, dass der Zugang zum Recht auf Asyl 70 Jahre nach der Genfer Konvention faktisch abgeschafft sei. Flüchtlingsabwehr und Unterbringung in nicht europäischen Staaten, auch in Diktaturen und Staaten mit antidemokratischen Regimen, verschärfe die Lage Geflüchteter. Deals wie der mit der Türkei hätten keinen rechtlichen Rahmen und seien deswegen nicht angreifbar. Mit Frontex habe Europa eine Behörde zur Flüchtlingsabwehr errichtet, die der parlamentarischen Kontrolle entzogen sei und die nachweislich Menschenrechte verletzt habe. Illegale Push- und Pullbacks werden von den europäischen Staaten geduldet. Der „New Pact on Migration and Asylum“ zementiere diese Politik, die eindeutig die Grenzsicherung vor den Schutz der Menschenrechte für Geflüchtete stelle, wie die Genfer Konvention sie fordert.
Pfarrer Lipsch machte den Teilnehmenden Mut, sich für eine solidarische Asylpolitik einzusetzen. Diese stelle den Schutz des Einzelnen und die Menschenrechte in den Vordergrund. Für Menschen auf der Flucht sei es wichtig, auf legalen und gefahrenfreien Wegen nach Europa kommen zu können. Europa könne ohne Not Erstaufnahmestaaten entlasten. Die Freistellung der Wahl des Asyllandes könne für Geflüchtete und Aufnahmeländer von Vorteil sein. International Schutzberechtigten solle Freizügigkeit innerhalb der EU gewährt werden. Auf der kommunalen Ebene gelte es, Flüchtlinge am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Insgesamt gehe es darum, den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechtes auch über die Grenzen der EU hinaus zu erweitern.
Der Präsident des Landtags von Rheinland-Pfalz, Hendrik Hering, gratulierte dem Arbeitskreis Integration und Asyl zu seinem 20-jährigen Bestehen und zeigte hohen Respekt gegenüber dem Engagement der Mitglieder. In ihren Reihen zeige sich auch, welch einen positiven Beitrag Menschen, die aus dem Ausland kommen, zur Kultur des Miteinanders in unserer Gesellschaft beitragen. In besonderer Weise erwähnte er in diesem Zusammenhang Margaret Haas, die aus Neuseeland kommt und sich in besonderer Weise im Sprachkurs, im Internationalen Frauentreff und in der Einzelfallbetreuung engagiert hat.
Er wies darauf hin, wie derzeit rechtsgerichtete Gruppierungen versuchen, mit eigenen Narrativen auf die Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Deswegen sei es wichtig, nicht unbedacht Begriffe wie „Flüchtlingswelle“ zu übernehmen, sondern Einzelschicksale in den Blick zu nehmen.
Ein Ja zu unserer Gesellschaft bedeute auch ein Ja zur Komplexität. Nicht einfache Lösungen, sondern Erklären und aufmerksames Zuhören seien nötig. Länder, die sich heute abschotten, seien langfristig nicht zukunftsfähig.
Verbandsbürgermeister Peter Klöckner betonte, dass er in seiner langen Amtszeit immer darauf Wert gelegt hätte, dass Geflüchtete und Fremde Mitbürger in der Stadt und Verbandsgemeinde Hachenburg werden können. Es sei ein bemerkenswerter Zufall, dass er bei dieser Veranstaltung sein letztes öffentliches Wort im Amt des Verbandsbürgermeisters sprechen könne. Er dankte den Mitgliedern des Arbeitskreises Asyl für ihren wertvollen, menschlichen Beitrag. Sie hätten dazu beigetragen, Vertrauen zu stiften und Türen zu öffnen. Unsere Gesellschaft brauche dieses Vertrauen und einen Raum, in dem man über alles reden kann. Die letzten Jahre hätten leider gezeigt, wie Menschen mit einer perfiden Art und Weise diesem Vertrauen entgegenwirken. Ihnen gelte es, entgegenzutreten, gerade in der aktuellen Situation. Wichtig sei ihm, die Freude an der Vielfalt zu leben und bereit zu sein, sich aktiv für die Freiheit einzusetzen. Spontan spendeten die Teilnehmenden dem scheidenden Verbandsbürgermeister Peter Klöckner stehenden und lang anhaltenden Applaus.
Dekan im Ruhestand Martin Fries erinnerte daran, wie im Jahr 200O ein öffentlicher Aufruf von Verbandsbürgermeister Klöckner und die Initiative aus der Evangelischen Kirchengemeinde Altstadt zur Gründung des Arbeitskreises geführt haben und dankte für die Unterstützung der Arbeit des Arbeitskreises Integration und Asyl in den vergangenen 20 Jahren. Er erinnerte auch an die gute Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsseelsorger der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Pfarrer Friedrich Vetter aus Mainz, der es sich nicht nehmen ließ, an der Veranstaltung teilzunehmen. Er dankte Pfarrer Uwe Rau (Ingelheim), dem neuen Flüchtlingsseelsorger der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Präses Bernhard Nothdurft und Dieter Eller vom Dekanatssynodalvorstand des Evangelischen Dekanates Westerwald für ihre Teilnahme.
Die Veranstaltung fand im Rahmen der Interkulturellen Woche 2021 statt und wurde von Volker Siefert (Keyboard) und Christiane Löflund-Fries (Blockflöte) musikalisch begleitet. (PM)
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