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Pressemitteilung vom 26.01.2024    

Forschungsprojekt des Landtags zur NS-Zeit: Holocaust in Rheinland-Pfalz wenig beachtet

In rheinland-pfälzischen Familien wird selten über die Zeit des Holocausts gesprochen. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse eines Forschungsprojekts, das der rheinland-pfälzische Landtag vor einem Jahr initiiert hatte und nun veröffentlichte.

v.l.n.r.: Landtagspräsident Hendrik Hering, Dr. Inka Engel und Peter-Erwin Jansen stellten die Forschungsergebnisse im rheinland-pfälzischen Landtag vor. (Foto: Landtag Rheinland-Pfalz)

Mainz/Koblenz. Besonders die jüngeren im Forschungsprojekt Befragten schätzen die Relevanz des Holocaust für ihre Familie oder die eigene Zukunft als eher gering ein. In den Familien, in denen doch über den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg gesprochen wird, stößt oft die Generation der Enkel das Thema an.

Im Mittelpunkt des Projekts stand die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in einheimischen und migrantischen Familien in Rheinland-Pfalz. Die Universität Koblenz führte das Projekt hauptverantwortlich in Kooperation mit der Hochschule Koblenz und der Touro University Berlin durch. Für die wissenschaftliche und organisatorische Durchführung waren Dr. Inka Engel von der Universität Koblenz und Peter-Erwin Jansen M.A. von der Hochschule Koblenz als Kooperationspartner verantwortlich. Als wissenschaftliche Berater standen dem Forschungsvorhaben Prof. Dr. Peter Klein und Prof. Dr. Stephan Lehnstaedt von der Touro University Berlin zur Seite.

Die dritte und vierte Generation nach dem Nationalsozialismus stand dabei stark im Fokus. Das Forschungsprojekt suchte insbesondere Antworten auf Fragen nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten beim Gedenken in den verschiedenen Generationen und Familien mit und ohne Migrationshintergrund, nach dortigen Haltungen und Einstellungen sowie der Vermittlung des damals Geschehenen durch die Kriegsgeneration an ihre Nachkommen.

An der Durchführung der Studie haben sich 466 Personen aus Rheinland-Pfalz im Rahmen einer Online-Befragung beteiligt, woraus ein Stimmungsbild entstand. In einer zweiten - qualitativen - Phase wurden ausführliche Interviews mit zehn Familien geführt, die zur Hälfte einen jüdischen oder migrantischen Hintergrund hatten.

Hohes geschichtliches Interesse
Über die Beteiligung der eigenen Familienmitglieder am Zweiten Weltkrieg wissen knapp 70 Prozent der Interviewten der Online-Befragung Bescheid, rund 60 Prozent darüber, dass Teile ihrer Familie aktiv für die Deutschen gekämpft haben. In den quantitativen Interviews geben 60 Prozent der deutschen befragten Enkel an, dass ihre Angehörige Soldaten waren und damit als Täter zu bezeichnen sind. Auch bezüglich der Themen Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust attestiert sich ein Großteil der Teilnehmer ein umfassendes Wissen: Fast alle kennen den Begriff Holocaust und können eigene Gedanken zu diesem Thema formulieren. Sehr viele verbinden den Holocaust mit dem Zweiten Weltkrieg und denken dabei an Juden. Das Gros der Befragten gibt zudem an, viel über nationalsozialistisches Gedankengut und die Ermordung von Juden zu wissen.

Ebenso haben über die Hälfte der Befragten ein hohes geschichtliches Interesse. Jedoch sprechen rund 53 Prozent der Befragten selten oder nie in ihren Familien über den Holocaust. Die Ergebnisse der Online-Befragung zeigen jedoch auch, dass die 10- bis 35-Jährigen den Holocaust für die eigene Familie und für die eigene Zukunft als weniger bedeutend einschätzen als es ältere Menschen tun. Die Studie ergibt zudem, dass Einheimische mehr über den Alltag der Deutschen im Dritten Reich und über die Aufarbeitung der NS-Verbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg wissen als Familien mit Migrationshintergrund.

Enkelgeneration will über Holocaust sprechen
Im Rahmen der persönlichen Interviews mit Familien zeigte sich, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in deutschen Familien von familiärem Engagement und deren Nachkommen abhängig ist. Erkennbar war, dass die interviewten Familien aus intrinsischer Motivation die Bedeutung des Erinnerns sowohl in der Familie als auch in der Zivilgesellschaft für notwendig erachten. Die Nachkriegsgeneration erfuhr von ihren Eltern nur wenig über den Holocaust. Die Enkelgeneration dagegen macht auffällig häufig das Thema zum Gegenstand familiärer Auseinandersetzungen.



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Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Familien mit Migrationshintergrund ist weniger ausgeprägt. Im Vordergrund stehen hier die Themen Flucht oder Integrationsprobleme. Besonders bei den jüngeren Familienmitgliedern ist dabei eine Betonung des aktuellen Rassismus festzustellen. Rund 90 Prozent der Interviewten aller Generationen und aller Familien schätzen ein, dass sich in Deutschland eine starke Tendenz zur Etablierung rechter und antisemitischer Positionen entwickelt. Besonders häufig wird in diesem Kontext die AfD genannt.

Landtagspräsident Hendrik Hering betonte: "Die Studie liefert uns für unsere Bildungsarbeit eine ganze Fülle an wertvollen Erkenntnissen. Erfreulich ist, dass ein erhöhtes Interesse und auch Wissen über die Zeit des Holocaust in der Gesellschaft vorliegt. Die Forschungsergebnisse werden wir im Rahmen unseres Schwerpunktes Erinnerungskultur insbesondere auch für die Arbeit mit unseren Besuchergruppen im Landtag nutzen. Auch werden wir die Ergebnisse der Studie mit den anderen Landtagen diskutieren, um die Zukunft der Erinnerungskultur mitzugestalten."

Geschichtsbewusstsein stärken, politische Bildung fördern, Demokratie stärken
Mit der Studie wolle man dazu beitragen, Geschichtsbewusstsein zu stärken, politische Bildung zu fördern und Demokratie zu stärken. Zugleich gelte es, das Vertuschen und Verschweigen in der Nachkriegsgeneration über die Geschehnisse im Dritten Reich aufzubrechen und Erzählungen zu hinterfragen.

"Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Nur wenn wir nicht nur wissen, sondern auch empathisch im Stande sind zu reflektieren, was zur Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist, können wir heutige Gefahrenzeichen von faschistoiden und autoritären Bewegungen erkennen. Dies ist Teil einer breiteren Diskussion über die effektive Vermittlung historischer Ereignisse in Schulen. Wir müssen die Vergangenheit erinnern, um nicht Gefahr zu laufen, diese zu wiederholen. Zivilgesellschaftlicher Widerstand kann zu einer gerechteren Welt ohne Rassismus und Rechtsextremismus beitragen", erläuterte Projektleiterin Dr. Inka Engel von der Universität Koblenz.

Ihr Forschungskollege Peter-Erwin Jansen von der Hochschule Koblenz ergänzte: "Gerade in den Interviews wurde deutlich, wie unterschiedlich der Zweite Weltkrieg und die damit zusammenhängende verbrecherische Entsolidarisierungsideologie des Nazisystems, die mit dem Holocaust endete, heute in den Familien weitergeben wurde. Auffallend ist, dass selten der Zerfall menschenrechtlicher Garantien und rechtsstaatlicher Garantien im Kontext der NS-Zeit gesehen wurde. Hervorzuheben ist die Sensibilität der jüngeren Generation gegenüber Antisemitismus und Rassismus."

Die Forschungsergebnisse werden auf verschiedene Arten weiter genutzt. Ein Schwerpunkt wird auf die so genannte Bürgerwissenschaft gelegt und unter anderem eine Wanderausstellung zum Projekt konzipiert. Bürgerwissenschaft meint den aktiven Einbezug von Bürger*innen in die Prozesse des Forschungsprojekts. Besonders Ausstellungsgegenstände und deren Geschichte, die in Familien als Erinnerung zentral sind, werden aktuell für die Ausstellung gesucht.

Weitere Informationen zur Studie und deren Ergebnisse finden sich auf der Website des Landtags unter www.landtag.rlp.de (PM)



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