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Nachricht vom 30.11.2011    

700 Seiten für 700 Jahre Stadtrechte

Im Vogtshof stellte der promovierte Geschichtswissenschaftler Dr. Stefan Grathoff nach fünf Jahren intensiver Feinarbeit das neue Geschichtswerk zur Hachenburger Stadtgeschichte vor. Eine Geschichte, die in ihrer Tragweite erstaunt: Die vielschichtigen Ereignisse, die sich in einer so idyllischen Kleinstadt wie Hachenburg zugetragen haben, lesen sich im neu erschienenen Geschichtsbuch spannender als so mancher Abenteuerroman.

Geschichte geschrieben: Dr. Stefan Grathoff, Regina Klinkhammer, Peter Klöckner (von links) bei der Buchvorstellung im Vogtshof.

Hachenburg. „Stadtluft macht frei“ – Eine Aussage, die Geschichtsprofi Dr. Stefan Grathoff nur zum Teil bestätigen kann. Zwar konnten die Stadtbürger Hachenburgs nach 1314 nicht mehr zu Frohndiensten herangezogen werden, dafür mussten sie ohne Bezahlung ihren Arbeitsdienst für Ausbesserungen in der Stadt verrichten. Dennoch hatten die Städter allen Grund, sich bessergestellt zu fühlen. Ein Großteil der Verwaltung und Gerichtsbarkeit oblag nicht mehr dem Privileg des Grafen.
Nachdem sich Grathoff bereits früher beim Institut für geschichtliche Landeskunde an der Universtät Mainz einen Namen gemacht hatte, stellte er jetzt die Geschichte der Stadt Hachenburg in übersichtlicher Form in einem prall gefüllten Buch der Öffentlichkeit vor. Die Formulierungen, mit denen Grathoff darin komplexe Themen umschreibt, sind für jeden Hobbyhistoriker leicht verständlich, dabei werden fundierte Informationen derart verpackt, dass die Spannungsbögen beim Lesen ein Gefühl von Gänsehaut erzeugen. Grathoff nimmt den Leser mit, wenn bis ins 19. Jahrhundert hinein riesige Schafherden aus Hachenburg geführt werden. Damals hielt jeder Stadtbewohner eigene Tiere im eigenen Stall – die meist im 20. Jahrhundert zu Garagen umfunktioniert wurden.
Selbst Petra Schnell, die seit vielen Jahren Touristengruppen als Stadtführerin durch die Innenstadt begleitet, fand schon beim ersten Querlesen des Werkes für sie völlig neue Informationen.
Das Zeitalter der Reformation und die daraus resultierenden Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen lenkten zum Teil mit dramatischen Auswirkungen die Stadtgeschichte, die jahrhundertelang von Truppendurchmärschen und Plünderungen immer wieder heimgesucht wurde. Tragische Schicksale, Feuersbrünste und der Ausbruch von Seuchen, insbesondere der Pest, werden in Grathoffs Geschichtsbuch anschaulich beschrieben und wissenschaftlich belegt. Um Brände schneller unter Kontrolle zu kriegen intensivierten die Stadthachenburger im 18. Jahrhundert den Brandschutz. Wasserleitungen wurden schon früher aus den umliegenden Quellgebieten gelegt. So existierte schon im 15. Jahrhundert eine Druckwasserleitung aus dem Bereich der Ziegelhütte, die aber sehr reparaturanfällig war. Bis zur Gründung der Westerwaldbrauerei in Hachenburg wurde bei Feierlichkeiten mehr Wein als Bier getrunken.

Peter Klöckner dankte den Zuschüssen und Mithilfe aller vor Ort ansässigen Banken einschließlich der Fachhochschule der Bundesbank im Schloss Hachenburg. Das Sponsoring ermögliche einen Buchverkaufspreis von unter 30 Euro. Handel und Wandel der Jahrhunderte würden bis heute den kommunalen Zusammenhalt prägen. „Wir sind gut aufgehoben, wir sind unter uns“, resümmierte Klöckner, der die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage für bestens geeignet hält, Grathoffs Werk mit Muße zu lesen. „Wir sind Augenzeugen der Gegenwart“, erinnerte Klöckner, jüngere Geschichte werde durch Zeitzeugen greifbar. Überall dort aber, wo es keine lebenden Zeitzeugen mehr gebe, definiere sich die Geschichte durch Überlieferungen und steinerne Monumente, wie etwa dem Vogtshof, dem Haus Perlengasse oder dem Boist’schen Haus.
Anlässlich der 600-Jahresfeier 1914 war es zuletzt Wilhelm Söhngen, der vor 100 Jahren die Geschichte Hachenburgs in seiner Gesamtheit wissenschaftlich untersuchte. Söhngen benannte allerdings nicht alle Quellen und wusste auch noch nichts von dem NS-Regime, geschweigedenn vom zweiten Weltkrieg, in dem auch in Hachenburg Bomben gefallen sind. Engagierte Menschen, die eine große Verbundenheit zu Hachenburg empfinden, darunter Bruno Struif oder Werner Güth, befassten sich in jüngerer Zeit immer wieder ausführlich mit der Stadtgeschichte, ein kompetent durchgängig wissenschaftliches Werk in der jetzt vorliegenden Form war allerdings überfällig.
„Alles passt gar nicht in ein Buch“, äußerte sich Gratthoff, der neben dem gedruckten Werk zahlreiche detaillierte Abhandlungen auf mehreren hundert Seiten zusammengestellt hat. Diese zusätzlichen Informationen bieten dem Leser die Möglichkeit, sich mit Einzelthemen verstärkt auseinanderzusetzen und sind im Internet hinterlegt. Codierte Seitenvermerke im Buch weisen auf die entsprechende Stelle im Web hin und können dort mit wenigen Clicks aufgerufen werden.
Historikerin Regina Klinkhammer, Mitglied des Stadtrates, zeigte sich stolz darüber, dass sie im Geschichtswerk Grathoffs mit einem eigenen Kapitel über den Aufenthalt des ersten Bundeskanzlers, Konrad Adenauer, in der Nistermühle während des zweiten Weltkrieges vertreten ist.



Leonie Stoll (Alt-Flöte) und Torsten Greis (Virginal) lockerten die Veranstaltung mit französicher Barockmusik auf. Annette Pagel, die freiwillig die Organisation des Abverkaufs übernahm, hatte im Anschluss an die Feierstunde alle Hände voll zu tun, denn die Zuhörer konnten den Erwerb des Buches kaum erwarten, sei es, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse Grathoffs selbst in sich aufzunehmen oder sei es, um es an Heilig Abend unter den Baum zu legen. Grathoff, der zahlreiche Exemplare per Hand signierte, dankte dem Vertrauen der Stadt. Weitestgehend konnte Grathoff seine Recherche ohne Vorgaben betreiben. Dadurch bedingt gibt sein Geschichtswerk die genaue Historie der Stadt in guten wie in schlechten Zeiten wider. Es benennt Namen und Verantwortliche und gewährt einen schonungslosen Einblick in die dunkle Zeit unter dem Hakenkreuz, wie sie bislang in dieser Form noch nicht veröffentlicht wurde. Für die nächsten 100 Jahre wird Dr. Stefan Grathoff für Hachenburg damit ebenso unsterblich bleiben, wie Wilhelm Söhngen. Das zeigte das völlig überfüllte Casino im Vogtshof bei der Präsentation all zu deutlich.
Thomas Sonnenschein


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