Buchtipp: "Seuchen im Mittelrheingebiet" von Helmut Priewer und Beate Busch-Schirm
Von Helmi Tischler-Venter
Die Westerwälder Autoren beschränken sich bei ihrer Untersuchung auf Seuchen des Mittelrheingebiets unter besonderer Berücksichtigung der Neuwieder Region und des angrenzenden Westerwalds im 17. bis 20. Jahrhundert. Epidemien sind so alt wie die Menschheit. Sie graben sich durch teilweise verheerend viele Todesopfer und soziale Verwerfungen ins allgemeine Gedächtnis ein.
Anhausen. Belegbar sind diese erst, seit schriftliche Aufzeichnungen existieren. Kirchenbücher und Personenstandsregister der Standesämter, die häufig auch die Todesursachen verzeichneten sowie Medizinalbücher für die Rheinprovinz sind die Hauptquellen der Autoren.
Heilmittel waren zunächst Pflanzen, die die Menschen heil machten, in der Antike übten sie Einfluss auf die Kardinalsäfte Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle aus. Im Mittelalter trafen Säftelehre und Heilzauber oder Hexerei aufeinander, bis Hildegard von Bingen Pflanzen und Drogen der germanisch-keltischen Volksheilkunde in den klösterlichen Arzneischatz aufnahm, von Arnika über Pestessig bis Zimt. Seit Ende des 19. Jahrhunderts verzeichnet die moderne Arzneimittelforschung große Fortschritte. Durch Impfungen konnten einige infektiöse Krankheiten eradiert werden.
Priewer und Busch-Schirm untersuchen infektiöse Erkrankungen in der heimischen Region, zunächst die durch virale Erreger verursachten: Grippe, Masern, Pocken, Poliomyelitis, Tetanus und Tollwut. Oftmals traten Epidemien in Wellen auf, wie die Spanische Grippe. Manchmal waren die Todesfälle alters- oder geschlechtsabhängig geringer oder höher, wie bei den Pocken oder einzelne Orte wichen vom Durchschnitt ab.
Krankheiten, die auf bakterielle Erreger zurückzuführen sind, wie Cholera, Typhus und Lepra, korrelieren häufig mit der gesundheitsrelevanten Infrastruktur. Bei Diphtherieausbrüchen starben im kalten Winterhalbjahr deutlich mehr männliche als weibliche Kranke, meist waren es Kinder. Dagegen starben deutlich mehr weibliche als männliche Kinder an Keuchhusten. Das durch Kleiderläuse übertragene Fleckfieber trat immer als Kriegsfolge auf.
Ein umfangreiches Kapitel ist der Pest gewidmet, weil der Schwarze Tod im Mittelalter ein grauenvolles Massensterben in Europa verursachte. Im Rheinland fielen in drei Pestausbrüchen überwiegend Kinder zum Opfer, die noch keine Immunität erworben hatten. Scharlach war in der Neuwieder Region im 9. Jahrhundert endemisch und steigerte die Todesrate von Kindern.
Syphilis und Tuberkulose waren weit verbreitete Krankheiten. Milzbrand war überwiegend für Nutztiere, aber selten für Menschen letal. Meningitis trat gehäuft in Notzeiten auf. Puerperalfieber entriss bis weit ins 19. Jahrhundert viele Gebärende ihren Familien. Fliegenplagen sorgten in heißen Sommern für die Übertragung der Ruhr. Parasitäre Erreger waren ursächlich für Krätze, Malaria und Wurmerkrankungen. Sie konnten durch allgemeine Hygienemaßnahmen weitgehend ausgemerzt werden.
Ernährungsbedingte Krankheiten, die zum Tod führen konnten, waren Bleichsucht, Ergotismus (Mutterkornvergiftung), Abzehrung und Krämpfe.
Dr. Helmut Priewer resümiert, dass unser irdisches Leben im Vergleich zu dem unserer Vorfahren bedeutend länger geworden ist, während das jenseitige mangels Gottesfurcht fast gänzlich verschwunden ist. Daher versuchen wir unser irdisches Leben verzweifelt auszukosten oder zu verlängern.
Das 282-seitige wissenschaftlich fundierte Buch ist im Eigenverlag erschienen (ISBN 978-3-9819156-7-9) und im Roentgen-Museum in Neuwied zu erwerben. (htv)
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