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Nachricht vom 30.03.2011    

Dr. Rupert Neudeck bilanzierte 50 Jahre deutsche Entwicklungspolitik

50 Jahre deutsche Entwicklungspolitik stand im Fokus einer gemeinsamen Veranstaltung des Forums Pro AK, der Lions Clubs Westerwald, Bad Marienberg, Montabaur und der Rotary-Clubs Westerwald und Montabaur. Dazu kam ein profunder Kenner zum Vortrag ins Kulturwerk Wissen: Dr. Rupert Neudeck.

Dr. Rupert Neudeck im Kulturwerk Wissen zog eine ernüchternde Bilanz deutscher Entwicklungspolitik. Fotos: Helga Wienand

Wissen. Dr. Rupert Neudeck beleuchtete 50 Jahre deutsche Entwicklungspolitik in einem fesselnden Vortrag. Die Rotary-Clubs Westerwald und Montabaur, die Lions-Clubs Westerwald, Montabaur und Bad Marienberg sowie das Forum Pro AK hatten zur Veranstaltung ins Kulturwerk Wissen eingeladen. Wie kaum ein anderer Deutscher prägte Neudeck in den letzten Jahrzehnten Hilfe für die sogenannte Dritte Welt und zwar oftmals unbequem und mit Kritik an politischen Entscheidungen.
Neudeck, geboren 1939 in Danzig, wurde mit seinem Projekt „Cap Anamur“ zur Rettung vietnamesischer Flüchtlinge im chinesischen Meer weltberühmt und im Jahr 2003 wurde er Mitbegründer des internationalen Friedenskorps „Grünhelme“. Neudeck gilt ohne Zweifel als Mahner und Kritiker für eine Politik, die nach den Reichtümern der Völker greift, und das alte koloniale Denken noch immer nicht abgelegt hat. Auf das aktuelle Geschehen in Japan ging Neudeck zum Beginn seines Vortrages ein. "Menschen helfen einander und sind sofort angesichts solcher Naturkatastrophen dazu bereit", so Neudeck und stellte die rhetorische Frage nach einer gnädigen Menschheit, denn die Katastrophe sei noch lange nicht zu Ende.
50 Jahre Entwicklungshilfe – es fehle noch immer der Respekt vor den anderen Kulturen und das alte koloniale Denken bestimme immer noch das Handeln und die Politik. Im Zentrum seines Vortrages stand Afrika. Der Kontinent, der Europa am nächsten ist, werde unter entwicklungspolitischen Kriterien sträflich vernachlässigt und falsch behandelt. An Beispielen machte Neudeck es deutlich, so zum Beispiel Ruanda. Zum Völkermord im Jahr 1994 habe sich weder Deutschland auch Europa mit seinem Verhalten nicht mit Ruhm bekleckert. "Die Situation in Afrika ist sehr ernst, der Kontinent hat bis heute nicht den Anschluss an den globalisierten Weltmarkt geschafft", so Neudeck. Er skizzierte die wirtschaftlichen Entwicklungen, die zwar Fluglinien hervorbrachten und mehr als 370 Millionen Handybesitzer, aber ansonsten in den Ländern keine wirtschaftlich relevante Industrie, die auf dem Weltmarkt Bedeutung habe. Die deutsche und europäische Entwicklungshilfe beschränke sich oftmals auf völlig falsche Ziele wie das „Nation Building“. Am Beispiel Somalia führte er den Zuhörern vor Augen, wie völlig falsch hier Milliarden Entwicklungshilfe eingesetzt wurden. "Das Land liegt heute am Boden", so Neudeck.
Mit Blick auf das chinesische Engagement in Afrika warnte Neudeck Europa und seine Politik. "Die Chinesen kommen nach Afrika, bauen Verkehrswege und schöpfen die Bodenschätze ab, es ist eine unehrliche Politik", kritisierte Neudeck. Hier müsse Europa und auch Deutschland gegensteuern, aber die EU-Bürokratie sei da viel zu langsam. Wir müssen versuchen, Afrika und Europa in der globalisierten Welt zusammen zu bringen, die Märkte, die Verkehrsinfrastruktur und die Energiegewinnung nannte Neudeck als wichtige Kriterien für die Entwicklung des Kontinents. "In Afrika werden keine AKWs stehen, Afrika wird diese Entwicklung überspringen, dazu braucht es Bildung und Ausbildung seiner jungen Bevölkerung", ist sich Neudeck sicher.
Das Thema Migration aus Afrika beleuchtete Neudeck und wies auf die Dramatik angesichts der Ereignisse in Nordafrika hin. Europa sei als Kontinent für junge Afrikaner begehrt, nicht mehr die USA. "14 Millionen junge Afrikaner wollen nach Europa, wollen eine Perspektive, darauf sollten wir stolz sein", meinte Neudeck. Er warb für eine Entwicklungspolitik, die Zukunft schafft, mit Bildung und Ausbildung und einem fairen Handel. Wenn weiterhin die Milchberge der EU gefördert werden, die subventionierte Fleischindustrie die afrikanischen Märkte systematisch zerstört, werde dies nicht den herrschenden Hunger und die Armut bekämpfen, sondern lediglich weiter fördern. Neudeck wünschte sich nach 50 Jahren deutsche Entwicklungspolitik ein radikales Umdenken. Es sollte nicht der Fokus auf absolute Abschottung des eigenen Landes und auf Ausbeutung der Bodenschätze gelegt werden, sondern es werde Zeit, sich auf Partnerschaften mit den Ländern Afrikas einzurichten. "Wir werden die Flüchtlingsströme nicht verhindern und aufhalten können, wir können aber rechtzeitig die Weichen stellen und wertvolle Mitbürger bekommen", sagte Neudeck mit Blick auf die demografische Entwicklung in Deutschland. Alles in allem zog Neudeck eine ernüchternde Bilanz der Entwicklungshilfe, die Menschen entmündigt habe und deren Interesse auf Abschottung und Ausbeutung ausgerichtet sei.
Neudeck erhielt am Ende den Erlös des Abends für ein Projekt in Pakistan, der aus Spenden und Eintrittsgeldern rund 9000 Euro ausmachte. Und ganz spontan wurde diese Summe auf 10.000 Euro von einem Gast erhöht, der sich freute seinen alten Schulfreund Rupert Neudeck in Wissen wieder zu sehen. Er wollte allerdings anonym bleiben. (hw)



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