Vom Umweltsünder zum langlebigen Lieblingsstück mit Jeansexperten Guido Wetzels
Vor rund 150 Jahren hätte wohl kein amerikanischer Minenarbeiter damit gerechnet, dass seine blaue Hose irgendwann mal eines der beliebtesten Kleidungsstück der Welt wird. Für ihn war die Jeans ein robustes Stück Arbeitskleidung. Für uns ist sie inzwischen Lieblingsstück; für die Umwelt: eine echte Belastung.
Hachenburg. Guido Wetzels hat Indigo-blaues Blut: Er ist einer der Köpfe von „Blaumann-Jeanshosen“, einer deutschen Jeans-Manufaktur und ein Kenner der Szene. In der Hachenburger Westerwald-Brauerei hat er rund 60 Gäste mitgenommen auf eine Reise durch die Welt der blauen Buxe.
Veranstaltet hat den Abend, der innerhalb weniger Tage ausgebucht war, die Evangelische Kirche: In der Reihe „Church for future“ stellt die Evangelische Erwachsenenbildung Ideen und Projekte für mehr Nachhaltigkeit im Alltag vor. Und da die Jeans mit mehreren Milliarden produzierten Exemplaren pro Jahr ein Alltagsgegenstand ist, war es naheliegend, ihr einen eigenen Vortrag zu widmen, finden die Organisatorinnen Regina Kehr und Nadine Bongard vom Evangelischen Dekanat Westerwald.
Nach einer Andacht des Stellvertretenden Dekans Benjamin Schiwietz beleuchtete der Hausherr des Abends zunächst noch ein anderes beliebtes Konsumgut: das Bier. Jens Geimer, Geschäftsführender Gesellschafter der Westerwald-Brauerei, illustrierte, wie auch der Gerstensaft nachhaltig produziert werden kann und erklärte, wie das Unternehmen bis zum Jahr 2030 klimaneutral werden will.
Nach einer deftigen Kartoffelsuppe und handgemachter Musik von der Sängerin Diane King betrat dann Guido Wetzels die Bühne. Ein Typ, der die Jeanskultur schon optisch auf den Punkt bringt: Langes, weißes Haar, Vollbart; ein Muskelpaket in verwaschenen Jeans. Ein außergewöhnlicher Kerl mit außergewöhnlichem Wissen über die Branche. Wetzels arbeitete lange für einen großen Jeansproduzenten und kennt die weltweite Industrie daher wie die Tasche seiner blauen Weste. Und er kennt die Schattenseiten: Er erzählt, wie deutsche Marken die Produktion der Hosen in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr ins Ausland verlagert haben und wie sich die authentische, wertige Hose seit den frühen 1970er-Jahren modischen Trends unterwerfen musste. „Die Hippies trugen ihre Jeans so lange, bis die Hosen Löcher hatten und abgenutzt aussahen“, erzählt er. Irgendwann fand auch Otto-Normalhosenträger diesen „Used-Look“ charmant – allerdings ohne die Klamotten dafür jahrelang eintragen zu müssen. In Italien entstand daraufhin die sogenannte Stonewashed-Methode – und dann wurde es richtig schlimm, glaubt Wetzels: „Der Stoff wird mit Bimssteinen abgerieben und dadurch künstlich gealtert – was natürlich null nachhaltig ist. Er wird aus modischen Gründen zerstört. Das Clevere für die Produzenten ist, dass die Jeans dadurch schneller kaputtgeht und schneller eine neue gekauft werden muss.“
Doch die künstliche Alterung ist nicht die einzige Umweltsünde: Die Waschung und der Transport der Hosen verbrauchen enorm viele Ressourcen; bei der Produktion kommen Chemikalien zum Einsatz, und die Arbeitsbedingungen in Fernost sind manchmal unterirdisch: „Noch vor zehn Jahren habe ich gesehen, wie Menschen knietief in Plastikflüssigkeit standen, um der Hose künstliche Alterungsspuren beizubringen. Früher wurden die Jeans auch noch mit Quarzsand besprüht, um diese Spuren zu erzeugen. Das ist inzwischen glücklicherweise verboten, da viele Arbeiter dadurch eine Staublunge bekommen haben. All diese Dinge sind im Namen der Mode passiert“, sagt Wetzels und stellt klar, dass die Jeansproduktion nicht nachhaltig ist – und es auch nie werden wird. Zumal es in Deutschland nahezu keine Möglichkeiten gibt, selbst Jeans herzustellen. Die Baumwolle wird immer aus Zimbabwe, Ägypten oder anderen Ländern kommen, und der charakteristische Jeansstoff, der sogenannte Denim, kann auch nicht ohne weiteres in Deutschland produziert werden: Es fehlen das Wissen und die entsprechenden Webstühle.
Trotzdem: Die Jeans ist und bleibt Kultobjekt. Auch für Guido Wetzels und eine Handvoll weitere Jeans-Nerds, die 2013 Blaumann-Jeanshosen gründen. Das Ziel der Blaumänner: Das klassische Jeanshandwerk soll zurück nach Deutschland geholt werden – mit dem Augenmerk auf Qualität; nach den Regeln des Anstands produziert. Inzwischen hat das Unternehmen einige wenige, aber hochwertige und langlebige Modelle im Portfolio, deren Bestandteile in der Bundesrepublik produziert werden – vom Nähgarn über die Nieten bis hin zum Taschenfutter und den Etiketten. Außerdem ist es ihm als erstes in Deutschland gelungen, den klassischen Stoff im eigenen Land zu produzieren. „Dabei ist das eigentlich eine Domäne der Japaner, die den weltbesten Denim herstellen“, sagt Wetzels.
Die lokale und faire Produktion hat natürlich ihren Preis: Blaumann-Hosen und die anderer (meist japanischer) Hersteller sind natürlich ein ganzes Stück teurer als die Jeans von der Stange. Aber diese „Raw-Denim“-Hosen sind es wert, glauben Jeansfans. Weil sie länger halten und repariert werden können; weil sie fair produziert sind und nur selten gewaschen werden müssen, beziehungsweise: sollen. Denn „echter“ Jeansstoff bestehen zu 100 Prozent aus Baumwolle ohne Stretch-Anteil und sollte daheim so lange wie möglich an der frischen Luft durchgelüftet werden statt gleich in der Waschmaschine zu landen. Erst dadurch entstehen die beliebten Tragespuren, die bei herkömmlichen Jeans künstlich und umweltschädlich hinzugefügt werden. Das erfordert eine gewisse Hingabe, und zudem laufen die Hosen nach der ersten Wäsche ein, weil sie eben nicht vorgewaschen sind. Sonderlich bequem ist der steife Stoff auch nicht. „Man muss halt ein bisschen verrückt sein“, gibt Guido Wetzels am Ende seines Vortrags zu. Aber ob’s nun um Bier oder Hosen geht: Manchmal braucht’s eben ein gesundes Maß an Beklopptheit und Leidenschaft, damit Nachhaltigkeit funktioniert.
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