Pressemitteilung vom 12.02.2024
Zukunftsweisende Pflegekonzepte gefragt - neue Gesprächsreihe gestartet
Die Babyboomer-Generation läuft auch im Westerwald blind in die Pflegekatastrophe. Denn mit den "Boomern" der Jahrgänge 1955 bis 1969 sind bis zu 22 Prozent der Bevölkerung des Westerwaldkreises betroffen und gehen nach und nach in Rente - bei steigendem Pflegerisiko und weniger Pflegefachkräften.
Westerwaldkreis/Horbach. Nach 2030 werden die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen aus allen Nähten platzen. Nicht mehr länger die Augen vor dem drohenden sozialpolitischen Tsunami verschließen wollen der Senioren- und Behindertenrat (SBR) Westerwald sowie der Kreisverband des VdK, die jetzt gemeinsam zum Start einer neuen Gesprächsreihe "Wer pflegt die Bommergeneration?" eingeladen hatte.
Mit eingeladen dazu hatte der Fördervereines des Seniorenzentrums Ignatius-Lötschert-Haus im Buchfinkenland. Dessen Leiter Chris Martin begrüßte die auf 20 Teilnehmende begrenzt Zahl der Sachverständigen und interessierten Boomer im attraktiven Gesellschaftsraum der Einrichtung. "Diese Diskussion findet zu spät statt, bereits jetzt kommen wir ans Ende der Möglichkeiten in der Altenpflege", so Martin. Für den VdK-Kreisverband Westerwald wies dessen Vorsitzender Eckhard Kurz auf seinen in der Region stark gewachsenen Sozialverband hin: "Wir wollen Menschen helfen, die Hilfe brauchen und wollen auch das Problem der Boomerpflege nicht verdrängen".
Pflege nach den Wünschen und Lebensrealitäten der Menschen
Als Einstieg in den Abend stellte Elisabeth Benner vom VDK-Kreisvorstand einige wichtige Ergebnisse der aktuellen VdK-Pflegestudie "Pflege zu Hause - zwischen Wunsch und Wirklichkeit" vor, womit sie auch in den thematischen Schwerpunkt des Abends, die Pflege zu Hause, einführte. Sie forderte die Politik dazu auf, über Wahltermine hinaus eine Pflege nach den Wünschen und Lebensrealitäten der Menschen zu ermöglichen. "Pflegende Angehörige brauchen mehr Hilfe im Haushalt, bei der Pflege und bei der Betreuung", so die gelernte Altenpflegerin. Auch mehr Freistellungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige und deren bürokratische Entlastung seien notwendig.
Wie eine Pflegelandschaft der Zukunft in einem Westerwalddorf aussehen könnte, stellte Uli Schmidt als Vorsitzender des Fördervereins für das gastgebende Seniorenzentrum in Horbach vor. Dieser hatte in einem mehrstufigen Verfahren mit vielen Beteiligten ein Konzept für einen "Campus Ignatius-Lötschert-Haus" erarbeitet. Dieses sieht im ersten Schritt eine Sanierung und Modernisierung der bestehenden Einrichtung vor. Danach sollen neue Wohnangebote vom Generationsübergreifenden Wohnen, einer Pflege-WG bis zur Palliativ- und Intensivpflege ermöglicht werden. Im dritten Block könnten Begegnung und Versorgung der älteren Menschen in der Region durch nachhaltige medizinische Angebote, geeignete Begegnungsmöglichkeiten verbunden mit beispielsweise Fahrdiensten, Einkaufsmöglichkeiten und altersgemäßen Kulturangeboten verbessert werden. "Da müssen aber auch die Träger mitmachen", merkte eine Gesprächsteilnehmerin an.
In einer Reihe von spannenden Kurzstatements gaben dann Fachleute aus verschiedenen Arbeitsbereichen Einblicke in die Situation der Pflege zu Hause. "Wir werden immer mehr zum Sorgentelefon in einer Situation, in der es zu wenige und teilweise in größeren Orten gar keine ambulante Versorgungsstrukturen gibt", stelle Jens Lotz vom Pflegestütztunkt Wirges-Wallmerod fest. Einen wenig hoffnungsvollen Blick in die Zukunft machte Schwester Barbara Spiegelhoff als Gemeindeschwester plus in der VG Montabaur: "Die Selbstverantwortung geht in vielen Familien verloren, da die Kinder oft zu weit weg wohnen, um direkt helfen zu können". Das werde mit der Boomergeneration in Rente nicht mehr besser.
Margit Chiera vom örtlichen Demenznetzwerk mahnte an, dass sich an den Strukturen der Dörfer auch etwas ändern müsse, um die älter werdenden Boomer künftig noch angemessen versorgen zu können. Hoffnungsvoll wirkte da der Hinweis von Claudia Brockers als Abteilungsleiterin Pflege zu Hause beim Caritasverband: "Wir haben 42 junge Menschen aus Marokko in Ausbildung und versuchen möglichst viele davon fest bei uns zu integrieren". Über eine geringe Nachfrage für die angebotenen Fahr- und Begleitdienste berichtete Werner Noll von der Nachbarschaftshilfe Buchfinkeneland. Was alles möglich ist wenn viele kreative Leute mit anpacken, zeigte Hildegard Jöris als Mitinitiatorin der Bürgergemeinschaft "mach mit" im Kannenbäckerland: "Niedrigschwellig geht vieles, aber viele ältere Menschen müssen erst ihre Scham überwinden, die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen!"
Viel zu jung sei fürs Altenheim
Abschließend führte Margit Chiera ein eindrucksvolles Interview mit Jenny Keck, die als pflegende Angehörige ihre 1962 geborene und früh an Demenz erkrankte Mutter zu Hause betreut. "Mit vielen Freunden und der Familie haben wir ein Klein-Gallien geschaffen, in dem die anspruchsvolle Pflege daheim möglich ist". Außerdem stellte sie fest, dass ihre Mutter noch viel zu jung sei fürs Altenheim und durch das Netzwerk könne für sie mehr Lebensqualität ermöglicht werden. "Das geht natürlich nur, wenn der eigene Arbeitgeber mitspielt und der Dienst flexibel gestaltet werden kann". Abschließend lobte Keck die Möglichkeit zehn Tage Pflegeurlaub in Notfällen nutzen zu können, dies aber in Verbindung mit der Forderung: "30 Tage wie bei der Pflege von Kindern wäre besser!"
Nach dem nach Ansicht aller Teilnehmenden gelungen Start der neuen Boomer-Gesprächsreihe soll es damit in unregelmäßigen Abständen weiter gehen. Für die Veranstalter dankte Uli Schmidt, der den Abend auch moderierte, für das offene und vertrauensvolle Gespräch. Er wies darauf hin, dass zu wechselnden Themenschwerpunkten an verschiedenen Orten eingeladen werden soll und die Zahl der Teilnehmenden jeweils begrenzt bleibt. Weitere Infos gerne unter uli@kleinkunst-mons-tabor.de. (PM)
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