Waldnachmittag in Hachenburg fordert ökologische Waldwende
Naturschutzinitiative (NI) und mehrere Wissenschaftler fordern eine ökologische Waldwende. Die Naturschutzinitiative warnt davor, Douglasien anzupflanzen, wo Waldschäden sichtbar seien, und wehrt sich gegen Windkraftanlagen in den Wäldern.
Hachenburg. Der Umweltverband Naturschutzinitiative e.V. (NI) und die Wissenschaftler Dr. Martin Flade, Gabriele Neumann und Dr. Klaus Richarz forderten auf dem Waldnachmittag der NI eine ökologische Waldwende, ein Ende der naturwidrigen Aufräum- und Aufforstungsprogramme sowie die Durchführung von FFH-Verträglichkeitsprüfungen in europäischen Waldschutzgebieten (FFH steht hierbei für Flora, Fauna, Habitat, also den Pflanzen, Tieren und dem Standort). Aktuell müsse es vorrangig um ein konsequent ökologisch orientiertes Forstmanagement um den substanziellen Erhalt der heimischen Waldökosysteme gehen.
Die Gründe für die aktuelle Entwicklung würden allzu schnell allein mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Doch die zurückliegenden Dürrejahre hätten ihre verheerende Wirkung nur entfalten können, aufgrund einer jahrzehntelang auf Nadelholz fixierten, falschen und nicht nachhaltigen Forstwirtschaft, erklärten Dr. Martin Flade, Gabriele Neumann und Dr. Klaus Richarz.
Bei den großflächigen Schäden in den Fichtenforsten handele es sich überwiegend nicht um ein Waldproblem, sondern um ein Forstwirtschaftsproblem, da zumeist naturferne Wirtschaftsforste von der Trockenheit der letzten beiden Sommer und von dem Befall durch Borkenkäfer betroffen seien, so die Experten.
Abgestorbene Nadelholzflächen nicht räumen, sondern sich selbst zu überlassen
Es sollten möglichst viele Nadelholzflächen nicht mehr geräumt, sondern sich selbst überlassen werden. Je mehr Holz aus der Fläche entnommen werde, je stärker die Flächen mit schwerem Gerät befahren würden, desto ungünstiger wirke sich dies auf die Regenerationsfähigkeit des Bodens, insbesondere auf die Humusneubildung, die Wasserspeicherfähigkeit und die nachfolgende Waldentwicklung aus. Durch die Freilegung der Böden würden nach einer Studie der TU Dresden bis zu 140 Tonnen CO2 pro Hektar in 10 Jahren freigesetzt.
Eine weitere wichtige Maßnahme sei die Erhaltung aller älteren Laubwälder mit geschlossenem Kronendach, was eine Reduzierung des dortigen Holzeinschlags bedeute. Geschlossene Laubwälder übernähmen eine wichtige Kühlfunktion, die der weiteren Klimaerwärmung entgegenwirke.
Der Schutz vor Sonneneinstrahlung sei enorm wichtig. Durch den enormen Biomasse-Entzug würden Humusanreicherung, die Speicherung von Feuchtigkeit und damit auch die Kühlung stark eingeschränkt. Die Böden erhitzten sich im Sommer stärker und trockneten schneller aus. Zudem gehe Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten verloren, die am Prozess der Selbsterneuerung des Ökosystems maßgeblich beteiligt seien. Der praktiziende Ansatz dieser Räumung begünstigte aus ökologischer Sicht im Grunde die nächste Katastrophe.
Douglasien sollen negative Auswirkungen auf den Wasserhauhalt haben
Die Förderung der ökologischen Funktionstüchtigkeit der heimischen Wälder sollte im Vordergrund stehen, nicht der kurzfristig gedachte ökonomische Erfolg. Die Anpflanzung von standortfremden Douglasien, wie sie etwa in den Gemeinden Helferskirchen, Ransbach-Baumbach oder auf der Montabaurer Höhe zu beobachten sei, wäre der falsche Weg. Denn gerade der flächige Anbau von Douglasien habe wegen der geringen bis sogar negativen Grundwasserneubildung unter diesen Beständen verheerende Auswirkungen auf den Landschaftswasserhaushalt.
Große Bereiche des Gemeindewaldes von Hillscheid sind FFH-Gebiet. Der Umgang mit den sogenannten Kalamitätsflächen mit dem Ergebnis großer Kahlflächen stelle für den Erhaltungszustand dieser Buchenwälder ein großes Risiko dar und sei nicht nachhaltig.
Vor allem im FFH-Gebiet „Montabaurer Höhe“ wurden großflächige Fällungen auf Nadelholzflächen vorgenommen, aber auch auf der Fuchskaute, einem bedeutenden europäischen Vogelschutzgebiet, seien die Eingriffe gravierend. Forstarbeiten in FFH-Wäldern, bei denen keine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, erachte die Naturschutzinitiative (NI) als rechtswidrig. Der Landesvorsitzende der NI, Harry Neumann kündigte an, diese landesweit bedeutsame Frage auch juristisch klären zu lassen.
Absolut kontraproduktiv sei es, auf nicht einheimische Baumarten wie etwa die Roteiche zu setzen, da diese invasive Art keine geeigneten Nahrungssubstrate für die heimische Insektenfauna darstelle. Andere Forstreviere der Region, zum Beispiel die der Verbandsgemeinde Selters, setzen hingegen weitgehend auf Naturverjüngung ohne standortfremde Baumarten. Zu begrüßen seien auch die Planungen im Stadtwald Montabaur zu mehr natürlicher Entwicklung, die Waldbewirtschaftung im Forstrevier Marienstatt sowie die Empfehlungen des Forstlichen Bildungszentrums zu einer stärker ökologisch ausgerichteten Forstwirtschaft.
Windenergie im Wald und Artenschutz
Dr. Klaus Richarz setzte sich mit der Errichtung von Windindustrieanlagen im Wald auseinander und beleuchtete hierzu Anspruch und Wirklichkeit. Durch seine jahrzehntelange Tätigkeit im ehrenamtlichen und amtlichen Naturschutz, zuletzt 22 Jahre als Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, verfügt Dr. Klaus Richarz über profunde Erfahrungen und Kenntnisse, insbesondere auch durch seine Mitarbeit an drei Länder-Leitfäden zum Ausbau der Windenergie.
Mit dem aktuellen Helgoländer Papier als Fachkonvention existierten zwar einheitliche Fachstandards, deren Umsetzung sei aber mangelhaft. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffe eine große Lücke, so Dr. Richarz.
Rotmilan – Deutschlands heimliches Wappentier
Am Beispiel des „heimlichen Wappentieres“ Deutschlands, dem Rotmilan, machte Richarz das Konfliktpotenzial deutlich: die Auswertung der Aktivitätsmuster von 11 besenderten Rotmilanen in Hessen während der Brutzeit kamen zu dem Ergebnis, dass 75% aller Ortungen innerhalb eines Radius von 2,2 km um das Nest lägen. Windenergieanlagen in diesem Bereich führten zu einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos. Das Einhalten des Abstandskriteriums von 1500 Metern beim Rotmilan vermeide daher unnötige Schlagopfer. Auch Hessen weiche mit einem Schutzradius von nur 1000 Metern von den Empfehlungen des Helgoländers Papieres ab, so dass erst kürzlich eine Genehmigung vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wurde.
Schwarzstorch schützen
Beim Schwarzstorch gebe es zwar bisher wenige bekannte Kollisionsopfer, dieser sei aber sehr störungssensibel und zeige ein sehr hohes Meideverhalten im Horstumfeld. Weit über der Kronenschicht älterer Baumbestände führen große Brutvogelarten wie Störche und Greifvögel ihre Revier-, Balz- und Thermikflüge sowie größere Streckenflüge aus. Auch Zugvögel nutzten diesen Bereich. Daher sei es aus fachlicher Sicht dringend erforderlich, die Abstandsempfehlung des Helgoländer Papieres einzuhalten. Am Beispiel des Vogelschutzgebietes Vogelsberg konnte eine Abnahme der Schwarzstorchbrutpaare von 13-14 (2002) auf nur noch 5 (2017) beim zeitgleichen Zubau auf 178 Windenergieanlagen festgestellt werden. Dagegen blieb die Population in den anderen hessischen Regionen im gleichen Zeitraum stabil oder zeigte eine nur leichte Abnahme.
Zeit zum Inne halten
Nachdem Dr. Richarz fachlich fundierte Handlungsempfehlungen auch zu den von Windindustrieanlagen stark betroffenen Fledermäusen (mindestens 250.000 getötete Tiere pro Jahr) vorgestellt hatte, stellte er abschließend die Frage:
“Wäre es nicht langsam an der Zeit, einmal inne zu halten, um sich neu zu justieren im Konfliktfeld Artenschutz versus Erneuerbare Energien, damit unsere Arten nicht auf der Strecke bleiben?“ Er forderte, die Atmosphäre schützen, ohne die Biosphäre zu zerstören.
Welche Wälder Wildkatzen als Lebensraum brauchen
Wildkatzenforscherin Gabriele Neumann erläuterte, welche Wälder Wildkatzen als Lebensraum brauchen. Die europäische Wildkatze sei streng geschützt, unter anderem durch die Berner Konvention und das Bundesnaturschutzgesetz und als besonders geschützte Art im Anhang IV der FFH-Richtlinie gelistet. Sie stehe nach wie vor als „gefährdet“ auf der Roten Liste Deutschland, so Gabriele Neumann.
Die Wildkatze sei eine der bundesweiten Verantwortungsarten und stehe als Leitart für die Artengemeinschaft älterer naturnaher Waldlebensräume. Sie zeige die Qualität eines von ihr bewohnten Gebietes im Hinblick auf Vielfalt an. Die sehr störungssensible Art habe hohe Ansprüche an ihren Lebensraum und sei auf große, zusammenhängende, naturnahe und störungsarme Waldgebiete, insbesondere Buchen- und Eichenmischwälder, vielfältige Strukturen und Biotopbestandteile, Naturverjüngung, stehendes und liegendes Totholz, Baumhöhlen, Wald-Wiesen-Mischlandschaften sowie auf Felsen, Kuppen und Geröllzonen in sonniger Lage angewiesen, so die Wissenschaftlerin.
Neue Forschungsergebnisse
Als Projektkoordinatorin eines dreijährigen Forschungsprojektes der Deutschen Wildtier Stiftung stellte Neumann das von ihr entwickelte Konzept, die Methoden und einige Ergebnisse vor. Habitatpräferenzen der Wildkatze seien insbesondere Waldlücken, Gewässer und Gehölze, wobei es hier signifikante Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Wildkatzen gebe. Siedlungen, Verkehrswege und Windenergieanlagen würden von beiden Geschlechtern gemieden, was zu einer Einschränkung ihrer Lebensräume führe, so Gabriele Neumann.
Wildkatzen meiden Windindustrieanlagen
Wildkatzen bevorzugten als Ruheplätze insbesondere die Nähe natürlicher Waldlücken, wohingegen Windenergieanlagen gemieden würden. Besonders auffällig sei es, dass alle betrachteten weiblichen Wildkatzen bis 8 Wochen nach der Geburt Windenergieanlagen meiden und Abstände von mehr als 200 Meter für die Jungtierverstecke einhalten. Dies bedeute je nach Anzahl der Windenergieanlagen im Streifgebiet eines Weibchens einen Verlust von Reproduktionsfläche. Die Weibchen hielten sich nach der Geburt der Welpen überwiegend in der Nähe natürlicher Waldlücke auf. Dies seien wichtige neue Erkenntnisse für die Entwicklung von Schutzkonzepten.
Die Wildkatze habe einen hohen Raumbedarf und besitze durch ihre feinen Sinne eine ausgeprägte Störungssensibilität. Deshalb forderte Gabriele Neumann den Erhalt und die Schaffung von Naturwaldparzellen, die Förderung von Struktur- und Artenreichtum, eine struktur- und artenreiche Waldrandentwicklung, den Erhalt von Sonderstrukturen. Nach Windwürfen sollten zumindest Teilflächen belassen werden, die Entwicklung von Feuchtgebieten und Bachtälern, die Reduzierung der Wegedichte und eine stärkere Besucherlenkung sei sehr wichtig. Wälder müssten bundesweit für die Errichtung von Windindustrieanlagen ausgeschlossen werden, ebenso wie ökologisch wertvolle Freiflächen. „Kahlschläge und Windindustrieanlagen im Wald sind Gift für dieses Ökosystem“, so die Expertin.
Lebensräume vernetzen
Besonders wichtig sei darüber hinaus die Vernetzung von Lebensräumen durch Querungshilfen (Grünbrücken), Strukturen und Biotoptrittsteinen, um die Ausbreitungstendenz der Art zu unterstützen und die Erreichbarkeit neuer Reviere sicherzustellen. Freizeitaktivitäten im Wald wie Mountain-Bike-Trails in (FFH-)Wäldern, Geo-Caching, Nachtwanderungen, Lebensraumzerstörung und -zerschneidung durch Windindustrieanlagen und deren Zuwegungen sowie eine ganzjährige forstliche Nutzung sei kontraproduktiv für diese und viele andere Arten. „Insbesondere die flächenhaften Kahlschläge und Räumungen stellen eine Lebensraumzerstörung dar und verursachen wahrscheinlich die Abwanderung von Tieren. Dies zeigt sich leider aktuell in einer auffälligen Häufung von Wildkatzen-Straßenverkehrsopfern im Westerwald“, so Gabriele Neumann. Alleine in den letzten zwei Wochen seien der NI vier tote Wildkatzen gemeldet worden.
Alte Buchenwälder fördern die Biodiversität
Dr. Martin Flade stellte die Frage, ob die forstwirtschaftliche Bewirtschaftung die Biodiversität von Buchenwäldern fördere, wie es oft behauptet werde. Nach systematischen Untersuchungen in Buchenwäldern Nordostdeutschlands konnte Dr. Martin Flade nachweisen, dass Buchenurwälder und sehr naturnahe, seit über 100 Jahren unbewirtschaftete Buchenwälder eine mehrfache Strukturvielfalt und Biodiversität gegenüber Buchenwirtschaftswäldern aufweisen.
Seit über 100 Jahren ungenutzte Bestände wie die Naturwaldreservate „Heiligen Hallen“ in Mecklenburg-Vorpommern oder „Fauler Ort“ im brandenburgischen Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin weisen im Vergleich zu benachbarten, relativ naturnah bewirtschafteten Wäldern 10 bis 20 mal so viel Totholz, 3 bis 4 mal so viele verschiedene Waldentwicklungsphasen, 3 bis 4 mal so viele Mikrohabitate, doppelt so viele Brutvögel und viermal so viele „Urwaldreliktarten“ unter den Käfern pro Hektar auf, konnte Dr. Flade berichten. Es bedürfe daher vieler Jahrzehnte Wirtschaftsruhe, bis die waldtypische Biodiversität zur vollen Entfaltung komme. Entscheidender Faktor sei eine zeitliche und räumliche Kontinuität, so Dr. Flade. In diesem Zusammenhang wiesen der NI Vorsitzende Harry Neumann und BI-Sprecher Klaus Wilhelm auf die hohe ökologische Bedeutung des Naubergs hin, der unbedingt vor dem Basaltabbau geschützt werden müsse.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, so Dr. Flade, sei auch der Abfluss ins Grundwasser: Dieser sei unter Buche generell viel größer als unter Fichte oder Kiefer. Untersuchungen zeigten, dass die Sickerwasserspende unter Douglasie nochmals deutlich geringer sei als unter Fichte und Kiefer.
Ein anderes forstliches Themenfeld im Klimawandel sei die Frage nach der klimaangepassten Baumartenwahl und die Forderung nach „klimaplastischen Wäldern“. Dabei werde häufig die folgende Frage gestellt: „Welche Baumarten können auf den zukünftig trocken-wärmeren Standorten wachsen und haben dann (unter angenommenen relativ stabilen Klimabedingungen) den besten Zuwachs und damit den höchsten Holzertrag?“
Statt dieser standort- und ertragsorientierten Fragestellung sollte jedoch folgende landschaftsökologische Frage im Vordergrund stehen: „Welche Baumarten, Bestockungs-/Bestandestypen und Bewirtschaftungsweisen wirken sich am günstigsten auf den Landschaftswasserhaushalt und das Lokalklima aus?“, so Dr. Flade.
Unter großem Beifall der Teilnehmer bedankte sich der NI Vorsitzende Harry Neumann bei den Referenten, dass sie auch unter erschwerten Bedingungen bereit waren, ihre informativen Vorträge zu halten und die weite Anreise auf sich zu nehmen. (PM)
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