Westerwälder Unternehmen äußern Unmut über den Moloch der Bürokratie
Die Vollversammlung des Beirates der IHK-Regionalgeschäftsstelle Montabaur thematisierte die Probleme der heimischen Wirtschaft. Corona-bedingte Herausforderungen, Logistik, Teuerungen, Fachkräftemangel und Lieferengpässe: Die Unternehmen müssen schwer kämpfen, um voran zu kommen. Wenn dann bürokratische Prozesse deutlich länger dauern und komplizierter werden, fehlt den Unternehmern jedes Verständnis.
Montabaur. Auf der letzten Herbstsitzung des Beirates der IHK-Regionalgeschäftsstelle Montabaur in der zu Ende gehenden Wahlperiode der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Koblenz diskutierten und bewerteten kürzlich 18 Unternehmer aus dem Rhein-Lahn-Kreis und dem Westerwaldkreis die aktuelle Lage und Perspektiven der heimischen Wirtschaft.
In jeder Geschäftsstelle der IHK Koblenz besteht ein Beirat, der jährlich mindestens zweimal tagt. Er setzt sich aus den Mitgliedern der Vollversammlung zusammen, die im Bereich der Geschäftsstelle ihren Unternehmenssitz haben. Der Beirat berät die Geschäftsstelle in ihrer Aufgabe als Vertretung der gesamtwirtschaftlichen Interessen in der Region. Zudem beobachtet und berät er über die wirtschaftliche Lage im Geschäftsstellenbereich, setzt Zeichen und gibt Impulse auch in Richtung Öffentlichkeit.
Unterbrochene Lieferketten und steigende Energiepreise
Die aktuelle Pandemie-Lage dominierte die Beratungen des Gremiums der Unternehmer. Alle Wirtschaftsbereiche seien zwischenzeitlich auf die eine oder andere Weise betroffen. Die Industrie kämpfe mit den unterbrochenen Lieferketten, stark gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen sowie Personalengpässen. Zum Beispiel koste Stahl derzeit das Vierfache im Vergleich zu 2019. Der Handel sei in vielen Bereichen nicht so lieferfähig, wie dies in der jüngeren Vergangenheit noch normal war. Er kämpfe nach wie vor mit dem Rückstand aus den Zeiten des Lockdowns.
Letzteres gelte auch und vor allem für die Hotellerie, Gastronomie, Tourismus- und Freizeitwirtschaft. Weite Bereiche des Dienstleistungssektors seien von den vorgenannten Wirtschaftssektoren abhängig und dadurch entsprechend betroffen. „Wir haben teilweise – vor allem in der Industrie – eine sehr gute Auftragslage. Doch fehlen die Ressourcen an Material, Vorprodukten und auch beim Personal, um die Aufträge fristgerecht oder überhaupt abzuarbeiten.“, so die gemeinsame Stellungnhme der IHK-Beiräte.
Logistik-Probleme werden zur Herausforderung
Hinzu kommen Logistik-Probleme, wie man sie in den letzten Jahrzehnten nicht erlebt habe: Nicht nur stiegen die Frachtkosten deutlich – es fehle weltweit an Transport- und Lagerkapazitäten. Corona-bedingte Personalengpässe in den großen Containerhäfen Asiens und in Nordamerika verzögerten die Abfertigung der Schiffe gen Europa deutlich. Die Beiräte erwarten, dass diese Situation grundsätzliche Auswirkungen auf die künftige Gestaltung der Logistikketten haben wird.
Die Beschaffung von Materialien und Rohstoffen werde in den Unternehmen künftig eine noch größere Bedeutung einnehmen. Will ein Unternehmen – vor allem in der Industrie – nachhaltig erfolgreich sein, so empfiehlt der IHK-Beirat diesen Aufgabenbereich als Kern- oder Schlüsselkompetenz zu entwickeln. Just-in-Time-Beschaffung stelle mehr und mehr einen Risikofaktor dar. Der Aufbau zumindest von Pufferlägern werde hingegen wieder wichtiger. Die Beiräte erwarten, dass in den kommenden Jahren große Herausforderungen aber auch Chancen auf die Unternehmen zukommen, die die Bekämpfung des Klimawandels und die wachsende Bedeutung nachhaltigen Wirtschaftens einschließen.
Bürokratische Hürden
Der Erfahrungsaustausch im IHK-Beirat offenbarte zudem geradezu Unmut über die selbst in der Pandemie wachsende Bürokratie in der öffentlichen Verwaltung. Jedes Beiratsmitglied konnte von entsprechenden Erfahrungen auf Ebene der Kommune, Verbandsgemeinde, aus dem jeweiligen Landkreis oder den übergeordneten Verwaltungseinheiten und Genehmigungsbehörden berichten.
„Die sowieso schon problematische Situation in Sachen Bürokratie scheint während Corona noch schwieriger geworden zu sein. Wir erleben, dass Entscheidungen im Rahmen von Genehmigungsverfahren deutlich länger dauern, die Verfahren – warum auch immer – komplizierter werden, Verantwortliche vor Ort in den Behörden sich scheuen, Entscheidungen zu treffen. Man hat den Eindruck, dass die Corona-bedingt gewachsene Distanz zwischen der Wirtschaft und den Behörden dazu geführt hat, dass bei Letzteren das Verständnis für die Erfordernisse in den Unternehmen und für deren Beschäftigte gelitten hat“, fasst der IHK-Beirat seinen Unmut zusammen.
Es gebe Fälle, bei denen das Verfahren zur Genehmigung von Bauinvestitionen sich so zäh gestaltet habe, dass deshalb die Kosten für das Vorhaben um 30 Prozent gestiegen seien. Spätestens bei solchen Erfahrungen in dieser ohnehin schon schweren Zeit höre der Spaß auf. Die IHK-Beiräte erwarten von den Verantwortlichen auf allen Verwaltungsebenen mehr Sensibilität und dass sie sich diesem Thema stärker widmen. Das Problem seien sicherlich zum Einen die gesetzlichen Vorgaben. Doch Unternehmer würden auch erleben, dass es eine Frage der individuellen Einstellung innerhalb der Genehmigungsbehörden sei. Die Westerwälder Unternehmen würden sich wünschen, dass die Behörden im Rahmen ihrer dienstleisterischen Aufgaben den Antragstellern helfen, um im Rahmen der Gesetze etwas zu ermöglichen.
Fachkräftemangel, Ausbildung, Digitalisierung
Weitere Beratungsthemen im regionalen IHK-Gremium waren der Fachkräftemangel, die Situation am Ausbildungsmarkt sowie die beschleunigte Digitalisierung der Prozesse in den Unternehmen. Wer sich – auch in den kleineren Unternehmen – mit diesen Themen nicht auseinandersetze, werde in absehbarer Zeit vom Markt verschwinden, prognostizieren die Beiräte. Dies gelte unter den gegenwärtig erschwerten Rahmenbedingungen umso mehr. Die Unternehmen müssten aktiv an ihrer Arbeitgebermarke (Employer-Branding) arbeiten, um von den für sie erforderlichen Fachkräften positiv wahrgenommen zu werden. Dazu gehöre auch eigene Ausbildung.
In Sachen Ausbildung wurde mit Sorge festgestellt, dass im Rhein-Lahn-Kreis und dem Westerwaldkreis zum Stichtag 30. September noch mehr als 300 angebotene Ausbildungsplätze nicht besetzt werden konnten. Ebenso würde das Bildungsniveau der Schulabgänger immer weiter sinken. Der Corona-Lockdown der Schulen habe die Situation noch verschärft.
Die Lernumgebung in den Schulen müsse daher dem technischen und digitalen Fortschritt Rechnung tragen. Zur Weiterentwicklung dieses Standortfaktors zähle auch die Verankerung von digitalen Kompetenzen und ökonomischem Wissen in den Lehrplänen sowie der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte. Auch die Berufsorientierung müsse noch stärker in den digitalen Fokus rücken, unterstreichen die Beiräte der IHK-Regionalgeschäftsstelle Montabaur. Zwar erkenne ein Großteil der Unternehmen in Sachen Digitalisierung eine positive Entwicklung in den letzten fünf Jahren, aber die diesbezüglich nach wie vor zurückhaltende Bewertung durch die hiesigen Unternehmen sei nicht zufriedenstellend. Insgesamt müsse die Standortentwicklung deutlich anziehen. (PM)
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