Pressemitteilung vom 22.07.2022
Caritasverband: Was bedeutet eigentlich Inklusion?
Die Mitgliederversammlung des Caritasverbandes Westerwald-Rhein-Lahn stand unter dem Motto "Perspektive Inklusion - Mittendrin statt nur dabei". Beispiele aus der Praxis gaben Einblicke auf die Fragen: Was ist Inklusion? Wo hat Inklusion ihren Platz in der Gesellschaft? Und wie funktioniert Inklusion eigentlich?
Westerwaldkreis. Mit vielen Fragen rund um das Thema Inklusion beschäftigte sich der Caritasverband Westerwald-Rhein-Lahn bei seiner jüngsten Mitgliederversammlung - und gab gleich die passenden Antworten darauf. Nachdem sämtliche Jahresberichte, Wahlen und Regularien auf der Tagesordnung abgearbeitet waren, stand der zweite Teil der Versammlung in der Montabaurer Stadthalle unter dem Motto "Perspektive Inklusion - Mittendrin statt nur dabei". Bei drei verschiedenen Podiumsgesprächen brachten Akteure aus beiden Abteilungen der Behindertenhilfe des Caritasverbandes Westerwald-Rhein-Lahn den Anwesenden das Thema Inklusion eindrucksvoll näher.
"Inklusion ist ein Menschenrecht", betonten Armin Gutwald, Geschäftsführer der Caritas-Werkstätten Westerwald-Rhein-Lahn, und Andrea Berger, Abteilungsleiterin Behindertenhilfe Bildung, Wohnen und Assistenz beim Caritasverband Westerwald-Rhein-Lahn, bei ihrer Begrüßung und verwiesen auf die UN-Behindertenrechtskonvention, in der sich die unterzeichnenden Staaten verpflichten, für das Recht auf Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen einzustehen, deren gleichberechtigte Teilhabe am Leben der Gesellschaft zu ermöglichen und durchzusetzen. Im Jahr 2009 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland ratifiziert und ist seitdem geltendes Recht, das unter anderem in nationalen und kommunalen Aktionsplänen und im Bundesteilhabegesetz übernommen wurde. Die Umsetzung dieser Rechte sei in vielerlei Hinsicht nicht einfach und brauche Zeit, waren sich die beiden Abteilungsleitungen einig. "Es ist nicht damit getan, Bürgersteige abzusenken und barrierefreie Zugänge zu schaffen. Um eine wirklich inklusive Gesellschaft zu schaffen, muss sich das Denken der Menschen verändern, müssen Menschen mitgenommen und vorbereitet werden", betonten Gutwald und Berger unisono.
Sie nutzten die Mitgliederversammlung, um anhand von drei positiven Beispielen aus den Bereichen Kultur, Freizeit und Arbeit vorzustellen, wie ein inklusives Miteinander aussieht und wie es konkret funktionieren kann. Lebhaft und authentisch berichteten die Protagonisten - Menschen mit und ohne Beeinträchtigung - aus der Praxis, schilderten ihre Erfahrungen und machten mehr als deutlich, was gelebte Inklusion bedeutet.
Inklusives Kunstprojekt
Beim ersten Beispiel ging es um ein inklusives Kunstprojekt der besonderen Art: Im vergangenen Jahr hatten zehn Beschäftigten der Caritas-Werkstätten aus Nauort unter professioneller Begleitung in der museumspädagogischen Werkstatt des Keramikmuseums Westerwald Kunstwerke aus Ton angefertigt. Höhepunkt des Projektes war eine Ausstellung unter dem Titel "Keramik all inclusive", die im Frühjahr mit einer Vernissage im Museum in Höhr-Grenzhausen eröffnet wurde und dort bis vor kurzem noch zu bewundern war. Dass die Arbeiten auf diese Weise auch einer breiten Öffentlichkeit präsentiert wurden, machte die Beschäftigten mit geistiger oder psychischer Beeinträchtigung besonders stolz. Mit Petra Röttger, Tanja Reichert, und Stefan Jung nahmen drei der zehn Künstler an dem Podiumsgespräch teil und berichteten voller Freude über ihre Erfahrungen. "Es hat mir super gefallen, wir haben uns alle toll verstanden", blickte Tanja Reichert auf die gemeinsame Zeit in der Museumswerkstatt zurück und äußerte den Wunsch, dass es ein solches Projekt nochmal geben soll: "Es war ein unvergessliches Erlebnis!" Dies bestätigte auch Petra Britscho, Leiterin der museumspädagogischen Werkstatt des Keramikmuseums Westerwald, die den Caritas-Beschäftigten durchaus künstlerisches Talent attestierte. "Jeder hat sein eigenes Werk geschaffen geschaffen, alle sind an dem Projekt gewachsen", so Britscho, die insbesondere von der Dankbarkeit aller Teilnehmer überwältigt war. "Besonders schön war es zu sehen, wie sich bei der Ausstellungseröffnung alle gefreut haben. Das hat uns stolz gemacht." Es soll nicht das letzte Projekt dieser Art gewesen sein, versprach sie.
Gemeinsam singen und tanzen
Im zweiten Podiumsgespräch des Abends ging es um inklusive Freizeitaktivitäten. Dabei lernten die Anwesenden unter anderem Thorsten Botsch und Wolfgang Rhensius kennen, die gemeinsam im Folklorechor Montabaur singen. Botsch ist Klient im Bereich ambulantes betreutes Wohnen bei der Caritas und leidenschaftlicher Sänger. Früher war er im Chor der Caritas-Werkstätten aktiv, wie er berichtete. Weil dieser aber nicht mehr existiert, suchte er nach einer anderen Möglichkeit, seine große Leidenschaft auszuleben. Fündig wurde er schließlich im Folklorechor Montabaur, wo er seit gut einem halben Jahr unter allen Sängern der einzige mit einem Handicap ist. Der Chor habe ihn herzlich aufgenommen, erzählte Botsch nicht ohne Stolz. Für die anderen Chormitglieder war seine Behinderung nie ein Problem, wie Wolfgang Rhensius berichtete: "Thorsten hat eine gute Stimme und ist eine Bereicherung für den Chor", lobte er den Sangeskollegen. Eine funktionierende Inklusion würde oftmals "an der Angst vor dem Unbekannten" scheitern, sagte Rhensius, der bereits seit vielen Jahren im Elternbeirat der Caritas-Werkstätten aktiv ist. Die Angst ginge dabei eigentlich immer von den Menschen ohne Behinderung aus, die Bedenken hätten, etwas falsch zu machen. "Dies ist aber der falsche Ansatz. Man muss einfach aufeinander zugehen", appellierte Wolfgang Rhensius.
Dies bestätigte auch Tatjana Glücks-Trommershäuser: "Jeder Mensch hat besondere Fähigkeiten, die gilt es entsprechend einzubringen", betonte die Schauspielerin und Theaterpädagogin, die vor einiger Zeit ein inklusives Tanzprojekt in Montabaur leitete. Zu den Projekt-Teilnehmern mit und ohne Beeinträchtigung gehörte auch der blinde Andreas Dickau, Bewohner des Hauses am Quendelberg. Dass Blindheit kein Hindernis ist, beim Tanzen nicht auch jede Menge Spaß zu haben, davon konnten sich die Anwesenden in der Stadthalle in einem kurzen Einspieler überzeugen, der eindrucksvolle Szenen von dem Tanzprojekt zeigte. Auch er, so Andreas Dickau, erlebe es im Alltag immer wieder, dass die Menschen ihm gegenüber unsicher seien und Berührungsängste hätten. Die Runde war sich einig, dass es noch zu viele Vorurteile in der Gesellschaft gibt, die es abzubauen gilt. "Inklusive Projekte wie dieses helfen dabei", ergänzte Tatjana Glücks-Trommershäuser.
Erfolgreiche Teilhabe am Arbeitsleben
Im dritten und letzten Podiumsgespräch ging es dann um die Teilhabe am Arbeitsleben und um ein positives Beispiel aus dem Bereich der Viweca, der Abteilung für Arbeitsmarktintegration der Caritas-Werkstätten Westerwald-Rhein-Lahn. Dazu begrüßte Viweca-Leiterin Dagmar Theis auf der Caritas-Bühne Marco Faßbender, Fertigungsleiter der Knöllinger Keramische Veschleißteile GmbH in Hillscheid, und Jonathan Dahm, der seit Ende März dieses Jahres bei Knöllinger seinen sogenannten Außenarbeitsplatz der Viweca hat. Der 28-Jährige aus Höhr-Grenzhausen ist seit 2014 in den Caritas-Werkstätten Westerwald-Rhein-Lahn beschäftigt und hat zuvor in verschiedenen Berufsfeldern tätig. Dank der Vermittlung der Viweca absolvierte Dahm bei der Firma Knöllinger in Hillscheid zunächst ein Praktikum als Produktionshelfer. Dabei hinterließ der junge Mann einen so guten Eindruck, dass er schließlich einen Außenarbeitsplatz erhielt. "Für uns ist es das erste Mal, dass wir mit der Viweca zusammenarbeiten und einem Menschen mit Beeinträchtigung diese Möglichkeit bieten. Es war eine Herausforderung, aber der Schritt hat sich gelohnt", sagte Marco Faßbender und betonte: "Man sollte jedem eine Chance geben!"
Jonathan Dahm hat seine Chance genutzt und ist bei Knöllinger im wahrsten Sinne des Wortes "mitten drin statt nur dabei". "Die Arbeit macht mir sehr viel Spaß. Und ich bin sogar zum Sommerfest eingeladen", erzählte er stolz und präsentierte anhand einiger Fotos interessante Einblicke in seinen abwechslungsreichen Arbeitsalltag bei dem Hillscheider Unternehmen. Dabei wurde schnell deutlich, dass es bei diesem Beispiel der Teilhabe am Arbeitsleben am Ende nur Gewinner gibt: Jonathan Dahm und die Firma Knöllinger, die Jonathan Dahm die Möglichkeit gibt, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wenngleich der Höhr-Grenzhäuser mit seiner aktuellen Situation sehr glücklich ist, äußerte er abschließend zwei große Wünsche, die er noch verwirklichen möchte: In drei Jahren will er als fester Mitarbeiter bei Knöllinger arbeiten, und er will gerne seinen Führerschein machen, "damit ich auch immer pünktlich auf der Arbeit ankomme", lachte er. (PM)
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