Leserbrief zu "Mehr Sachlichkeit zum Wolf": Diese Punkte sind problematisch
LESERMEINUNG | Der Wolf polarisiert: Kürzlich veröffentlichte der AK-Kurier ein Interview mit Fred Jüngerich, Bürgermeister der VG Altenkirchen-Flammersfeld. Auf diesen Beitrag hin erreichte uns nun aus der Lausitz ein Leserbrief des ehrenamtlichen Wildtierbeauftragten Friedrich Noltenius.
Region. "Aus der Sicht der Lausitz mit deutlich längerer Wolfserfahrung als in Ihrer Region kann dieses Interview mit dem Herrn Bürgermeister kaum zu einer Versachlichung der Diskussion um den Wolf beitragen. Es entsteht der Eindruck, dass hier der Bevölkerung ein Bild des Wolfes gemalt werden soll, wie es sich seit Jahren in den Hochglanzbroschüren der teilweise auch kommerziell interessierten Wolfsbefürworter findet. Hier einige Stichpunkte, die besonders auffällig erscheinen und bitte auch einmal mit neutralen Fachleuten zu diskutieren wären:
Die Sicht auf die Rückkehr des Wolfes als ökologischer Zugewinn ist nicht nur eine sehr persönliche, sondern vor allem fragwürdige - warum?
Der Wolf siedelt sich in einer vielfach genutzten, teilweise übernutzten Kulturlandschaft an, die es zum Zeitpunkt seiner flächigen Verdrängung aus Deutschland vor über 200 Jahren nicht gab. Heute ist ein wesentlicher Baustein des ökologischen Gleichgewichts in eben dieser Kulturlandschaft die extensive Weidetierhaltung, ohne die effektiver Natur- und Landschaftsschutz im Offenland nicht möglich ist. Kann diese "wolfsgerecht" nur noch hinter Gittern stattfinden, ist die für den Erhalt vieler Arten erforderliche Vernetzung der Lebensräume dahin. Das zum ökologischen Zugewinn.
Die Schäden durch das Leuscheider Rudel dürfen nicht isoliert für die Gemeinde betrachtet werden. Sein Streifgebiet umfasst mindestens die Teile von drei Landkreisen in zwei Bundesländern. Das gesamte Schadensbild wäre gemeinsam durch die jeweils verantwortlichen Stellen (Kluwo, LANUV) vorzunehmen. Fasst man die so belegbaren Schäden zusammen, geht es derzeit um mindestens 33 Rissereignisse mit 76 betroffenen Tieren. Bei dieser Anzahl haben Art und Qualität des Herdenschutzes in den Hintergrund zu treten. GW1896m hat das Reißen von Weidetieren nicht erst im Leuscheid gelernt. Sein Weg dorthin lässt sich anhand nachgewiesener Risse bis nach Bayern zurückverfolgen.
Mit der Vereinfachung, man müsse nur "wolfssicheren" Zaun bauen, dann funktioniere es und es ginge in den Abruzzen ja auch, überzeugen Unkenntnis und Oberflächlichkeit. Es ist schon lange fachlich anerkannt, dass es in der Weidetierhaltung keine "wolfssicheren", sondern bestenfalls zeitweilig wolfsabweisende Zäune gibt, die in Aufbau und Unterhalt einen wirtschaftlich und arbeitstechnisch kaum leistbaren Aufwand verlangen. Was für den Vollerwerbsbetrieb noch machbar erscheint stellt die Nebenerwerbsbetriebe vor unlösbare Aufgaben. Das Funktionieren in den Abruzzen und anderen Teilen Italiens stellt sich so dar, dass dort weite Landstriche inzwischen weidetierfrei sind, weil wertvolle Bestände schlicht aufgestallt wurden.
Die Rinder- und Pferdehalter rund um Altenkirchen sind bisher verschont geblieben. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass Übergriffe auch auf große Weidetiere ständig weiter zunehmen, ohne dass es dafür nachhaltig wirksame und tierschutzgerechte Zäunungen gibt.
Das Fangen und Besendern von Wölfen ist in vielen Ländern erprobt und das angeführte Beispiel mit der Fuchspfote zeugt von absoluter Unkenntnis moderner Methoden. Dass solche Maßnahmen nicht in die Trag- und Aufzuchtzeit gehören, ist dabei selbstverständlich.
Die Frage nach einer Obergrenze für ein einzelnes Rudelterritorium stellt sich ebenso wenig wie die Aufnahme des Wolfes in das Jagdrecht, solange er den aktuellen Schutzstatus genießt. Es geht auch nicht um den Fantasiebegriff eines "gesicherten Bestandes", sondern um den "günstigen Erhaltungszustand", den die Fauna-Flora-Habitat Richtlinie verlangt. Diesen für Deutschland zu definieren geschweige denn festzustellen weigert sich das zuständige Bundesumweltministerium beharrlich.
Ob und wann GW1896m oder nach den Regeln des Bundesnaturschutzgesetzes ein anderes Tier dieses Rudels tatsächlich geschossen werden soll, hängt von der Kooperationsbereitschaft der zuständigen Länderbehörden ab. Es wäre Sache der Landkreise, diese dazu zu bringen.
Die Schlussbemerkung des Interviews bringt noch einmal den Wolf auf Hochglanzprospekt, aber bitte was ist die Realität? Das Zusammenspiel von Wolf und Weidetierhaltung findet dort statt, wo dem Wolf rechtzeitig die Grenzen aufgezeigt werden, das heißt schadenverursachende Tiere rechtzeitig geschossen werden (Frankreich, Finnland). Das geschieht in diesen Ländern im Einklang mit europäischen Schutzvorschriften und ohne die Absicht, den Wolf dort auszurotten. Der Traum einiger Förster, dass dort, wo Wölfe leben, weniger Verbissschäden auftreten, wird erst dann wahr werden, wenn man die potentiellen Beutetiere des Wolfes endgültig marginalisiert hat. Wovon lebt er dann? Vom Schaf, ob mit oder ohne Zaun!
Es gibt durchaus Thesen, dass der Wolf zum Beispiel im Yellowstone Nationalpark Ursache oder Beteiligter einer trophischen Kaskade gewesen sei. Diese Texte gelten zumindest als wissenschaftlich umstritten und - viel wichtiger: Der Westerwald ist nicht Yellowstone!"
Friedrich Noltenius
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Wolf
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