Wasserstoffnutzung im Westerwald: Potenzial ja, aber noch viel Vorarbeit nötig
Das Ziel ist klar definiert: Deutschland will bis Mitte der 2040er-Jahre klimaneutral unterwegs sein. Das geht nur, wenn viele Energieträger mit ins Boot geholt werden. Neben Sonnen- und Windkraft wird womöglich Wasserstoff einen wichtigen Part bei der Dekarbonisierung übernehmen (müssen) – auch in der Region Westerwald.
Westerwald. „Für das Ziel einer vollständigen Dekarbonisierung des Industriestandorts Deutschland bis zum Jahr 2045 werden machbare Lösungen benötigt, die relativ kurzfristig umsetzbar sind und sich auf einen großen Maßstab skalieren lassen. Eine dieser Lösungen heißt Wasserstoff. Das kleinste Element des chemischen Periodensystems kann Großes leisten auf dem Weg zur Klimaneutralität“: Die Internetpräsenz „Zukunft Gas“ der deutschen Gas- und Wasserstoffwirtschaft beschreibt treffend einen der Ansätze für die Realisierung des großen Vorhabens, das gleichzeitig auch auf lokaler Ebene größerer Anstrengungen bedarf. Unter der Überschrift „H2WW - Wasserstoff-Potenziale für die Region Westerwald“ näherten sich am späten Dienstagnachmittag (12. März) sieben Referenten unter der Moderation von Jörg Ditthardt (Projektleiter „TraForce“) im Wissener Kulturwerk Ansätzen, welche Rolle Wasserstoff auf dem Weg hin zur Klimaneutralität spielen kann und muss. Eines vorweggenommen: Es liegt noch unendlich viel Arbeit vor den in den Prozess involvierten Akteuren, wie rund 70 Zuhörer der Zusammenkunft, organisiert von „TraForce“, dem Transformationsnetzwerk Altenkirchen/Westerwald, und den Wirtschaftsförderungen der drei Kreise Altenkirchen, Neuwied und Westerwald, in Gedanken mit nach nach Hause nahmen. „Zukunft Gas“ betont: „Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie hat die Bundesregierung 2020 ein milliardenschweres Programm für die Wasserstoff-Technologie erlassen und setzt auf den Energieträger, um die Klimaziele zu erreichen. Zu Recht, denn Wasserstoff kann einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten. Wasserstoff ist ein idealer Energieträger und kann das Speicherproblem erneuerbarer Energien lösen. Das komprimierte Gas lässt sich zuverlässig speichern und leicht transportieren. Dieses Gas steht zu allen Tages- und Jahreszeiten zur Verfügung und ist in großen Mengen vorhanden. Durch den Einsatz von Wasserstoff entstehen keine direkten lokalen CO2-Emissionen, sondern nur Wasserdampf. Wir können mit ihm heizen, Strom erzeugen und Auto fahren. Durch diese vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten trägt Wasserstoff zu einer klimaneutralen Energieversorgung bei und kann eine wichtige Rolle in unserem künftigen Energiesystem einnehmen.“
Kaum großer freier Markt
„Derzeit gibt es für Wasserstoff kaum einen großen freien Markt“, berichtete Prof. Dr. Oliver Türk, wissenschaftlicher Leiter der Transferstelle Bingen (TSB), Grundsätzliches über den Ist-Zustand der Bereitstellung von Wasserstoff, „aktuell werden heute rund 100 Millionen Tonnen genutzt.“ Er favorisierte den Einsatz bei der Herstellung von Ammoniak, Methanol oder Stahl, „wobei ich die Umwandlung in Ammoniak für unterdiskutiert halte, denn es existieren wesentliche einfachere Bedingungen für die Lagerung“. Türk erwartet, dass Wasserstoff als Ersatz für Benzin oder Diesel eher im Schwerlastverkehr (Nutzfahrzeuge) zum Zuge kommen werde und weniger in Pkw – obwohl inzwischen in Südkorea schon jedes zweite Fahrzeug mit Wasserstoffantrieb zugelassen sei. TSB-Projektleiterin Babett Hanke präsentierte Zwischenergebnisse aus der Potenzialanalyse für die Region Westerwald. Sie wusste, dass die Produktion von Strom via Fotovoltaik, Windkraft, Biomasse oder auch Klärschlamm noch nicht ausreiche, um einen zentralen Elektrolyseur für die Herstellung von Wasserstoff zu betreiben. Das Interesse an der Umstellung des Öffentlichen Personennahverkehrs und kommunaler Fahrzeugflotten auf Wasserstoff sei eher gering. Nur die Verbandsgemeinde Höhr-Grenzhausen habe bislang Interesse signalisiert. Hanke machte deutlich, dass es unbedingt vonnöten sei, Windkraft- und Fotovoltaikanlagen an einem Standort gemeinsam für die Stromerzeugung zu nutzen als auf „Monokulturen“ zu setzen. Einen wichtigen Punkt arbeitete sie noch heraus: die unterschiedlichen Drücke bei der Betankung von Pkw (700 bar) und Lkw (350 bar).
Nicht gefährlicher als Erdgas
Die weit verbreitete Angst vor der Gefährlichkeit von Wasserstoff zerstreute Stephan Hähn als technischer Geschäftsführer der iph Hähn GmbH (Vettelschoß). Das Gefahrenpotenzial sei dem von Erdgas gleichzusetzen. „Er ist ein Energieträger wie Erdgas und verflüchtigt sich sofort“, skizzierte er und stufte eine ökonomische Erzeugung als möglich ein. „Eine Selbstversorgung wäre in Deutschland teilweise möglich“, wagte Hähn einen Blick in die Zukunft, in der er zudem Methanol als Brennstoff in der Luft- und Schifffahrt für möglich hält. Lösungen, wie der Wasserstoff an Ort und Stelle gelangen könnte, zeigte Andreas Weiland, Fachbereichsleiter Netzstrategie der Energienetze Mittelrhein GmbH & Co. KG, auf. Grundsätzlich sei der Bezug übers Fernleitungskernnetz möglich, für das es in Großmaischeid, Ransbach-Baumbach und Dernbach Netzkopplungspunkte gebe. Darüber hinaus könnten nicht mehr im Betrieb befindliche Erdgasleitungen genutzt werden. „Neue und innovative Unternehmen könnten sich beispielsweise an der Kernleitung ansiedeln“, sah er die Möglichkeit der Schaffung weiterer Arbeitsplätze in den drei Landkreisen. Der Transport in einer Leitung gemeinsam mit Erdgas sei nicht ganz so einfach, da der relative Druck deutlich geringer sei. Dennoch könnten Gasverteilnetzbetreiber „schon heute Wasserstoff beimischen“. Bevor jedoch in diese Richtung gearbeitet werde, „müssen die Wasserstoffpotenziale bei den Großkunden abgefragt werden“.
Viele identische Bauteile
Dass die Automobilzulieferindustrie großen Schaden von einer möglichen Umorientierung auf Wasserstoff getriebene Fahrzeuge erleide, verneinte Hans Releff Riege, Projektberater bei cH2ance automotiveland.nrw (Solingen). Der Brennstoffzellenantrieb weise sehr viele identische Bauteile wie der Verbrennerantrieb auf. „Zum Beispiel überschneiden sich die Tanks“, nannte Riege einen nicht zu unterschätzeden Aspekt, „es sind viele Dinge, die nicht neu sind, und die die Unternehmen von den Technologien schon beherrschen.“ Nach seiner Auffassung werde zuallererst die Industrie mit Wasserstoff versorgt, und erst dann stehe er für Lastwagen und Busse zur Verfügung. Riege ermunterte, Angebote in Sachen Fortbildung des Clusters für die Automobilindustrie in Nordrhein-Westfalen zu nutzen (www.automotiveland.nrw.de)
Sinnvolle Ergänzung zum reinen Elektroantrieb
Wasserstoff sei als Potenzial für die Dekarbonisierung anzusehen, „unser Konzern hat sich für die Klimaneutralität entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis 2050 verpflichtet und sieht sich ans Pariser Abkommen mit dem Temperaturanstieg von maximal 1,5 Grad gebunden“, verdeutliche Robert Halas, Leiter Brennstoffzellen-Fahrzeuge BMW Group (München), und ließ die Geschichte des speziellen Antriebs in „seinem“ Unternehmen und unter seiner Obhut seit 2011 Revue passieren mit dem aktuellen Endprodukt, dem IX5 Hydrogen. Halas favorisierte den Wasserstoffeinsatz zunächst in schweren Lkw als auch im Luft- und Seeverkehr, „H2 muss auch in Pkw genutzt werden. Es ist eine sinnvolle Ergänzung zum reinen Elektroantrieb“. Als großen Vorteil gegenüber mit Strom fahrenden Autos zeigte er die kurze Betankungszeit von „drei bis vier Minuten“ auf, denn „für viele ist Zeit Geld“. Selbst in kalten Regionen ändere sich an der Reichweite nichts, die Abwärme der Brennstoffzelle werde für die Heizung genutzt. Auch Allradvarianten seien möglich. Noch extrem mit vielen „weißen Flecken“ versehen, machte Halas Mut in Sachen Tankstellen: „Bis Ende 2030 sollen alle 200 Kilometer solche Anlagen entstanden sein.“ Eine Umrüstung von einer normalen zu einer Wasserstoff anbietenden koste zwischen einer und drei Millionen Euro.
Ein hoher Importbedarf
Einen hohen Importbedarf an Wasserstoff aus Ländern wie Saudi-Arabien, Spanien oder Namibia mit anschließender Einspeisung in Leitungen zeigte Dominik Eichbaum, Geschäftsführer hyfuels GmbH (Start-up innerhalb der SPC Steiner Group/Siegen), auf. Er setzte einen massiven Zubau regenerativer Energien in ländlichen, industrialisierten Regionen für die Produktion von Wasserstoff voraus und forderte, die Energieversorgung „neu zu denken – nicht mehr als Einbahnstraße, sondern als Kreisverkehr“. Eichbaum stellte den neuen „Next Energy Campus (NEC)" in Siegen vor, ein Innovations- und Kooperationsprojekt für Wasserstofftechnologie, um die Produktion von grünem Wasserstoff voranzutreiben und ein Konzept für energieautarke klimaneutrale Industriegebiete zu schaffen - inklusive Wasserstofftankstelle. Zuvor hatte Landrat Dr. Peter Enders dargelegt, dass die Energieversorgung stetigem Wandel unterworfen sei und als Stichworte Kohle, Gas und Wasserstoff, der für die Energiewende eine entscheidende Rolle spiele, genannt. Er hob gleichfalls die „gute Zusammenarbeit mit den Nachbarkreisen“ hervor und bezeichnete das Projekt „Traforce“ als „Anlaufstelle Nummer eins für die von den Umwälzungen betroffenen Unternehmen der Automobilindustrie“.
Was „Traforce“ ist
Mit 2,44 Millionen Euro fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) unter der Leitung von Robert Habeck Aufbau und Arbeit des Transformationsnetzwerks in der Region „Altenkirchen/Westerwald“, das die Aufgabe hat, Unternehmen und ihre Beschäftigten - vor allem die aus der Automobil-Zulieferbranche -, bei der Transformation, also beim Prozess der Veränderung vom aktuellen Ist-Zustand zu einem angestrebten Ziel, zu unterstützen. Bekanntlich sieht sich gerade dieser Wirtschaftszweig enormen Veränderungen unter anderem dank steigender E-Mobilität gegenüber. Die Wirtschaftsförderung des Kreises Altenkirchen hatte gemeinsam mit dem Technologieinstitut für Metall und Engineering (TIME) in Wissen und der IG Metall bei der Berliner Behörde den Förderantrag gestellt. Die Projektlaufzeit endet am 30. Juni 2025. Ziel von TraForce laut BMWi-Homepage ist, den „Erfahrungsaustausch und die Vernetzung der Branche voranzutreiben und die Akteure vor Ort einzubeziehen: Für die Sparten autonomes Fahren, digitalisierte und nachhaltige Produktion, Entwicklung datengetriebener Geschäftsmodelle oder beim Umstieg auf alternative Antriebe sollen in Zukunft regionale Transformationsstrategien entwickelt werden. Unternehmen, Universitäten, Gewerkschaften und lokale Behörden können gemeinsam in regionalen Transformationsnetzwerken die besten Ideen und Lösungen für eine in den Regionen stark verwurzelte Fahrzeugindustrie entwickeln und umsetzen. Die regionalen Transformationsnetzwerke können informieren und vernetzen, aber auch Studien zu regionalen Wirtschaftsstrukturen und Entwicklungsperspektiven konzipieren, qualifizieren und zu Fördermitteln beraten. Projekte können mit bis zu 100 Prozent bezuschusst werden. Die Transformationsnetzwerke sind das erste Projekt aus dem Zukunftsfonds Automobilindustrie, mit dem die Bundesregierung mit einer Milliarde Euro die mittel- und langfristigen Herausforderungen des Strukturwandels in diesem Sektor angehen will. Sie ergänzen zudem die Fördermaßnahmen des Konjunkturpakets ,Zukunftsinvestitionen in der Fahrzeugindustrie' und werden auch den Transfer aus den Projekten in die Regionen stärken. Weitere Maßnahmen zur Umsetzung des Zukunftsfonds sind in Vorbereitung“. (vh)
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