Psychiatrische Versorgung im Westerwaldkreis ist große Herausforderung
Eine Sozialpolitik nach Kassenlage im Westerwaldkreis verhindern - dies war eine zentrale Forderung des Treffens von Psychiatrie-Fachleuten und Betroffenen im Westerwaldkreis in Montabaur. Auf Einladung des "Forums Soziale Gerechtigkeit" fand das offenen Fachgespräch in Montabaur statt. Kernpunkt war die psychaitrische Versorgung im Westerwaldkreis. Die Zahlen psychisch kranken Menschen steigen, auch in der Region.
Westerwaldkreis. Genau so soll es nach den Vorstellungen des "Forums Soziale Gerechtigkeit" sein: Alle, die mit einem sozialen Thema zu tun haben, kommen zusammen und suchen gemeinsam nach geeigneten Lösungen für die anstehenden Probleme. Egal ob Betroffene und deren Angehörige, ob Vertreter von Einrichtungen oder von Sozialträgern, von anderen Organisationen oder der Kommunalpolitik. Nicht die einzelnen Interessen stehen im Mittelpunkt, sondern die gemeinsamen. Optimal gelungen ist dies jetzt wieder bei einem offenen Fachgespräch im Integrationscafe "Vogelhaus" in Montabaur. Thema war die psychiatrische Versorgung in der Region.
Nach einer Psychiatrierundreise des Forums im vergangenen Juni durch den Westerwaldkreis waren diesmal alle Interessenten eingeladen, die gewonnenen Erkenntnisse auszuwerten und über bestehenden Handlungsbedarf in der Versorgung psychisch kranker Menschen im Kreis zu reden. Als fachkundige Gesprächspartner standen neben Betroffenen und deren Angehörigen auch Fachleute aus den im Sommer besuchten Einrichtungen zur Verfügung.
"Da etwa 10 Prozent der Westerwälder von einer psychischen Erkrankung direkt betroffen sind und zumindest jeder Dritte im Laufe seins Lebens psychisch erkrankt, geht es hier nicht um ein Randthema der Gesellschaft", stellt Uli Schmidt (Horbach) für das Forum Soziale Gerechtigkeit bei der Begrüßung fest. Deshalb seien wohl auch so viele Menschen der Einladung zu dem Gespräch gefolgt. Da das "Cafe Vogelhaus" als Integrationsfirma auch psychisch erkrankte Arbeitnehmer beschäftige, sei der Veranstaltungsort bewusst gewählt worden.
Erwin Peetz von den Caritaswerkstätten Westerwald/Rhein-Lahn stellte deren Moditec-Betriebe in der Kreisstadt vor, in denen derzeit 65 Menschen mit Psychiatrieerfahrung beschäftigt sind. Ziel, so Peetz, sei die Vermittlung für möglichst viele auf den Allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Integration auf den Arbeitsmarkt ist dagegen für die Teilnehmer/innen der Tagesstätte des Diakonischen Werkes in Westerburg kein realistisches Ziel. "Hier geht es nur darum, zu einem geregelten Tagesablauf der Leute beizutragen", so Johanna Alef-Bill vom Diakonischen Werk. Ziel sei es jedoch, die Teilnehmer so zu stabilisieren, dass beispielsweise die Kosten der Krankenkassen reduziert würden.
Doreen Schuy und Axel Hain von der AWO-Gemeindepsychiatrie in Bad Marienberg berichteten über die Veränderungen in der Versorgung mit geeigneten Wohnangeboten. Der Trend gehe immer mehr weg vom Wohnheim hin zum Betreuten Wohnen oder zum selbständigen Einzelwohnen. Dafür sei das "Persönliche Budget" eine geeignete Finanzierungsgrundlage. "Wegen der großen Nachfrage wird unsere Tagesklinik am Krankenhaus in Dernbach bald von 30 auf 40 Plätze erweitert", so der in dieser Einrichtung tätige Facharzt Frank Lücke. Für die verschiedenen psychischen Krankheitsbilder gebe es dort differenzierte Therapieangebote. "Leider ist wegen der großen Nachfrage eine Wartezeit nicht ganz zu vermeiden", so Lücke.
In der sich anschließenden Diskussion standen die Schilderung von Einzelfällen durch Betroffene oder Angehörige im Mittelpunkt. Meist ging es dabei um zu geringe Chancen für eine berufliche Integration psychisch Kranker im Westerwaldkreis. Eine Mutter bedauerte, dass die Mitarbeiter/innen von Arbeitsagentur und Jobcenter auf den Umgang mit diesem Personenkreis meist schlecht vorbereitet seien und oft auch nur wenig geeignete Maßnahmen anbieten könnten.
Weitere Themen waren die Möglichkeit von Teilzeitjobs für behinderte Arbeitssuchende, der fehlende Kreisbehindertenbeirat, der von der Kreisverwaltung angekündigte Aktionsplan des Kreises zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und die mit dem "Budget für Arbeit" verbunden Möglichkeiten der Arbeitsmarktintegration.
Als ehrenamtlicher DRK-Mitarbeiter bemängelte Jürgen Keller-Wolf (Niederahr) die fehlende Bereitschaft der Kommunalpolitiker und -politikerinnen aller Parteien, die Ziele des Forums Soziale Gerechtigkeit aktiv zu unterstützen. "Von denen lässt sich fast nie jemand blicken, obwohl die Kommunalpolitik ein hohes Interesse daran haben müssten", so Keller-Wolf.
Mit einem Apell beendete Otto Gilberg (Stahlhofen), Elternvertreter in den Caritaswerkstätten, den informativen Abend: "Es darf im Kreis für psychisch Kranke und behinderte Menschen keine Sozialpolitik nach Kassenlage geben!"
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