"Märchen" beim Gericht? Eltern wussten nichts von einer Cannabisplantage in VG Hamm
Von Wolfgang Rabsch
In einem Ort in der Verbandsgemeinde Hamm soll eine dreiköpfige Familie bandenmäßig und gemeinschaftlich durch die Errichtung einer Cannabisplantage gewerbsmäßig Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge betrieben haben. Zudem wurde der 19-jährige Sohn wegen Verstöße gegen das Waffengesetz angeklagt.
Koblenz/VG Hamm. Unter dem Vorsitz von Richter Andreas Groß begann unlängst vor der zweiten Strafkammer des Landgerichts in Koblenz der Prozess gegen die drei Angeklagten. Der 19-jährige Sohn als Hauptangeklagter, die 45-jährige Mutter, sowie deren 41-jähriger Ehemann, mit dem sie in zweiter Ehe verheiratet ist, machten Angaben zur Person und äußerten sich auch zur Anklage.
Der Sohn begründete seinen Abdriften in die Drogenszene mit der Trennung seiner "richtigen" Eltern, worunter er sehr litt. "Jeder wollte mir helfen, ich wollte mir aber nicht helfen lassen", so die Einlassung des Angeklagten. Nach der Mittleren Reife machte er noch das Fachabitur im Bereich IT und ging dann zur Bundeswehr, um sich dort als Zeitsoldat zu verpflichten. Inzwischen ist er aber dort entlassen worden - er lebt sozusagen von der Hand in den Mund, von 219 Euro Kindergeld und einem 450-Euro-Job. Die Angeklagte stammt aus Polen und arbeitet zurzeit als Praxisanleiterin in einer Klinik in Bonn, verdient dort etwa 2.000 Euro netto, hat 350.000 Euro Schulden wegen eines Hauskaufs in dem Ort in der Verbandsgemeinde Hamm, der monatliche Abtrag beträgt 1.200 Euro. Ihr Ehemann ist selbstständiger Dachdeckermeister er erzielt dadurch ein Einkommen von rund 2.000 Euro monatlich, trägt zusammen mit seiner Ehefrau die Hypothekenschulden von 350.000 Euro.
Das Ehepaar verneinte kategorisch den Konsum von Drogen. Die bei dem Angeklagten Ehemann festgestellte THC-Konzentration in der Blutuntersuchung begründete dieser mit folgenden Worten: "Ich kann mir den Nachweis von THC nur so erklären, da neben meiner Wohnung im Bergischen sich eine Schule befindet, auf deren Schulhof regelmäßig Drogen konsumiert werden. Der Geruch von Drogen ist teilweise so stark, dass dieser sogar durch die geschlossenen Fenster dringt und ich mich nur auf diese Art und Weise damit kontaminiert haben kann."
Es fanden keine Gespräche zur Herbeiführung einer tatsächlichen Verständigung statt. Der Sohn nahm die Anklagevorwürfe ganz allein auf seine Kappe und erklärte: "Meine Mutter und mein Stiefvater haben mit der ganzen Sache nichts zu tun. Ich habe die Plantage angelegt, um meinen eigenen Konsum zu decken, aber auch um durch Verkauf kleine Gewinne zu erzielen. Zwei Wochen vor der Hausdurchsuchung habe ich meine Eltern von der Plantage berichtet, sie forderten den sofortigen Abbau, ich aber wollte die Anlage erst abbauen, nachdem ich die Cannabisblüten abgeerntet hatte. Die Anlage habe ich im Internet für 2.000 Euro mit Gebrauchsanleitung bestellt. Ich habe sie ganz allein im Dachgeschoss aufgebaut. Ich habe auch ein Starkstromkabel vom Keller bis ins Dachgeschoss gelegt, was meinen Eltern auch nicht aufgefallen war. Sie respektierten meine Privatsphäre, zumal ich ein Vorhängeschloss an das Zimmer mit der Plantage angebracht hatte. Ich hatte fünf Pflanzzelte eingerichtet, die je Zelt etwa 1,8 Kilogramm Marihuana bringen sollten. Als ich von der Anzeige hörte, habe ich sofort mit dem Abbau der Plantage begonnen, obwohl ich noch nicht geerntet hatte. Meine Mutter und mein Stiefvater halfen mir beim Abbau der Plantage. Vorher wussten sie aber nichts von der Plantage auf dem Dachboden."
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Nach dieser Einlassung platzte der Vertreterin der Staatsanwaltschaft der Kragen: "Wollen Sie uns eigentlich alle verarschen? Nutzen Sie in der Mittagspause die Gelegenheit, ihre Einlassung zu überdenken, denn ich glaube Ihnen kein einziges Wort."
Die Angeklagte ließ über ihren Rechtsanwalt erklären, dass sie erst durch die Polizei und durch den hohen Stromverbrauch von der Plantage erfahren habe. Sie war sehr verärgert darüber, duldete jedoch, dass ihr Sohn die Pflanzen erst noch erntet, bevor diese vernichtet werden sollten. Die Angeklagte erklärte: "Ich wollte einfach nicht wahrhaben, was mein Sohn getrieben hat. Mein Mann wusste inzwischen auch davon, er wollte aber nicht mit in die Sache hineingezogen werden. Mein 'Mutterherz' hat geblutet, aber ich konnte nichts gegen meinen Sohn unternehmen. Zu dritt haben wir die Pflanzen herausgerissen und entsorgt."
Der Vorsitzende hielt der Angeklagten vor, dass in ihrer alten Wohnung in Sankt Augustin drei Gelddosen mit erheblichen Geldmengen beschlagnahmt wurden. Auch dafür hatte die Angeklagte eine Erklärung parat: "In der ersten Dose, in der sich 2.200 Euro in 50 -Euroscheinen befanden, sparten wir jeden Monat 50 Euro an, um in zehn Jahren einen neuen Dacia kaufen zu können. Die 4.000 Euro in der Marzipandose waren folgendermaßen verplant: 2.000 Euro für Flitterwochen mit meinem Mann, 1.000 Euro für Haushaltsgeräte, und 1.000 Euro für Zahnersatzreparaturen. In der Tupperdose befand sich als 'Notfallpuffer' Geld für dringende Einkäufe." Warum das Geld größtenteils fein gestückelt war, das konnte die Angeklagte nicht glaubhaft erklären.
Zuletzt folgte die Einlassung des Angeklagten, der ebenfalls bis zum Schluss von der Plantage seines Stiefsohnes nichts gewusst haben wollte. Auch als er zufälligerweise in eines der Pflanzenzelte schaute, hegte er keinen Verdacht, da er glaubte, sein Stiefsohn würde normale Pflanzen aufziehen, da dies ein Hobby von ihm gewesen sei. "Als mein Stiefsohn und ich die Zelte mit den Pflanzen vom ersten Stock über die steile Treppe ins Dachgeschoss trugen, fragte ich auch nicht nach, auch wenn ich es mir hätte denken können, um welche Pflanzen es sich handelte. Es war einzig und allein sein Problem. Ich hatte immer die Hoffnung, dass er die Cannabispflanzen selbst entsorgt." Der Angeklagte wirkte äußerst nervös und fahrig, auch auf einfachste Fragen benötigte er manchmal eine halbe Minute, um zu antworten, und trat dabei häufig in Flüsterkontakt mit seinem Anwalt, um eine zögerliche Antwort zu geben. Von den Waffen des Stiefsohnes hätte er ebenfalls nichts gewusst, und das Geld in den Dosen wären für die von seiner Frau genannten Verwendungszwecke vorgesehen gewesen.
Am Ende der Sitzung gab die Staatsanwältin den Angeklagten mit auf dem Weg, dass sie sich mal Gedanken darüber machen sollten, ob sie bei ihren Einlassungen bleiben würden.
Die Hauptverhandlung wird fortgesetzt am Freitag, den 26. August, ab 9 Uhr mit der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen.
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