Altenkirchen: Greta outete sich während früherer Schuljahre als lesbisch und kommt in NDR-Doku zu Wort
Wie geht es queeren Menschen in Deutschland fünf Jahre, nachdem die "Ehe für alle" beschlossen wurde? Müssen sie im Jahr 2022 noch um Akzeptanz kämpfen? Auch eine Schülerin aus der Nähe von Altenkirchen kommt in einer Dokumentation des NDR zu Wort.
Altenkirchen. Greta ist 17, lebt in einer Ortsgemeinde in der Nähe von Altenkirchen, geht in die elfte Klasse eines Gymnasiums und will Abitur machen, nachdem sie bis zum Sommer des vergangenen Jahres eine Realschule plus besuchte. Als lesbisch während früherer Jahre in der Schule geoutet, hatten manche ein Problem mit diesem, ihrem Bekenntnis. Wie tolerant ist die Gesellschaft tatsächlich gegenüber queeren Menschen – fünf Jahre, nachdem die "Ehe für alle" beschlossen wurde? Die Autoren Klaas-Wilhelm Brandenburg (31) und Alex Grantl (27) versuchen in der 45-minütigen Dokumentation des NDR unter dem Titel "Jeder Tag ein Kampf? Queere Menschen in Deutschland", die am Montag, 30. Mai, 22.50 Uhr, in der ARD (nach den "Tagesthemen") ausgestrahlt wird und dann auch in der ARD-Mediathek abrufbar ist, Antwort auf die Frage zu finden. Was heißt überhaupt queer? "Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Laut Lesben- und Schwulenverband wird 'queer' als Sammelbegriff verwendet und zwar für Lesben, Schwule, Bisexuelle und für alle anderen, die nicht heterosexuell sind", führt Brandenburg, der sich selbst als schwul geoutet hat, in das Thema ein. Laut einer Umfrage seien das elf Prozent aller Deutschen. Zu queer müssten auch alle Menschen gezählt werden, die "trans" seien, die sich also nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen worden sei. Und auch intergeschlechtliche Menschen seien queer, "sie haben Körper, die sich biologisch nicht eindeutig als weiblich oder männlich einordnen lassen. Queer sind auch nicht-binäre Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren". Trans und nicht-binär seien laut Umfrage drei Prozent aller Deutschen. Es gebe darüber hinaus noch viele andere Bezeichnungen für queere Menschen. Das Wort queer stammt aus dem Englischen.
Immer "so kleine Sachen"
Szenenwechsel: Greta sitzt mit Klaas-Wilhelm in der Nähe des Durchganges von der Fußgängerzone zur Christuskirche mit den Räumen des Altenkirchener Kinder- und Jugendzentrums Kompa zu ihrer Rechten. "Die Leute in meiner Klasse, die haben mich nie darauf angesprochen oder gesagt, hey, ich finde es scheiße, dass du lesbisch bist, oder ich finde es irgendwie ekelig, dass du lesbisch bist", blickt die 17-Jährige auf ihre Erfahrungen während eines Abschnittes ihrer Schulzeit zurück. Es seien immer "so kleine Sachen" gewesen, "in meiner Nähe wurde dann 'Schwuchtel' oder 'Transe' gerufen. Das hat dann schon ein bisschen weh getan". So sei das bei den Jungen ganz oft gewesen. Greta erinnert sich an einen Jungen, der neu in die Klasse gekommen war und mit dem sie sich "eigentlich ziemlich gut verstanden hat. Wir haben auch was zusammen gemacht, waren wohl im Schwimmbad. Später, als er Fuß gefasst hatte in der Klasse, steht er einmal fünf Meter von mir weg, unterhält sich mit einem Kumpel, schaut zu mir und sagt: 'Schau doch mal wie sie aussieht, ihr sollte man doch in den Nacken treten'". Sie sei erst einmal schockiert gewesen, "der Junge war einmal 15 Zentimeter größer als ich. Da habe ich schon so ein flaues Magengefühl bekommen". Brandenburg bilanziert: "Sie stößt bei vielen auf Ablehnung – nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch auf dem Schulhof, selbst da, wo sie sicher fühlt." Greta muss viele Bemerkungen schlucken: "Keiner hat mir jemals ins Gesicht geschaut und mich Transe genannt. Immer nur hinter meinem Rücken." Sie hätte sich von ihren Lehrern gewünscht, dass sie nicht hätten tolerieren dürfen, sie auf solch eklige Art zu beleidigen, und könne sich nicht erinnern, dass jemand betraft wurde, der sie als "Schwuchtel" oder "Transe" bezeichnet habe. Sie frage sich, warum ein Mädchen, das ein anderes Mädchen "Schlampe nennt", bestraft worden sei, aber nicht eine "andere Person, die mich gerade als 'Transe' oder 'Schwuchtel' bezeichnet".
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Oft traurig nach Hause gekommen
Gretas Mutter Andrea merkt, dass ihre Tochter nicht gerade glücklich von der Schule nach Hause zurückkehrt. "Ich habe schon mitbekommen, dass sie oft traurig oder auch ein bisschen irritiert war. Das hat mir natürlich auch immer weh getan. Ich habe immer versucht, mit ihr darüber zu reden", erklärt sie, "bei uns in der Familie ist das alles sehr offen und hat immer meine Unterstützung. Ich fand das immer so grausam, dass Kinder sich immer so gegenseitig verletzten und meistens aus einer Dummheit heraus." Sie glaube, dass Greta ihr immer alles erzählt habe, "ich glaube auch, dass ich es nicht immer so ernst genommen habe. Sie hat mit Sicherheit mehr darunter gelitten, als ich gedacht habe". In einer Umfrage unter 16.000 queeren Menschen in Deutschland, so ergänzt Brandenburg, "hat fast die Hälfte gesagt, sie wurden in der Schule gemobbt. 46 Prozent haben während ihrer Schulzeit nie erlebt, dass jemand sie unterstützt oder verteidigt hat".
"Thema gar nicht so neu"
Für Brandenburg, freier Mitarbeiter des NDR in Hamburg und gebürtig in einem Dorf an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern mit rund 70 Einwohnern, "war das Thema gar nicht so neu, weil ich es schon bearbeitet hatte", antwortet er auf die Frage, warum er sich ihm angenommen habe. Dass es so umfänglich ausgefallen sei, eine 45-Minuten-Dokumentation mit ganz verschiedenen Aspekten, "war auch ein Vorschlag von mir". Die Empfehlung sei vom NDR für gut befunden worden. "Dann haben mein Redakteur und ich angemerkt, dass es doch deutschlandweit interessant ist und haben es der ARD angeboten, so dass es schließlich genehmigt wurde", führt er weiter aus. Die Jugendlichen, die zu Wort kommen, wurden über queere Jugendzentren gefunden, die angeschrieben worden waren. "Was ich erstaunlich fand: Der Rücklauf war recht mager. Wir haben auch mit vielen Jugendlichen telefoniert, die gesagt haben, dass sie auf keinen Fall vor die Kamera wollten, während Greta gesagt hat, ich mache das, ich will vor die Kamera", weiß Brandenburg im Rückblick auf die Zeit der Recherche, nur zwei, drei Tage nach dem Telefonat "sind wir dann nach Altenkirchen gefahren und haben mit ihr gedreht und gesprochen". Und wie fällt Brandenburgs Antwort auf die zentrale Frage des Beitrags aus? "Deutschland, Du bist weit gekommen! Aber noch nicht weit genug. Queere Menschen werden immer noch gegängelt, immer noch ausgegrenzt, immer noch angegriffen. Für manche ist jeder Tag ein Kampf, auch wenn viele sich einsetzen für queere Menschen und toleranter werden." (vh)
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