Bewegende Gedenkfeier zur Reichspogromnacht in Selters
Von Wolfgang Rabsch
Stellvertretend für alle Gedenkfeiern zur Reichspogromnacht, die gestern (9. November) im Westerwaldkreis stattgefunden haben, berichtet der WW-Kurier von der Gedenkfeier in Selters. Wegen widriger Witterungsverhältnisse wurde die Gedenkfeier kurzerhand vom Marktplatz in die nahegelegene evangelische Kirche verlegt.
Selters. In der Kirche hatten sich viele Menschen eingefunden, um den Opfern der Reichspogromnacht zu gedenken. In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 zerstörten von den Nationalsozialisten organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, steckten Synagogen in Brand und misshandelten und verschleppten tausende Juden.
Zu Beginn der Gedenkfeier beschrieb Stadtbürgermeister Rolf Jung in bewegenden Worten aus seiner Sicht die Geschehnisse vor 85 Jahren und der aktuellen Situation. Die Mehrheit habe sich nicht für die Verbrechen an den Juden entschieden, doch durch das Schüren von Gewalt und Ängste sei es den Nazis gelungen, die Bevölkerung einzuschüchtern. Auch in Selters hätte der Terror gewütet, die Synagoge sei niedergebrannt und der Friedhof geschändet worden und viele jüdische Mitbürger wurden verhaftet und deportiert. "Dass wir heute in Freiheit leben können, verdanken wir unzähligen Menschen, die dafür gekämpft haben", so Jung.
Klare Worte bei der Gedenkfeier
Ein Vertreter der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz schilderte die Situation der jüdischen Bürger rund um den 9. November 1938. Jüdische Mitbürger wurden inhaftiert, verschleppt, gefoltert und ermordet. Der überwiegende Teil der Bevölkerung habe zu diesen Verbrechen geschwiegen und weggeschaut, auch die Kirchen. Dieses Schweigen wäre ein tödliches Schweigen gewesen. Hitler hätte durch den Angriff auf die jüdischen Bürger auch ausgelotet, wie weit er gehen könne. Das Schweigen der Gesellschaft und auch das der Kirchen habe ihn darin bestärkt, weiterzumachen. Der Vertreter der Gemeinde schilderte eine zu Herzen gehende Geschichte, als ein dreijähriger Junge vor den Fängen der Nazi-Schergen gerettet werden konnte. Eine fremde Frau hätte den Jungen zur Seite gezogen, als die Mutter während des Einkaufs auf dem Wochenmarkt von den Nazis festgenommen und abgeführt wurde. Diese Frau nahm den Jungen mit nach Hause und erklärte, er sei ihr nicht-eheliches Kind. Der Junge überlebte so den Holocaust und ist heute Mitglied in der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz.
Der Referent würdigte den engagierten Einsatz deutscher Politiker, bedauerte aber auch die deutsche Enthaltung bei der letzten UN-Resolution. Es sei wichtig, nicht zu schweigen, sondern zu handeln und sich für unsere freiheitlich, demokratische Grundordnung einzusetzen. Er machte auch auf das gefährliche Schweigen von Menschenrechtsorganisationen aufmerksam und fragte: "Wo bleibt der Aufschrei der Frauenrechtler angesichts des brutalen Vergehens an hunderten von Frauen bei dem Massaker in Israel?"
Pfarrerin Svenja Müller und Diakon Dieter Wittemann führten einen Dialog über die Pogromnacht und erwähnten auch das Schweigen und Wegschauen der Christen, auch in Selters. Viele hätten sich später dafür geschämt. Der Dialog endete mit den Worten "Gott, gib Frieden, gib Frieden, Gott".
Zwei Schülerinnen einer Schulklasse der IGS-Selters schilderten von ihrer Klassenfahrt, die nach Weimar führte. Auf dieser Fahrt besuchten sie auch das KZ in Buchenau, dieser Besuch hinterließ bei allen Schülern und Lehrern tiefe Eindrücke.
Vor dem Ende der Gedenkfeier erhielt jeder Besucher eine Kerze, die angezündet und beim abschließenden Gebet in den Händen gehalten wurde. In einem Winkel der evangelischen Kirche hatten Schüler verschiedene Zeichnungen, Notizen und Gedichte von KZ-Insassen ausgestellt, die diese während ihrer Gefangenschaft hergestellt hatten.
Schweigend, nachdenklich und tief beeindruckt, gingen am Ende alle Besucher in die dunkle Nacht hinaus.
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