Im Altenkirchener Kreishaus zu Gast: Für RKI-Chef Wieler ist Pandemie noch nicht zu Ende
Er ist eines der Gesichter der Corona-Pandemie und der vergangenen gut zwei Jahre schlechthin: Der Leiter des Robert-Koch-Institutes, Prof. Dr. Lothar H. Wieler, stand in so mancher Pressekonferenz mit Ministern - teils live im Fernsehen - Rede und Antwort zu Covid-19, informierte regelmäßig über die Infektionszahlen, die auch in die Lockdowns führten.
Altenkirchen. Die Corona-Situation entspannt sich zusehends, die Zahl der Infizierten sinkt auch im Kreis Altenkirchen kontinuierlich. Die Bevölkerung atmet auf, Maßnahmen, um den Erreger in Schach zu halten, sind beinahe gänzlich aufgehoben. Dreh- und Angelpunkt in den zurückliegenden beiden Jahren war in erster Linie Prof. Dr. Lothar H. Wieler, der Leiter des Robert-Koch-Institutes in Berlin, der zentralen Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention. In zahlreichen Pressekonferenzen war er derjenige, der über die Infizierten- und Todeszahlen referierte, über den R-Wert sprach und erklärte, wie dem Virus zu begegnen sei, Verhaltensregeln an die Hand gab – kurzum zu einem „Medienstar“ wurde. „Wenn man sich auf dieses Amt bewirbt, gehört es dazu, dass man in Krisenzeiten im Mittelpunkt steht“, sagte Wieler am späten Donnerstagnachmittag (5. Mai) während eines Pressegespräches im Altenkirchener Kreishaus auf Einladung von Landrat Dr. Peter Enders. Auf die Intensität, mit der das zwei Jahre lang geschehen sei, könne man sich natürlich nicht vorbereiten, „grundsätzlich gehört es zum Jobprofil dazu.“ Dennoch habe sich sein Leben verändert. „Ich habe noch nie so ein eintöniges Leben geführt. Ich musste morgens aus Sicherheitsgründen mit dem Auto ins Büro und abends mit demselben Auto wieder nach Hause fahren. Dazwischen war ich, außer auf der Toilette, nirgendwo. Ich habe immer nur in diesem Büro gearbeitet“, berichtete er. Ja, er habe eine bestimmte Prominenz mit Vor- und Nachteilen erhalten: „Ein Vorteil ist, dass ich zum Beispiel nach Altenkirchen eingeladen worden bin. Das wäre sonst nie geschehen. Nachteil ist, dass es Menschen gibt, die mit einem Gesicht alle möglichen Dinge verbinden, die vielleicht gar nicht zusammenhängen. Es gibt natürlich Drohungen, Beschimpfungen und Beleidigungen. Das ist eine unangenehme Begleiterscheinung.“ Personenschutz sei ihm nicht angeraten worden. Zwei Begegnungen habe er offenbar mit Corona-Leugnern gehabt, die eher belustigend gewesen seien, „weil sie aus meiner Sicht sehr abstruse Theorien aufgestellt haben“.
Nie physische Interaktion
Es seien bei ihm ausschließlich Wortdrohungen gewesen, „es war nie eine physische Interaktion. Unser Haus ist einmal von einem Molotow-Cocktail beworfen worden“, erläuterte Wieler, das sei das Drastischste gewesen, so wurde auch vielen Mitarbeitern im Haus bewusst, dass eine gewisse Schwelle überschritten wurde. „Im Grunde genommen sind viele Drohungen gar nicht bis zu mir vorgedrungen, sondern haben meine Mitarbeiter abfangen müssen. Die Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist sehr, sehr hoch gewesen, und ich kann ihnen nur meinen hohen Respekt zollen, wie sie das weggesteckt haben.“ Über eine Rücktritt in dieser Phase habe er nicht nachgedacht. „Wenn ich eine Verantwortung übernehme, behalte ich diese. Das hat mir mein Bruder auch immer gesagt. Er ist vier Jahre älter als ich. Wenn man sich für solch ein Amt bewirbt, dann ist man sich bewusst, dass man eine gewisse Verantwortung trägt, und die wirft man nicht ohne Not weg.“
Geißböcke machen derzeit viel Freude
Als ausgewiesener Fan des 1. FC Köln wird es Wieler angesichts der Leistungen der Geißböcke in der Fußball-Bundesliga derzeit richtig warm ums Herz. „Natürlich hat uns der FC schon viele Jahre nicht mehr so viel Freude gemacht. Der FC ist aber auch ein Grund, warum ich diese Verantwortung auch relativ gut tragen kann. Wenn man von Kindesbeinen an Fan ist eines solchen Vereins, ist man sehr shock-proofed“, meinte er. Das letzte Live-Spiel des FC habe er in Berlin vor wenigen Wochen bei Union gesehen, das mit einer Niederlage endete. „Ich habe den FC in den letzten drei Jahren dreimal live erlebt, immer in Berlin und immer bei Union und immer mit Niederlagen“, rekapitulierte er. Partien in Köln zu verfolgen scheitern, „da ich sehr wenig im Rheinland bin. Beruflich ist das kaum möglich.“ Kontakte in die Gegend seiner Kindheit, nämlich nach Oberpleis, seien sehr wenig. In der nächsten Woche finde ein Klassentreffen des Abiturjahrgangs statt, aber da beide Eltern vor mehr als elf Jahren verstorben sind, „ist der Kontakt sehr, sehr dünn geworden.“ Seinen Bruder Prof. Dr. med. Helmut J. Wieler, der im südlichen Teil des Westerwaldkreises lebt und als Impfarzt im Wissener Impfzentrum tätig war, besuche er regelmäßig. Nicht völlig unbekannt ist dem RKI-Chef der Westerwald: „Unser Vater war praktischer Tierarzt und hatte im Westerwaldkreis durchaus Kunden. Er ist unter anderem bis Asbach und Mühleip gefahren. Daher kennen wir die ganze Gegend sehr, sehr gut und natürlich auch durchs Fußballspiel. Wir sind auch hin und wieder ins Wellenhallenbad nach Rengsdorf gefahren. Das war eine Attraktion zu unserer Jugendzeit.“ Und dann kramte er in seinen Erinnerungen weiter und kam auf einen Job bei einer Firma in Windhagen, für die er als Lkw-Fahrer Sonnenbänke transportiert habe. „Das war eine sehr stressige Zeit für mich, vor allem wenn es galt, rückwärts mit dem 7,5-Tonner einzuparken.“
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Stress im Job nimmt wieder ab
Inzwischen, so hielt Wieler fest, nehme der Stress im Job wieder ab. Er könne erneut mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Berlin zur Arbeit fahren, „das ist mir sehr wichtig. Es normalisiert sich deutlich“. Aus Sicherheitsgründen sei ihm dies während der Hochzeit der Pandemie nicht angeraten worden. Die Arbeitstage seien wieder vielfältiger. „Wir haben im Haus natürlich besondere Hygieneregeln. Wir können uns seit dem 1. Mai wieder im Haus treffen. Wir lockern die Regeln des Homeoffice wieder. Der Betrieb im Haus normalisiert sich.“ In Sachen Kommunikation während der Pandemie warf er sich nichts vor. „Unsere Maxime war von Anfang an immer eine One-Voice-Policy. Für unser gesamtes Haus sprach immer nur eine Person. Für uns ist die große Maxime nach bestem Wissen und Gewissen das, was wir an Kenntnissen haben, einfach und seriös zu vermitteln. Wenn man bestimmte Kenntnisse nicht hat, muss man das auch so sagen. Wir haben immer Wert darauf gelegt, sachlich zu bleiben. Ich hoffe, dass es uns gelungen ist. Wenn man bedenkt, dass wir zwei Jahre in so einem Sturmmeer standen, ist das, so glaube ich, auch die richtige Strategie gewesen. Man darf einfach nicht zu sehr kanalisieren oder zu viel emotionalisieren. Das ist wichtig. Das hat sich sicher bewährt.“
Einseitige Informationspolitik
Im Rückblick gestand Wieler auch Fehler ein. „Als Corona anfing, haben wir eine sehr einseitige Informationspolitik gemacht. Ich habe vor der blauen Wand in unserem alten Hörsaal im RKI gesessen und Informationen, in erster Linie Zahlen, genannt. Diese wurden nicht gut genug in den Kontext gestellt. Mit Zahlen können Menschen nicht unbedingt etwas anfangen. Man muss sie in einen Kontext setzen. Das haben wir mit dem Lauf der Zeit immer besser gemacht. Wir haben unser Informationsmaterial angepasst. Wir haben später Bildmaterial unter die Leute gebracht, das Zusammenhänge besser erklärt hat.“ Nach und nach habe sich die Kommunikation geändert. Zuerst seien es nur fachliche Fragen gewesen von Menschen aus der Wissenschafts- und der Medizinszene, „es wurden aber mehr und mehr politische Fragen.“ Die politischen Journalisten hätten schließlich die Oberhand der Berichterstattung übernommen. „Daher war ich gar nicht mehr der richtige Adressat für diese Fragen. Ich mache ja nur Politikberatung, treffe nicht die politischen Entscheidungen und setze die politischen Entscheidungen nicht um“, bemerkte Wieler. Im weiteren Verlauf sei es eine ganz wichtige Entscheidung gewesen, vor die Bundespressekonferenz zu gehen und diese Fragen von den politisch Verantwortlichen beantworten zu lassen.
Fallzahlen werden wieder steigen
Die Pandemie ist laut Wieler noch nicht zu Ende: „Wir werden im Sommer geringere Fallzahlen haben, weil es ein Virus ist, das saisonale Effekte hat. Wir werden nach wie vor Fälle, auch schwere Krankheitsfälle, haben. Im Herbst werden die Fallzahlen wieder ansteigen. Wie hoch sie ansteigen, kann niemand wissen, und vor allem können wir nicht wissen, welches Virus da ist, weil es sich kontinuierlich verändert. Wir werden diese Empfehlung geben, dass wir alle Werkzeuge, die wir benötigen und alle kennen wie Maske tragen, Kontaktbeschränkungen, Lüften und Impfen, vorrätig halten müssen, damit sie sofort wieder hoch skaliert werden können. Es wird mit Sicherheit im Herbst wieder eine Welle geben. Größe und Stärke vermag niemand vorauszusagen. Ich bin ein starker Vertreter des Vorbeugeprinzips. Und wir wissen jetzt wirklich alle, was getan werden muss.“
Geboren in Oberpleis
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Lothar Heinz Wieler wurde am 8. Februar 1961 in Königswinter geboren. Er ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Töchter. Als Sohn eines Tierarztes und einer Landwirtin wuchs er im Königswinterer Stadtteil Oberpleis auf. Nach dem Abitur am Gymnasium am Oelberg in Königswinter im Jahr 1980 studierte Wieler von 1980 bis 1985 Veterinärmedizin an der FU Berlin und der LMU München. Seit 1997 darf er sich Fachtierarzt für Mikrobiologie nennen. Zwischen 2009 und 2014 war Wieler Mitglied des Vorstandes der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft. Zudem wurde er mit mehreren Preisen ausgezeichnet (Auswahl):1997 mit dem Nachwuchspreis der „Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft“, 2007 mit dem Hauptpreis der „Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie“ und 2016 mit dem Walter-Frei-Preis der Universität Zürich. Wieler, Mitglied und Fan des Fußball-Bundesligisten 1. FC Köln, ist seit 2015 Präsident des RKI. Er war in seiner Jugend viele Jahre lang Spieler beim TuS 05 Oberpleis sowie zwei Jahre beim FV Bad Honnef. Unter anderem war er auch Torwart einer Jugendauswahl des FV Mittelrhein. (vh)
(wird fortgesetzt)
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