Molsberg: Einzigartige Kunstausstellung zum Mythos Wald
Mit einer Gruppenausstellung zur mythischen Seite des Waldes fügt die Ausstellungsreihe Change!, die sich mit dem faktischen Wandel im Verhältnis von Mensch und Umwelt beschäftigt, einen wichtigen Aspekt hinzu. Im Zusammentreffen von zehn künstlerischen Positionen ergibt sich eine facettenreiche Collage des Waldes, die sein Geheimnis sowohl unerbittlich düster als auch in strahlenden Farben zeigt.
Molsberg. Eine Gruppenausstellung von zehn Ausnahmekünstlern beschäftigt sich derzeit in der Emmanuel Walderdorff Galerie auf dem Hofgut Molsberg mit dem Mythos Wald. Durch das Zusammenspiel der Exponate ergibt sich eine einzigartige Collage mit düsteren und strahlenden Faceten des Waldes.
Man kann sich kaum vorstellen, wie es im Herzen Europas einmal ausgesehen haben muss. In der Germania des römischen Historikers Tacitus wird die Landschaft nördlich der Alpen als düsterer, ja erbarmungsloser Ort beschrieben, im Zentrum seiner Ausführungen steht der Wald. Doch wie fast überall in Europa sind auch in Deutschland die Urwälder seit vielen Jahrhunderten verschwunden und mit ihnen die Wildnis, die Dunkelheit und jenes Unergründliche, das im Zusammenspiel der sich selbst überlassenen Lebensformen entsteht.
Was jedoch lebendig blieb, ist ein besonderes kulturelles Verhältnis zum Wald, das sich aus einer kollektiven Erinnerung an diese einstige Urtümlichkeit zu speisen scheint. Insbesondere brachte dies eine Symbolik hervor, die von den Baumkulten der Nordischen Mythologie bis zur ambivalenten Überhöhung des Waldes in der Epoche der Romantik reicht. In allen Ländern, in denen es Wälder gibt, findet man den Wald als Schauplatz von Geschichten. Derzeit lässt sich eine neue Hochkonjunktur beobachten, wenn sich im Unterhaltungsangebot der Streamingdienste Serien tummeln, die sich ganz offensiv der Naturkulissen bedienen. Der besondere Reiz besteht im Doppelgesichtigen des Motivs, liegen doch im Wald das Heimelige wie das Schaurige beieinander. Dies wiederum erlaubt jeder Erzählung, so abstrakt sie sich auch geben mag, jederzeit einen Stimmungswechsel zu vollziehen.
Henrik Schrat
Henrik Schrat zeigt mit seiner kürzlich erfolgten Neubebilderung der Grimm’schen Märchen, wie sich diese überlieferten Erzählungen in unser heutiges Leben zurückbringen lassen. Moderne Figuren und städtische Architektur brechen in die romantische Szene eines Waldsees ein. Schrat hinterfragt mit seinen Zeichnungen die Statik des Märchen und macht deutlich, dass auch die starrste Textform dank visueller Mittel transformierbar bleibt.
Annette Philp
Ähnlich beschäftigt sich Annette Philps Videoarbeit mit der Rolle des Waldes, in dem Frauen als helfende, wissende und heilende Wesen agieren – verschiedene Überlieferungen und Glaubensvorstellungen überspannend. Ausgehend von den Merseburger Zaubersprüchen und ihren rätselhaften Idisen, die Gefangene von ihren Fesseln befreien und ein verletztes Fohlen heilen, spannt sie einen Bogen zu dem in der christlichen Kultur über Jahrhunderte wiederkehrenden Motiv der Drei Jungfrauen.
Gisela Krohn
Für die Malerin Gisela Krohn erlaubt die Art und Weise, wie wir uns ein Bild von unserer natürlichen Umgebung machen, immer auch einen Rückschluss auf die Natur des Menschen. Sie füllt die Leinwand mit flüssigem, dünnem Farbauftrag und zeigt, wie empfindlich sowohl die Natur als auch unser Blick darauf sein können.
Attila Szucs
Das Gemälde des ungarischen Künstlers Attila Szücs wirkt dagegen wie die Erinnerung an ein Erlebnis, dessen wir uns in Teilen genau und in anderen nur noch nebulös entsinnen. Wird aus den malerischen Strukturen ein Reh mit hohlen Augen, das sich im zersetzenden Hintergrund verliert? Zwei Wasserfälle oder doch eher Haarlandschaften sind trotz ihrer fotorealistischen Ausführung kaum zuzuordnen.
Alexander von Schlieffen
Alexander von Schlieffen hat sich und uns die Pilze, die wohl rätselhaftesten Bewohner des Waldes, malerisch erschlossen. Mit den Fruchtkörpern nur einen Bruchteil ihrer Existenz preisgebend, verzweigen sie sich unter dem Erdboden und gestalten ihren Lebensraum als Träger unsichtbarer Botenstoffe aktiv mit. Die zweifarbige Ausführung in Blau-Orange-Tönen korrespondiert mit der scheinbar unüberbrückbaren Distanz zwischen den Lebensformen.
Kristine Oßwald
Dass diese letztlich in zyklischen Prozessen zusammenhängen, zeigt die Arbeit Kristine Oßwalds. Anhand einer fotografischen Langzeitaufzeichnung über biologische Zerfallsprozesse zeichnet die Künstlerin nach, wie Zersetzung und Neubevölkerung, Fäulnis und Pilze, aber letztlich auch Mensch und Natur miteinander verwoben sind.
Juyoung Paek
Der große weiße Hirsch der Keramikerin Juyoung Peak entstammt einer Werkgruppe, die sich mit dem Traum befasst. Aller Farbigkeit enthoben erscheint der Hirsch als Archetyp einer neuen Art. Dank seiner kubistischen Form erweckt er gleichzeitig den Eindruck, als habe man die Symbolik des Tiers, das nach weitläufiger Auffassung Stärke verkörpert, in eine andere Richtung umgeleitet. Hier steht er nun für die Hoffnung, die sich ebenfalls ständig erneuern muss.
Thomas Thiede
Demgegenüber schafft Thomas Thiede die weiße Rekonstruktion eines „denkenden“ Baumes, hergestellt aus Zellulose. Mit der Verwendung dieses Materials erinnert er uns daran, dass das komplexe Ökosystem Wald aus nur wenigen Elementen einen unendlich reichen Kosmos erschafft.
Hannu Karjalainen
Der finnische Multimediakünstler Hannu Karjalainen wiederum nimmt sich für seine neueste Videoarbeit die menschengemachte Ökokatastrophe zur Grundlage für eine abstrakte Erzählung über die Unvorhersehbarkeit und Unheimlichkeit von Transformationen. Mittels Sichtbarmachung und Integration von digitalen Glitches und anderen algorithmischen Fehlern digitaler Videobearbeitung, ist er in der Lage, irritierende Bewegung in stille Waldszenen zu bringen und auf Brüche zu verweisen, die entstehen, wenn sich ein Prozess durch äußere Einflussnahme unnatürlich beschleunigt.
Rosemarie Trockel
Eine ganz besondere Übersetzung der Mystik des Waldes liefert letztlich Rosemarie Trockel. Ihr neuestes Werk ist ein Duft, den sie in Zusammenarbeit mit einem Kölner Label als Edition entwarf. „A walk in the woods with animal crossing. A bush is a bear.“ So beschreibt die Künstlerin die Wirkung in der Nase. Möge sich dieser mysteriöse Eindruck wie ein Schleier über die Ausstellung legen. (PM)
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