Buchtipp: „Die polnische Mitgift“ von Patricia Verne
Von Helmi Tischler-Venter
Der Untertitel „Was wir unseren Kindern weitergeben“ verrät, um was es geht: Verne untersucht mithilfe von Familie, Schicksalsgleichen und Fachleuten das ethisch-pädagogische Fundament ihrer Herkunft auf Solidität zur Weitergabe an die kommende Generation. Herausgekommen ist ein „erzählendes Sachbuch“.
Dierdorf/Karlsruhe. Die Autorin ist 1979 als Patrycja Czarkowska im polnischen Opole (Oppeln) geboren und in Konstanz am Bodensee aufgewachsen. Dort litt sie als Kind unter dem Makel, nicht in Deutschland geboren zu sein. Dazu kam der für Deutsche schwierige, verräterische Familienname „Czarkowski“. Peinliche Alltagssituationen gaben ihr das Gefühl, nicht dazuzugehören. Das weckte das Bestreben nach schneller Integration. Erschwert wurden die Bemühungen durch den sprachlichen Zuhause-Außerhalb-Kontrast, denn in der Familie blieb die polnische Sprache unantastbar. Der jungen Patricia war es peinlich, wenn ihre Eltern als Nicht-Deutsche auffielen. Mit wie viel Mut und Anstrengungen diese die Flucht in den besseren Westen gewagt hatten, erkannte sie erst als Erwachsene und Mutter.
Verdrängen und Schweigen gehörte zum familiären Überleben. Die Eltern hatten ihre Flucht 1980 absolut geheim vorbereitet, nicht einmal die engste Familie wurde informiert. Eine Besserung der bedrückenden politischen Lage in der Heimat erschien so aussichtslos, dass für sie nur die Übersiedlung nach Deutschland infrage kam, in das Land der Freiheit. Dass dann sehr schnell ein deutscher Pass ausgestellt wurde, war ausgerechnet dem Großvater zu verdanken, der in der Wehrmacht gedient hatte.
Der Historiker Peter Oliver Loew sieht das Bestreben nach schneller Integration bei den Zuwanderern aus Polen besonders ausgeprägt. „Weder haben sie sich integriert, noch kann man sagen, dass sie sich nicht integriert hätten. Sie haben sich einfach unsichtbar gemacht“, stellte Adam Soboczynski sehr treffend fest. Die Ursache liegt in der ständigen Teilung und Vernichtung des Landes in der Geschichte.
Im Jahr 2004 trat das Land Polen durch seine Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft aus der Unsichtbarkeit in das Licht der Öffentlichkeit. Die Wahrnehmung wandelte sich zum Positiven. Die Autorin verfiel in einen Aufholmodus, bemüht, die Lücken ihrer Polnischkenntnisse auf allen Gebieten zu schließen.
Den ungeliebten polnischen Familiennamen legte die Autorin mit der Heirat ab und nahm den französischen Namen ihres Mannes an. Doch heute hätte die Autorin gern ihren Namen in seiner polnischen Urform zurück, weil er zu ihrer Identität gehört.
Migrationserfahrung als Bereicherung hat Platz in vielen Gebieten gefunden: in der Politik, Kultur, Arbeitswelt und im sozialen Miteinander. Kulinarische Spezialitäten sind anerkannt. Polnische Migranten der zweiten Generation empfinden Stolz statt Scham und erziehen ihre Kinder zweisprachig. Das religiöse Erbe wird gern in Traditionen und Ritualen weitergegeben trotz innerlicher Distanz zur katholischen Kirche. Der traditionsbewusste Vater gab seiner Tochter den Auftrag mit, trotz aller Anpassung, das Polnische in ihr zu bewahren.
Strenge Erziehung, Samstagsputz, Lob als Fremdwort, hohe Erwartungen an Erfolg und Leistung im Alltag machten Kindern das Leben schwer. Verve betrachtet diese Erfahrungen als Ansporn für die Aussiedlerkinder, dem Rest der Welt zu beweisen, was sie können. Sie sind aber wohl eher dem allgemeinen (nationalunabhängigen) Streben nach sozialem Aufstieg geschuldet, denn der Zugehörigkeit zu einer Migrantengruppe.
Patricia Verne formuliert das Ziel ihrer Suche zurück zu den Wurzeln mit Blick auf die Zukunft: „Ich hoffe, dass Lionel und Louise (ihre Kinder) ihre Herkunft eines Tages mit Stolz sehen, die ihnen mitgegebenen Sprachen als Geschenk empfinden und die Traditionen und kulturelle Vielseitigkeit schätzen werden.“
Erschienen ist das sehr interessante Hardcover-Buch im Lauinger Verlag, ISBN 978-3-7650-9151-3 und als E-Book, ISBN 978-3-7650-9151-3. (htv)
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