Peter Sternberg aus Kalifornien findet seine jüdischen Wurzeln im Westerwald
Der Montabaurer Stadtarchivar Dennis Röhrig deckt viele Spuren auf: Ein Nachfahre von Holocaust-Flüchtlingen, der in Amerika lebt, ist überwältigt von der Hilfe bei seinen Recherchen über seine Familienwurzeln. Das Haus der Großeltern in Montabaur steht noch und in Maxsain wurde sogar der Grabstein des Ur-Ur-Großvaters gefunden.
Montabaur/Maxsain. Das Schicksal der Familie Sternberg ist eng verknüpft mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte – der Nazizeit mit dem Holocaust und dem systematischen Auslöschen jüdischen Lebens. Zwei Jahre lang hat der US-Amerikaner Peter Howard Sternberger nach seinen jüdischen Wurzeln geforscht. Dazu ist er eigens aus Kalifornien in den vorderen Westerwald und ins hessische Reiskirchen gekommen, um die Spuren seiner Familie zu verfolgen. Er lernte Menschen kennen, die ihn begleiteten. Er sah Häuser, in denen seine Vorfahren gelebt haben. Und er fand sogar das Grab seines Ur-Ur-Großvaters Alexander Sternberg Süßkind.
„It was so emotional!“
Diesen Satz sagte Peter Sternberg wieder und wieder. Er war überwältigt von der Gastfreundschaft und der Begeisterung, mit der ihn bislang fremde Menschen unterstützten. Zusammen mit ihnen entdeckte er, wonach er gesucht hat.
Montabaur und Maxsain im Westerwald gehören zur alten Heimat der Sternbergs. Mit Dennis Röhrig, Stadtarchivar in Montabaur, fand Peter Sternberg gleich zu Beginn seiner Nachforschungen einen ebenso engagierten wie gewissenhaften Mitstreiter. Röhrigs Quellenstudium fördert ungeahnte Details zutage, die sich zusammen mit persönlichen Erzählungen und Erinnerungen zur Geschichte der jüdischen Familie fügen.
Demnach zog um 1890 Simon Sternberg von Maxsain nach Montabaur, 1898 kaufte er im Vorderen Rebenstock ein Haus mit Stall und Düngplatz und dazu einen Garten im Hinteren Rebenstock. Im selben Jahr heiratete er Settchen Löwenberg aus Reiskirchen. Simons Beruf wird in den Unterlagen mit Handelsmann angegeben, er betrieb aber auch eine Metzgerei in Montabaur. Ob die Konkurrenz zu groß war oder ob es Settchen zu ihren Angehörigen zog ist unbekannt. Jedenfalls siedelte das Ehepaar mit dem 1899 geborenen Sohn Norbert 1910 nach Reiskirchen um, wo im Jahr darauf Peter Sternbergs Vater Kurt zur Welt kam. Dieser arbeitete später bei seinem älteren Bruder Norbert im Textilunternehmen „Grünebaum und Sternberg“ in Frankfurt.
Als der Nazi-Terror begann, war es Kurt, der die Zeichen der Zeit erkannte: "Wer als Jude überleben will, muss heraus aus Nazi-Deutschland." Im Alter von 26 Jahren wanderte er nach Südafrika aus. Nur mit großer Mühe gelang es ihm, auch seine Eltern und seinen Bruder zur Emigration zu überreden.
Peter Sternbergs Mutter Ellen stammte aus dem Schwarzwald. Sie verließ Deutschland 1939 zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Afrika. Die Flucht endete in Rhodesien, dem heutigen Simbabwe.
Die Heimat verlassen
Peter Sternberg: „Die Familien meiner Mutter und meines Vaters haben Deutschland schweren Herzens verlassen, weil sie sich extrem bedroht fühlten durch die wachsende furchtbare Verfolgung der Juden. Zudem durften sie ihren Geschäften nicht mehr nachgehen.“
In Afrika lernen Kurt und Ellen sich kennen, heirateten und bekamen zwei Söhne und eine Tochter. Peter, 1955 geboren, ist das jüngste Kind. Vor fünf Jahren ist er mit seiner Frau nach Los Angeles gezogen, um den gemeinsamen Zwillingssöhnen und ihren Familien nahe zu sein, die dort leben.
Seine Mutter Ellen, die 2019 im Alter von 95 Jahren starb, interessierte sich sehr für die Herkunft ihrer Familie und schrieb ein Buch darüber. Ihr Tod war der Auslöser für Sohn Peter, Recherchen über den väterlichen Zweig aufzunehmen – die Sternbergs.
Peter Sternberg hat den Entschluss, auf einen anderen Kontinent zu wechseln, leichten Herzens gefasst - anders als seine Vorfahren, die keine Heimat mehr fanden.
„Sie fühlten sich verloren. Die deutsch-jüdische Gemeinde in Kapstadt war eine geschlossene Einheit, die von außen mit Misstrauen betrachtet wurde. Und man hatte es auch nicht gern, wenn Deutsch gesprochen wurde“, erklärte Peter Sternberg, der selbst lediglich einige Brocken Deutsch von seinem Großvater in Rhodesien gelernt hat.
So fremd ihm unsere Sprache bleibt, so groß ist das Interesse an seinen Vorfahren. Die Corona-Pandemie verzögerte seine Pläne. Aber im Oktober kam Peter Sternberg endlich in die Heimat seiner Väter - auch nach Maxsain und Montabaur.
In Montabaur stand Peter Sternberg am Vorderen Rebstock Nummer 15, wo die Großeltern zuvor wohnten und sein Onkel Norbert zur Welt kam. Der unermüdliche Stadtarchivar Dennis Röhrig hat eine kleine Zeitungsannonce aus dem Jahr 1910 entdeckt. Darin bietet Simon Sternberg, auf dem Sprung nach Reiskirchen, einen „Stall nebst Heuboden“ zur Miete an. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist damit ein kleiner Fachwerkbau hinter dem Haus gemeint.
Die Sensation: Das Grab des Ur-Ur-Großvaters entdeckt
In Maxsain erwarteten Bürgermeister André Philippi und sein Vorgänger Willi Löcher den Gast aus Amerika. Sie besuchten gemeinsam den jüdischen Friedhof außerhalb des Orts. 35 Grabsteine sind erhalten. Einer, auf dem kein Name zu erkennen ist, trägt als Relief zwei Hände. Das ist ein Anhaltspunkt. Peter Sternberg erläutert, dies sei das Symbol der Kohanim, des höchsten Priesterstandes im Judentum. Seine Familie gehörte dazu. Urgroßvater Nathan Sternberg hatte eine leitende Funktion im Maxsainer Synagogenvorstand.
Spontan begann André Philippi mit den bloßen Händen, lose Erde vor dem Grabstein wegzuschaufeln. Und tatsächlich: Auf dem frei gelegten Stein sind jetzt zwei Namen deutlich zu lesen: Sternberg und Süsskind. Dazu konnte Dennis Röhrig sein Wissen beisteuern: Im Jahr 1841 mussten die Juden im Herzogtum Nassau zur „Assimilation“ ihre Familiennamen ändern. Die jüdische Familie Süsskind aus Maxsain nannte sich seitdem Sternberg, und eine Zeitlang existierten wohl beide Namen nebeneinander. Dies ereignete sich zu Zeiten von Nathans Vater Alexander. Jetzt erlebt der Nachfahre aus Kalifornien den bewegendsten Moment seiner Reise: „Wir hatten das Grab meines Ur-Ur-Großvaters gefunden!“
Die Erkenntnis, das original Grab seines Ur-Ur-Großvaters gefunden zu haben, gehört zu den bewegensten Momenten der Reise Peter Sternbergs, der Deutschland voller Dankbarkeit verließ: „So viele Menschen haben mir geholfen. Nur dadurch ist es gelungen, die Geschichte meiner Familie über fünf Generationen zurückzuverfolgen.“ Er weiß nun, wo seine Wurzeln liegen und wie seine Vorfahren gelebt haben. Und er kann nachempfinden, wie sehr sie ihre Heimat liebten und wie bitter der Abschied war. Peter Sternberg brennt nun darauf, die Erkenntnisse dieser außergewöhnlichen Reise mit seinen Söhnen und den fünf Enkeln sowie seinem Bruder und dessen Familie zu teilen: „Das ist ein Vermächtnis. Denn wir alle tragen den Namen Sternberg weiter.“ (PM)
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