Eine schrecklich schöne Vorweihnachtszeit
Nicole Dormann vom Verein Hundeherzen Apariv e.V. erzählt die vorweihnachtliche Geschichte von "Rudi" und seiner Familie.
Von Nicole Dormann, Hundeherzen Apariv e.V.
Alles sprach immer von der besinnlichen und gemütlichen Vorweihnachtszeit. Ja aber wo war diese Zeit in seiner Familie, fragte sich Rudi immer wieder. Rudi war ein rotbrauner Setter mit einer ebenso rotbraunen Nase, welche ihm wohl auch seinen Namen eingebracht hatte. Das erste, was die Kinder der Familie damals bei ihrem ersten Treffen riefen, war: Oh Mama ... der schaut ja aus wie Rudolf das Rentier. Ja und so wurde aus Nr. 1398 des Tierheimes auf einmal ein Rudi Schneider. Schneider, weil seine Familie eine Familie Schneider war, und er ja nun zur Familie gehörte, also war er eben der Rudi Schneider!
Rudi mochte seinen Namen, und er mochte seine Familie. Doch grade im Moment schien irgendwie ein Ausnahmezustand zu herrschen. Alle Familienmitglieder waren in Eile, und irgendwie schien jeder unaufschiebbare Dinge erledigen zu müssen. Rudi hatte sich zur Sicherheit in sein warmes Körbchen zurückgezogen und beobachtete das wilde Treiben. "Komisch", dachte Rudi. Der ältere Hund, den er gestern noch beim Gassi im Wald getroffen hatte, meinte doch noch, dass nun die schönste Jahreszeit beginnen würde. "Was er damit wohl gemeint hatte?" Hier in seiner Familie jedenfalls war von der schönsten Jahreszeit weit und breit nichts zu sehen. "Naja, vielleicht sollte ich erst einmal ein kleines Schläfchen machen" schnaufte Rudi. Bestimmt ist alles wunderschön, wenn er wieder aufwacht.
Aber irgendwie schien alles nur noch viel schlimmer zu werden. Rudi wurde reichlich unsanft aus seinem Schlaf geholt als Mama Schneider mit voll bepackten Taschen durch die Haustüre kam. Freudig sprang Rudi seinem Frauchen, so wie er es immer tat, entgegen. Aber anstatt der wie sonst freudigen Begrüßung, hörte er nur ein genervtes: "Ach Rudi ... geh schnell aus dem Weg, die Taschen sind schwer ... und ich hab eigentlich auch überhaupt keine Zeit. Immer bleibt alles an mir hängen." Rudi konnte es nicht glauben und startete erneut einen Versuch indem er sich galant durch Mama Schneiders Beine zu quetschen versuchte.
Oje, das hätte er wohl besser bleiben lassen. Mit einem lauten Klirren landete eine Einkaufstasche auf dem Boden und eine riesen Pfütze Milch ergoss sich über den Boden. "Ooooh nein" schrie Mama Schneider, und "Oh nein" dachte Rudi. Noch bevor Rudi den Ärger von Frauchen spüren konnte gab er Fersengeld und flüchtete zurück in sein Körbchen. Natürlich konnte Rudi aus seinem Körbchen ganz genau sehen, dass Mama Schneider ziemlich sauer war, aber er gab lieber vor von einer erneuten Müdigkeitswelle getroffen zu sein.
Mittags kamen dann die Kinder aus der Schule und nahmen Rudi mit in den Garten. Das war vielleicht ein Spaß. Überall im Garten lagen Berge von Blättern. Papa Schneider hatte am Tag zuvor Laub gekrämmert und alles ordentlich aufgetürmt, um es besser abtragen zu können. Tja, aber Rudi hatte das wohl nicht so ganz verstanden und dachte, das Laub müsse wieder gleichmäßig im Garten verteilt werden. Warum sollte es auch so aufgetürmt in der Gegend stehen, das ergab doch keinen Sinn. Oder etwa doch? Rudi tollte den ganzen Nachmittag mit den Kindern durch den Garten und gab sich die größte Mühe jedes Blatt wenigstens einmal durch den Garten zu wirbeln, sodass am Ende wirklich alle Blätter wieder schön verteilt auf der Wiese lagen. Rudi war ganz schön stolz auf sich und die Kinder. Sie hatten wirklich ganze Arbeit geleistet.
Doch Rudis Freude sollte nicht lange vorhalten, denn als Papa Schneider von der Arbeit kam, war er erst recht blass um die Nase, bevor sein Gesicht eine ziemlich rote Farbe annahm. Fast hatte Rudi das Gefühl Papa Schneider müsse sich am Terrassengeländer abstützen, als er den Blick über das verteilte Laub schweifen ließ. Wortlos nahm sich Papa Schneider den Krämer und zeigte Rudi mit erhobenem Finger die Richtung ins Haus an. "Nun" dachte Rudi, auch diese Begrüßung würde wohl ausfallen. Da hatte er wohl die Sache mit dem Laub reichlich falsch verstanden. "Blöde Vorweihnachtszeit" schnaufte Rudi während er eher schleichend an Papa Schneider vorbei ins Haus ging. Gut, dass er wenigstens nicht vorgeben musste müde zu sein, denn durch die anstrengende Gartenarbeit war Rudi wirklich müde. Schnell aß er noch einen Happen und kuschelte sich dann erneut in sein Körbchen. "Morgen wird bestimmt ein viel besserer Tag" dachte Rudi.
Als Rudi am nächsten Morgen aufwachte, war es noch ganz still im Haus. Alle schliefen noch, denn es war Samstag. Also endlich wieder Wochenende. Das konnte ja nur gut werden. Wenn seine Menschen nicht arbeiten mussten, machten sie es sich immer besonders schön. Meist machten sie gemeinsame Ausflüge in einen Park und fütterten dort die Enten. Na gut, Rudi versuchte lieber die Enten zu futtern äh fangen, während die Kinder die Enten mit dem trockenen Brot fütterten. Ach was war das immer ein Spaß. Bestimmt würde heute wieder so ein toller Tag. Aber auch diesmal sollte Rudi sich wieder getäuscht haben.
Als die Familie erwachte fing sofort wieder dieses wilde Treiben an. "Ob er sich vertan hatte und es doch kein Wochenende sei" dachte Rudi, während er die Diskussion zwischen Mama und Papa Schneider, wer nun mit Rudi Gassi gehen würde, beobachtete. Mama Schneider gewann schließlich die Diskussion, als sie ihren Joker "Wer macht dann die Kinder fertig" ausspielte. Rudi war es egal, wer mit ihm die Straßen unsicher machte.
Als Papa Schneider mit Rudi das Haus verließ, war Rudi schlagartig nicht mehr vom Gassigehen begeistert. "Iiiih", das weiße Zeug war kalt und nass. Nein, auf keinen Fall würde Rudi so seine Gassirunde machen. Aber Papa Schneider fing schon an ungeduldig zu werden, sodass Rudi allen Mut zusammen nahm und durch das weiße nasse Zeug stiefelte. Schön war das allemal nicht, denn nach kurzer Zeit schmerzten Rudis Füße von dem blöden weißen Zeug. Und als sei das noch nicht genug, fiel nun auch noch dieses weiße Zeug in Flocken vom Himmel herab! "Ach Rudi", sagte Papa Schneider. "Nun stell dich doch nicht so an. Daran wirst du dich schon gewöhnen müssen, denn Schnee gehört einfach zur Weihnachtszeit!" "Waaaas", dachte Rudi. "Dieser blöde kalte Schnee sollte auch noch zur Weihnachtszeit gehören. Wie um alles in der Welt konnte der alte Hund sagen, dass der Winter die schönste Jahreszeit wäre? Bestimmt war der alte Hund schon so alt, dass er nicht mehr klar denken konnte. Ja, genau so musste es sein."
Gottergeben und mit hängender Rute schlich Rudi hinter Papa Schneider her und war sehr froh, als die Gassirunde endlich zu Ende war. Zuhause waren schon alle Familienmitglieder in Aufbruchsstimmung, sodass Rudi auf direktem Weg an seinen gefüllten Napf ging, um dann vollkommen unmotiviert in seinen Korb schlich! "Blöde Weihnachtszeit", dachte Rudi noch einmal und schnaufte unglücklich in seine Kissen.
Am darauffolgenden Sonntag hatte Rudi schon gar keine Lust mehr aufzustehen. Viel lieber würde er sich heute in seinem Korb verstecken, und auf gar keinen Fall würde er wieder in dieses weiße Zeug gehen. Lieber machte er eben gar nicht mehr Pipi ... BASTA. Und von dem wilden Treiben in der Küche gestern Nachmittag, wollte er auch nix mehr wissen. Da könnten noch so tolle Düfte in seine Nase kommen, er würde ihnen widerstehen. Nichts war es Wert den Ärger von Mama Schneider erneut auf sich zu lenken. Das "Vergnügen" hatte er gestern erst noch gehabt, und davon hatte er die Nase auch heute noch gestrichen voll. Diese ganze Weihnachtszeit konnte ihm so was von gestohlen bleiben. Da blieb er doch lieber gleich in seinem Korb, dann würde er auch keinen Ärger mehr bekommen.
Als dann die Familie Schneider zusammen am Frühstückstisch saß, schaute Rudi gar nicht erst auf, als er seinen Namen hörte. Sicher sprachen sie nur darüber, was er heute noch so alles falsch machen konnte. Als die Kinder dann in ihren raschelnden Schneeanzügen vor seinem Korb mit dem Halsband wedelten, war Rudi tatsächlich kurz versucht sich einfach schlafend zu stellen. Aber leider machte seine Blase nicht so wirklich mit, denn Rudi musste zwischenzeitlich wirklich dringend einmal für "große Königstiger". Also stand er doch auf und schwor sich aber, gleich danach wieder in seinen Korb zu flüchten.
So ging Rudi dann mit Papa Schneider und den Kindern raus in dieses widerliche weiße Zeug. Murrend sah Rudi, dass die Kinder sich riesig über dieses weiße Zeug freuten und lachend einer nach dem anderen in dem Schnee lagen. Plötzlich sauste ein dicker weißer Schneeball auf Rudi zu und traf ihn mitten auf den Hintern. "Na warte", dachte Rudi, "das zahl ich euch heim." und hechtete hinter den Kindern her. Diese lachten und jauchzten vor Freude und auch Papa Schneider warf fleißig Schneebälle. Während dieses tollen Spiels vergaß auch Rudi, dass er ja eigentlich Schnee blöd fand und jagte hinter den fliegenden weißen Bällen her. Was war das für eine große Freude. Als dann alle vollkommen geschafft von dem ausgelassenen Spiel waren, traten sie den Heimweg an.
Sofort als sich die Haustüre öffnete, kam ihnen schon ein unwiderstehlicher Duft von frisch gebackenen Plätzchen, Bratäpfeln und anderen wohlriechenden Leckereien in die Nase. Nachdem sich alle trockene Sachen angezogen hatten und auch Rudi trocken gerubbelt war, fanden sich alle Schneiders im Wohnzimmer ein. Eingekuschelt in dicke Decken saßen sie vor dem knisternden Kamin und ließen sich die vielen Köstlichkeiten, die Mama Schneider zubereitet hatte, schmecken. Auch Rudi bekam eine riesen Portion frisch gebackener Hundekekse. Unglaublich ... seine Kekse hatten die Form von Rentieren. Vor Rührung hätte Rudi die ganze Welt umarmen können.
Das war sie also ... die wunderschönste Zeit des Jahres .... die Vorweihnachtszeit!
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