Jährlich starten 100 Westerwälder Jugendliche ihre Karriere mit Hartz IV
Oft sind es Jugendliche aus weniger privilegierten Familien, die Probleme bei der Berufsfindung und dem Einstieg in die Arbeitswelt haben. Die älter werdende Gesellschaft kann es sich aber auch im Westerwald nicht mehr leisten, Jugendliche als berufsunreif auszusortieren und in eine Karriere als „Hartzer“ zu entlassen. Ein öffentliches Fachgespräch im Montabaurer Haus der Jugend beschäftigte sich damit, was nötig ist, um diese Entwicklung zu verhindern. Eingeladen hatte das Forum Soziale Gerechtigkeit.
Montabaur. Ein erstes Fachgespräch war in der Erich-Kästner-Realschule in Ransbach-Baumbach mit einem Dutzend Referenten unter großer Beteiligung der Frage nachgegangen: „Welche Chancen haben benachteiligte Jugendliche in Ausbildung und Beruf?“ (@propos berichtete). Nicht irgendwo, sondern mitten im Westerwaldkreis.
Festgestellt wurde, dass etwa 100 junge Menschen in unserem Kreis keine echte Chance haben und das Übergangssystem zwischen Schule und Beruf ohne jegliche Perspektive durchlaufen. Schon mit 18 ist dann meist ein Leben als Bezieher von Sozialleistungen vorgegeben. Mit diesem verdeckten gesellschaftlichen Misstand wollten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht abfinden und hatten eine Folgeveranstaltung vereinbart.
Ivan Sudac, Leiter des Jugendhauses in der Kreisstadt, stellte zunächst die vielfältigen Angebot der Einrichtung vor. „Da steckt richtig viel Herzblut der Jugendlichen drin“, meinte Sudac.
Als stark reformbedürftig hatte eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung das Überganssystem zwischen Schule und Beruf bewertet. Diese wurde im Auftrag der Bertelsmann Stiftung von Prof. Dr. Dieter Euler erstellt. Christine Gouverneur, Projektmanagerin der Bertelsmann Stiftung, war nach Montabaur gekommen, um die Ergebnisse vorzustellen.
„Wer darauf hofft“, so die Referentin, „dass der Demografische Wandel das Problem löst, wird enttäuscht“. Bei unveränderten Rahmenbedingungen steige vielmehr die Zahl der Ungelernten ohne Abschluss weiter, bei gleichzeitig sinkendem Arbeitsangebot für diese Gruppe. Die Referentin weiter: „Wir haben kein Erkenntnisproblem mehr im Hinblick auf die vielen Mängel im System der Berufsfindung, sondern ein Umsetzungsproblem“. Fachleute fordern deshalb eine Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen. Das Überganssystem sei so zu reformieren, dass mangelnde Ausbildungsreife und –bereitschaft früh beseitigt werden könnten.
Der Sprecher des Forum Soziale Gerechtigkeit, Uli Schmidt (Horbach), wies darauf hin, dass das Übergangssystem ein Reservoir von Kompetenzen und Begabungen enthält. „Dessen Aktivierung ist sowohl unter sozial- wie auch wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten in Zeiten des demografischen Wandels dringend geboten“, so das SPD-Kreistagsmitglied.
Von den anwesenden Fachleuten – darunter auch Vertreter von Arbeitsagentur und Jobcenter - wurden die Ergebnisse der Bertelsmann-Expertise meist zustimmend diskutiert und mit eigenen Erfahrungen hinterfragt. Einigkeit bestand weitgehend darin, dass der demografische Wandel das Problem nicht löst und die Bildung von Anfang an weiter ausgebaut werden muss. Auch Ausbildungsmöglichkeiten mit verringerten theoretischen Anforderungen, beispielweise in Gastronomie und Pflege, wurden gefordert. Uli Schmidt bedauerte am Schluss, dass nicht genug Fachleute der Einladung gefolgt waren, um wie beabsichtigt ein lokales Netzwerk für chancenlose Jugendliche bilden zu können.
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