Tod der 12-jährigen Luise: Spekulationen, Expertenmeinungen und Erklärungsversuche
Noch immer sitzt der Schock über den gewaltsamen Tod der 12-jährigen Luise aus Freudenberg tief, woran sich wohl so schnell nichts ändern wird. Da Staatsanwalt und Polizei keine weiteren Details zum Ablauf des Verbrechens bislang mehr vorlegten, machen Spekulationen über das Motiv der beiden mutmaßlichen Täterinnen und Erklärungsversuche die Runde.
Freudenberg. Der Tod der 12-jährigen Schülerin Luise aus Freudenberg, die am Sonntag vergangener Woche (12. März) verblutet in einem Waldstück in unmittelbarer Nähe von Freudenberg (Kreis Siegen-Wittgenstein) gefunden wurde, lässt die Nation weiterhin trauern und nach dem Sinn des Geschehenen fragen. Mutmaßlich für die Tat belangt werden zwei Mädchen (12 und 13 Jahre alt), die Luise kannten und die bereits jeweils ein Geständnis abgelegt haben sollen, aber aufgrund ihres Alters noch strafunmündig sind. Sowohl Luise als auch das Duo besuchten ein und dieselbe Gesamtschule in ein und derselben Klasse. Fakt ist nach wie vor, dass die Tatwaffe noch immer nicht gefunden wurde. Über das Motiv wird spekuliert. Luise war seit Samstag (11. März) als vermisst gemeldet, nachdem sie den Heimweg von einer Freundin angetreten hatte. Die Ermittler bekräftigten am Freitag (17. März) via Fernsehsender n-tv erneut ihre Linie, keine offiziellen Antworten zum Tatgeschehen mehr zu geben. „Wir können die rechtlichen Grenzen, die uns gesetzt sind, nicht überschreiten, nur weil die Bevölkerung meint, ein Anrecht zu haben, alle Hintergründe zu kennen", sagte Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss von der Staatsanwaltschaft Siegen, die von der Staatsanwaltschaft in Koblenz den Fall übernahm, obwohl der Fundort der Leiche auf rheinland-pfälzischem Boden lag. Hintergrund sei, so von Grotthuss, der Persönlichkeitsschutz der Minderjährigen. „Wir werden natürlich vollumfänglich aufklären", betonte er. Aber: Sollten sich die beiden geständigen Mädchen als Täterinnen bestätigen, „dann werden wir keine Aussagen zu Tatabläufen oder Motivlagen machen. Wenn wir Auskunft erteilen können und dürfen, tun wir das sicherlich", ergänzte von Grotthuss. In so einem speziellen Fall - Opfer und Täterinnen sind Kinder - müsse man auch mal akzeptieren, dass es gewisse Informationen gebe, die nicht für die Öffentlichkeit seien. „Damit muss man letztlich irgendwo leben", betonte er.
Mögliche andere strafrechtliche Sachverhalte nicht übersehen
Die Ermittler dürften sich, so von Grotthuss, aber nicht dem Vorwurf aussetzen, im Zuge der Ermittlungen mögliche andere strafrechtliche Sachverhalte zu übersehen. Es gibt demnach aber derzeit keine Hinweise darauf, dass andere Personen als die beiden Mädchen beteiligt waren. „Natürlich werden wir auch hinterfragen, ob die Geständnisse, die wir bekommen haben, belastbar sind und sich tragfähig zeigen", fügte er an. Polizei und Staatsanwaltschaft gingen am Freitag (17. März) mit einer Mitteilung gegen Falschmeldungen in der Sache in die Offensive. „Offenkundig gibt es besonders in den sozialen Medien Spekulationen, die sich nicht mit dem aktuellen Stand der Ermittlungen decken", hieß es. Die Ermittler baten, sich daran nicht zu beteiligen „und die Diskussionen über die Hintergründe des Vorfalls, auch zum Schutz der Angehörigen, nicht zu befeuern".
Trauerfeier am Mittwoch, 22. März
Freudenbergs Bürgermeisterin Nicole Reschke schilderte am Freitag (17. März), wie bestürzt die Menschen seien. Zugleich sprach sie aber auch von einem großen Zusammenhalt. „Alle sind getroffen und betroffen“, bekannte Reschke in der „Siegener Zeitung“, wie „FOCUS-online“ berichtete. Die ganze Woche kümmerte sie sich nach eigenen Angaben ausschließlich um die Menschen, das Alltagsgeschäft ruhte. Nach „FOCUS-online“-Informationen aus Justizkreisen wurden beide Tatverdächtige zunächst getrennt in zwei unterschiedlichen Einrichtungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen, nachdem sie bereits auf Anordnung des Jugendamtes jeweils ihren Wohnort verlassen hatten. Die Behörde führte offenbar inzwischen Eltern und Kinder wieder in einer unbekannten Unterkunft zusammen. Luise sei offenbar, so die weiteren Recherchen von „FOCUS-online“, einem Racheakt ihrer besten Freundin zum Opfer gefallen. Die Ermittler überprüften die These, dass Luise an jenem späten Samstagnachmittag in einen Hinterhalt gelockt worden sei. Der Tat sollen Konflikte in sozialen Netzwerken vorausgegangen sein, über die sich Luise entweder in der Schule oder anderswo beschwert haben soll. Warum das Mädchen an jenem Samstag dann ihre Freundin aufgesucht habe, sei eines der großen Rätsel. Auch sei unbekannt, welche Rolle die zweite Täterin bei dem Geschehen gespielt habe. Am Mittwoch, 22. März, soll eine Gedenkfeier für Luise „im engen persönlichen Kreis" begangen werden, wie es in einer Traueranzeige („Siegener Zeitung“ von Samstag, 18. März) hieß. Das Treffen soll als Audiostream in die Aula der Esther-Bejarano-Gesamtschule, in der inzwischen der Unterricht langsam wieder aufgenommen wurde, übertragen werden, wie aus der Anzeige hervorging. Am Samstag (18. März) trug sich zudem NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst in Freudenberg ins Kondolenzbuch ein.
Schutz der mutßmaßlichen Täterinnen zu achten
„Über die Motive und das Tatgeschehen auch nach Abschluss des Verfahrens nicht zu informieren, halte ich für nicht tragfähig. Dafür ist die Tat zu spektakulär“, sagte Medienrechtler Prof. Tobias Gostomzyk von der TU Dortmund auf Anfrage der „Rheinischen Post“. „Der Schutz der mutmaßlichen Täterinnen ist zu achten, kann hier aber nicht jegliche Information ausschließen, zumal sie ja bereits gestanden haben.“ Der Persönlichkeitsschutz sei bei Minderjährigen zwar deutlich höher anzusiedeln als bei Erwachsenen und Schutz der Identität zweifellos gerechtfertigt, Informationen über die Tat - also nicht zu den Täterinnen im Detail - seien aber etwas anderes. Eine grundsätzliches Schweigen der Behörden zu Hintergründen sah Gostomzyk kritisch. „Ich glaube nicht, dass das vor Gericht Bestand haben würde, weil die Tat so erschütternd und einzigartig ist, das öffentliche Interesse also erheblich. Es ist demnach nicht gerechtfertigt, jede Information darüber zurückzuhalten, sofern die Persönlichkeitsrechte angemessen geschützt werden“, führte er aus, er gehe sogar davon aus, dass die Behörden, wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind, eine Pressekonferenz geben: „Wenn nicht, könnten die Medien ihren Auskunftsanspruch gerichtlich geltend machen.“
Berührungspunkte mit Gewalt?
Der „Express“ zitierte Andreas Krüger, den ärztlichen Leiter des Hamburger Instituts für Psychotraumatologie, der in einer Vermutung gegenüber dem "Bayrischen Rundfunk" geäußert hatte, dass die beiden mutmaßlichen Täterinnen schon in ihrer Vergangenheit Berührungspunkte mit Gewalt gehabt haben, „wahrscheinlich gibt es für diese Mädchen eine Jugendamtsakte“. Weiter nahm Krüger an, dass beide Mädchen aus einem unsicheren Elternhaus kommen, wo Gewalt und Ignoranz der Kindergefühle eine Rolle gespielt haben könnten. Eine fehlgeleitete Entwicklung setze er voraus. Diese These unterstützte auch Kriminologe Christian Pfeiffer. Nach Darstellung des "Südwestrundfunks" bestätigte der Experte, dass der Grund für extreme Hass- und Wutgefühle bei Kindern auf die Familien zurückzuführen sind. „Zu einem kindlichen Mörder oder einem Totschläger wird man nicht geboren, dazu wird man gemacht“, erklärte Pfeiffer. Die Motive zum Totschlag von Luise blieben zunächst ungeklärt. Es gebe keine weiteren Erkenntnisse aus dem Elternhaus der Schuldigen; fraglich bliebe, ob die wahren Hintergründe jemals von den Täterinnen, ihren Eltern oder Polizei und Staatsanwaltschaft veröffentlicht werden.
Blitzableiter für eigene Überspannungen?
Die Prognose für die Mädchen von Dr. Albert Wunsch, Diplom-Sozialpädagoge, Psychologe, Buchautor und promovierter Erziehungswissenschaftler mit eigener Praxis für Erziehungsberatung ist düster, wie er in der „Bild-Zeitung“ darlegte: „Wuchsen die beiden in guten sozialen Strukturen auf und haben sie im Affekt gehandelt, werden sie ihr Leben lang mit Schuldgefühlen aufgrund dieser Tat konfrontiert werden.“ Aber: „Die Brutalität und Skrupellosigkeit der Tat sprechen für eine bewusste Tat“, meinte Wunsch. „Der Tod von Luise war kein Unfall. Sie wurde nicht im Streit geschubst und ist unglücklich mit dem Kopf aufgeschlagen. Auch deutet vieles darauf hin, dass es keine Affekt-Handlung war.“ Wunsch hielt es für denkbar, dass die Tötung eine Art Kompensationshandlung war: „Wenn die beiden beispielsweise ohne verlässliche emotionale Bindungen in der Familie aufwuchsen oder selbst Gewalt erfahren mussten, dann kann dies dazu führen, dass sie jemand anderem etwas Böses antun, quasi als Blitzableiter für eigene Überspannungen.“ Dass es überhaupt zu einem solchen Fall kommen konnte, ist laut Wunsch auch auf eine gesellschaftliche Entwicklung zurückzuführen. Er sagte gegenüber „Bild“: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der Konflikte derart heftig eskalieren, wie es vor 20 bis 30 Jahren nicht möglich gewesen wäre. Das einsatzbereite Messer in der Tasche scheint, auch bei jüngeren Menschen, zur alltäglich einsetzbaren Grundausstattung zu gehören.“ Wunsch legte auch dar, wie den mutmaßlichen Täterinnen aus psychologischer Sicht geholfen werden kann: „Mit den Eltern muss jetzt zwingend aufgearbeitet werden: Wie intensiv war der Kontakt der Eltern zu den Töchtern? Gab es Anzeichen für ein wachsendes Konfliktverhalten? Warum hatten die Mädchen ein Messer dabei? Wie können die Eltern mit dieser Tat ihrer Kinder auf Zukunft als Familie leben? Und die beiden Mädchen benötigen super gute Rahmenbedingungen und erfahrene Therapeuten, um mit dieser Bluttat leben zu lernen.“
Seiten nicht mehr auffindbar
Inzwischen sorgten die Behörden dafür, dass Seiten der beiden tatverdächtigen Mädchen in sozialen Netzwerken nicht mehr auffindbar sind. „Uns bekannte Social-Media-Kanäle wurden auf Anordnung der Staatsanwaltschaft geschlossen", sagte ein Sprecher der Polizei Siegen-Wittgenstein. Zuvor hatte die „Siegener Zeitung" berichtet. Er verwies auf die Persönlichkeitsrechte der beiden Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren. In sozialen Netzwerken hatte es auf den Profilen teils anonymer Nutzer zahlreiche Spekulationen und auch Drohungen und Hass gegen die Tatverdächtigen gegeben. Laut Polizei wird laufend geprüft, ob strafrechtlich Relevantes gepostet wird. „Mörderin", „Psycho" oder „Wie konntest du nur": Anfeindungen wie diese und weitergehende Rachedrohungen hatten sich unter einem Clip gehäuft, den eine der beiden mutmaßlichen Täterinnen bereits am Sonntag (12. März) auf der Videoplattform TikTok veröffentlicht haben soll. Ob es sich bei dem Profil tatsächlich um das von einem der geständigen Mädchen handelt, ist offiziell nicht bestätigt. Um die Hassrede nicht zu befeuern, veröffentlichte „t-online“ weder Screenshots des Profils noch Hinweise auf den Profilnamen. Hunderte Nutzer scheinen allerdings fest davon auszugehen, eine der Schuldigen gefunden zu haben. „Wie krank, dass man so unfassbar normal wirken kann, aber dazu fähig ist", kommentierte eine Nutzerin. Andere äußern sich skeptischer: „Woher wollt ihr wissen, dass sie es war?"
Beispiele aus Niedersachsen
Die Kinderpsychiaterin Yonca Izat empfahl laut „t-online“ in Bezug auf Social Media, dass die Betroffenen auf keinen Fall Hasskommentare lesen sollen. „Es ist eine nachvollziehbare Reaktion der Umwelt, die da eine klare Grenzsetzung macht und sagt: Das ist inakzeptabel. Aber es ist fragwürdig, wenn man jetzt mit einer ähnlichen Aggression auf die beiden Mädchen reagiert", verdeutlichte Izat . Den gesellschaftlichen Wunsch nach Rache, indem Menschen verbal aggressiv den Kindern gegenüber werden, halte sie für bedenklich: „Davor müssen die Mädchen geschützt werden." Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Niedersachsen gab es, so recherchierte die Online-Plattform „Der Westen“, ähnlich gelagerte Delikte unter Kindern. Zuletzt tötete im Januar ein 14-Jähriger einen gleichaltrigen Nachbarn aus Wunstorf. In Salzgitter gab es 2022 einen Fall, bei dem ein 14-Jähriger ein ein Jahr älteres Mädchen umbrachte. Das Landgericht Braunschweig verurteilte ihn ihn wegen Mordes zu einer achtjährigen Haftstrafe. Ein ebenfalls beteiligter Junge von 13 Jahren kam ohne Strafe davon, weil er noch zu jung war. (vh)