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Pressemitteilung vom 13.10.2022    

Herausforderungen für die Krankenhäuser: Mitarbeiter des KHDS im Gespräch

Die Entwicklung der Arbeitsmärkte im Gesundheitswesen und die damit verbunden (un)möglichen Herausforderungen, denen sich bundesdeutsche Kliniken stellen müssen, das war das Thema eines Treffens der Verantwortlichen des Evang. Krankenhauses Dierdorf/Selters (KHDS). Klinikleitung, Chefärzte und Stationsleiter sowie deren Vertreter diskutierten ausgiebig über diese Themen.

Guido Wernert (re.) und Prof. Dr. Stefan Sell (2. v. l.) mit Mitglieder der Klinikleitung und der Mitarbeitervertretung. (Foto: Evangelisches Krankenhaus Dierdorf/Selters)

Dierdorf/Selters. „Wir haben in den vergangen Monaten bemerkt, dass unsere einzigartige Stärke aus dem Zusammenwirken unserer Mitarbeiter der verschiedenen Berufsgruppen entsteht, damit haben wir Wesentliches zum Wohl unserer Patient:innen bewirkt“, formulierte der Klinikgeschäftsführer Guido Wernert bei seiner Begrüßung. „Nach den Belastungen der Pandemie treffen die Krankenhäuser nun die Inflation und eine Kostenexplosion in vielen Bereichen. Das stellt die Kliniken vor weitere zusätzliche Herausforderungen und die Politik lässt die Krankenhäuser in diesen besonderen, herausfordernden Zeiten allein. Vielfältige Appelle bleiben schlicht ungehört, Idee wie Bürgergeld nehmen dagegen vielen Unternehmen die Substanz wichtiger Mitarbeitermotivation im Teilzeitbereich. Die Bevölkerung ruhig stellen hilft nicht, sondern holt uns ein“, so Wernert.

Entwicklungslinien auf dem Arbeitsmarkt im Gesundheitswesen
Ebenso sieht es auch Prof. Dr. Stefan Sell, renommierter Experte in Arbeitsmarktfragen, Dekan und Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften am RheinAhrCampus Remagen der Hochschule Koblenz. Er begleitete das KHDS-Treffen als Referent und machte gleich zu Beginn deutlich: Unabhängig der durch Corona beobachtbaren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im Gesundheitswesen laufen große demographische Entwicklungslinien weiter, die lange vor Corona begonnen haben. Hierzu zählt er neben der „Feminisierung“ der meisten Berufsbilder im Gesundheitswesen, den Wertewandel sowie die demografische Entwicklung.

„Wir erleben gerade eine fundamentale Veränderung der Angebots-Nachfrage-Verhältnisse auf den meisten Arbeitsmärkten, auch im Gesundheitswesen, deren Bedeutung durch Wegfall der noch dominanten „Baby-Boomern“ der 60iger Jahre noch nicht erkannt wird“, so Prof. Sell. Bis 2036 werden 12,9 Millionen Erwerbspersonen das Renteneintrittsalter überschritten haben. Das entspricht knapp 30 % der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen, bezogen auf das Berichtsjahr 2021. „Um das zu verdeutlichen: Das ist jedes Jahr eine Großstadt weniger. Diese negativen Auswirkungen entwickeln sich bereits seit vielen Jahren. Es sind allerdings keine arbeitsmarkpolitischen Instrumente erkennbar, die hier entgegenwirken“, konstatierte Prof. Sell. Arbeitgeber werden schlicht allein gelassen.

Ein Entgegenwirken der Politik ist auch für den KHDS-Geschäftsführer Guido Wernert nicht feststellbar. Vielmehr sieht Wernert in Verordnungen aus dem Haus des Gesundheitsministeriums, wie beispielsweise der Pflegepersonaluntergrenze ((PpUGV), ein eindeutiges Hemmnis. Durch die PpUGV sollte die Patientenversorgung eigentlich sicherer gemacht werden, in Realität verschärft sie jedoch die Personalnot in Deutschlands Kliniken.

„Das Instrument geht an der Krankenhaus-Wirklichkeit vorbei und viele gute angelernte Kräfte können ergänzend immer schwerer in den Stationsalltag als wertvolle Hilfe eingebracht werden“, erklärte Wernert, der für vier Kliniken und insgesamt 2.300 Mitarbeitern verantwortlich zeichnet. Die PpuGV legt für die Bereiche Intensivmedizin, Geriatrie, Unfallchirurgie und Kardiologie einen Minimalstandard fest. Die Personaluntergrenzen hier sind willkürlich gesetzt und zwar bei 25 Prozent der genannten Bereiche mit der schlechtesten Personalausstattung.

Im Klartext heißt das: Nur das Viertel der Krankenhäuser mit der schlechtesten Personalausstattung muss aufstocken. Und zwar genau so viel Personal, um das Niveau an der Grenze zum zweitschlechtesten Viertel der Kliniken zu erreichen. Mit solchen Untergrenzen gibt es weder gute Versorgung für die Patientinnen und Patienten noch nachhaltige Entlastung für die Beschäftigten. „Um gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, die für unsere Mitarbeiterbindung und selbstverständlich auch für die Personalgewinnung extrem wichtig sind, kämpfen wir gegen die Verordnungen des Gesundheitsministeriums“, so Wernert.

Offensichtlich gelingt das dem KHDS gut und die Klinik kann ihre Stärken auszubauen und das auch vermitteln, denn überdurchschnittlich lange Klinikzugehörigkeiten sind in Dierdorf und Selters ebenso selbstverständlich wie eine erfolgreiche Besetzung zentraler Vakanzen. Und nicht zuletzt reflektiert sich die erfolgreiche Arbeit auch in der Ausbildungsquote der Klinik, die zum Ausbildungsbeginn Oktober mit mehr als 50 Prozent übererfüllt ist.

Wissenschaftler und Klinikmanager fordern Reform des Finanzierungssystems
Prof. Stefan Sell bekräftigte Wernerts Darstellung und fordert ein generelles Handeln auf allen Ebenen. Er plädierte für eine Aufwertung der Pflegeausbildung mit grundsätzlicher Offenheit für Quer-Einsteiger ebenso wie für ein Umfeld und eine Organisations- und Teamkultur, die es ermöglicht, die Pflegekräfte zu halten. Gleichzeit forderte Prof. Stefan Sell mehr Personal, aber nicht um jeden Preis und eine bessere Vergütung als ein Element der Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe. „Das geht jedoch nicht ohne eine grundlegende Reform des Finanzierungssystem“, erklärte Sell.



Und er verwies auf die Arbeit und vor allem die Besetzung der Regierungskommission die im Koalitionsvertrag vereinbart wurde und aufgrund deren Empfehlungen die Grundlagen für eine Krankenhausreform ab dem Jahr 2023 erfolgen sollen. Der Wissenschaftler betrachtete die bisherigen Arbeiten der Kommission jedoch mit großer Sorge, insbesondere, wenn es um die medizinische Versorgung im ländlichen Bereich gehe. Planungen hinsichtlich ambulanter Operationszentren mit Beobachtungsstationen von 15 bis 20 Betten betreut durch eine 24-Stunden-Praxis, werden als Zukunftslösung auf dem Land deklariert werden. Dies gehe nach seiner Einschätzung als ambulantes „Low-Level-Krankenhaus ohne Absicherung bei Komplikationen“ vollkommen an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. „Wir müssen und dürfen uns die Frage stellen, wie wollen wir versorgt und gepflegt werden, diese Überlegung muss uns vor allem leiten. Denn man kann sehr schnell etwas zerstören, aber wenn es zerstört ist kommt es eben auch nie wieder, “ warnte Prof. Sell.

Stärkung der ländlichen Regionen
Ländliche Regionen ohne die heutige Gesundheitsversorgung werden Schritt für Schritt von ihren Bewohnern zu Gunsten städtischen Regionen verlassen werden – das will niemand. Eine Abschaffung der starren Strukturen mit Trennung der Finanzierungssysteme der Krankenhäuser und Praxislandschaft ist für Guido Wernert genauso zentral wichtig wie die Stabilisierung der Krankenhauslandschaft durch eine zügige Abkehr fast ausschließlicher, variabler Finanzierung in größtenteils fixe Vorhaltefinanzierung. Eine strukturierte Reduzierung der Klinikzahlen in vorwiegend engmaschig, überversorgten Ballungszentren zu Gunsten der Sicherung der Flächenversorgung wäre hier nach Wernerts Meinung eine Grundlage, sei aber politisch nicht ansprechbar. Schon in „normalen“ Zeiten sei es schwierig für die Kliniken. Aber vor allem in der momentanen Situation könne die Entwicklung in gar keinem Fall so weitergehen.

„Die Bundespolitik muss die Vorhaltefinanzierung einführen. Das Gesundheitssystem funktioniert sonst nicht mehr. Eine Umfrage der KGRP ergab, dass bereits für das Jahr 2022 nur noch 15 Prozent der Kliniken in Rheinland-Pfalz ein positives Jahresergebnis erwarten. Diese Umfrage wurde bereits vor der Kostenexplosion durchgeführt, mittlerweile dürften auch die damaligen Finanzpolster aufgebraucht sein. Somit bedroht die akute Situation nun zunehmend die wirtschaftliche Existenz der Kliniken“, warnte Wernert. „Die Politik muss ehrlich mit Themen umgehen. Will man die Krankenhäuser haben, muss man sie 100 Prozent finanzieren und nicht durch die kalte Küche kaputt machen“, so der Klinikmanager.

Blitzumfrage des DKI
Dies bestätigt sich auch durch die im September veröffentlichte DKI-Blitzumfrage zu den Problemlagen im Krankenhaus, woran sich bundesweit 274 Krankenhäuser beteiligten. Hiernach fühlen sich 93 Prozent der deutschen Krankenhäuser von der Bundesregierung nicht hinreichend unterstützt. Angesichts einer äußerst angespannten personellen und wirtschaftlichen Lage halten sie eine grundlegende Struktur- und Finanzierungsreform im Krankenhausbereich für dringend notwendig. 95 Prozent der Befragten beklagen teilweise deutlich höhere Personalausfälle in patientennahen Bereichen als sonst um diese Zeit üblich. Dies könnte Einschränkungen in der Patientenversorgung nach sich ziehen. Für den kommenden Herbst erwarten 78 Prozent der Krankenhäuser, vermehrt planbare Operationen und Eingriffe verschieben zu müssen. Fast kein Krankenhaus kann die aktuellen Kostensteigerungen aus den regelhaften Erlösen dauerhaft finanzieren.

Zusätzlich konnten 87 Prozent der Häuser in den vergangenen zwei Jahren keine ausreichenden Rücklagen bilden. Daher ist die Liquiditätssituation der Krankenhäuser momentan angespannt. 39 Prozent der Krankenhäuser beurteilen ihre Liquidität als kritisch. Wegen der stark gestiegenen Kosten hat der Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach am 9. September ein kurzfristiges Hilfspaket für Kliniken angekündigt. Konkrete Vorhaben werden mit den Ländern in den nächsten Wochen beschlossen. „Es ist mittlerweile zehn nach zwölf“, gab Wernert hierzu mit auf dem Weg. „Denn es geht darum, die Daseinsvorsorge unserer Kliniken abzufedern und vor allem geht es darum, die Sicherung einer medizinisch-pflegerischen Versorgung, um die uns andere Länder in der Welt beneiden“, betonten Guido Wernert und Prof. Dr. Stefan Sell. (PM)


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