Droht im Westerwald eine Pflegekatastrophe?
Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt - bundesweit, aber auch im Westerwaldkreis. Schon heute klagen Einrichtungen über Personalmangel. Zu einer "Pflegerundreise" durch den Westerwaldkreis hatte das Forum für soziale Gerechtigkeit eingeladen. Die Bilanz ist ernüchternd, denn es fehlen Fachkräfte in den Einrichtungen, auch fehlt in der Gesellschaft die Akzeptanz für die Berufe in der Pflege.
Westerwaldkreis. Die Anzahl der Pflegedürftigen steigt auch im Westerwald stark an. Gleichzeitig gibt es wegen niedriger Geburtenzahlen und anderer Einflüsse immer weniger junge Menschen, die überhaupt für einen Pflegeberuf in Frage kommen. Da eine Lösung nicht in Sicht ist und das Thema noch immer weitgehend verdrängt wird, steuern wir nach Ansicht des Forums Soziale Gerechtigkeit mitten in eine Pflegekatastrophe!
Bei einer „Pflegerundreise“ durch den Westerwaldkreis beschäftigte sich jetzt eine zehnköpfige Delegation des Forums mit der derzeitigen Pflegesituation im Kreis und Auswegen aus der drohenden Krise. Dabei gab es hochinteressante Einblicke in sechs ganz unterschiedliche Praxisfelder der Pflege. Die Erkenntnisse sollen in die anstehende Pflegestrukturplanung des Westerwaldkreises eingebracht werden.
Im Caritaszentrum „Haus Maria Elisabeth“ in Montabaur begrüßte Caritasdirektor Frank Keßler-Weiß die aus Vertretern und Vertreterinnen von Politik, Sozialeinrichtungen, Gewerkschaft und Angehörigen bestehende „Reisegruppe“. Gemeinsam mit Klaus Weber von der AOK berichtete er mit einigen Fachkräften über die beratende Arbeit der Pflegestützpunkte im Kreis. Hier gibt es, insbesondere im oberen Kreisteil, erhebliche Probleme die gesetzlich vorgegebenen Anforderungen zu erfüllen. „Es gibt Baustellen ohne Ende“, brachte es Claudia Brockers, die zuständige Abteilungsleiterin des Caritasverbandes auf den Punkt. Als Erste Beigeordnete der VG Hachenburg warnte Gabriele Greis davor, die offensichtlichen Probleme mit einer Verringerung der bisher sieben Pflegestützpunkte lösen zu wollen. „Die Leute brauchen dringend die Pflegeberatung in ihrer Nähe“, so die Kommunalpolitikerin.
Danach ging es im AWO-Seniorenzentrum in Höhr-Grenzhausen um die stationäre Pflege. Schnell wurde klar, dass der Fachkräftemangel bereits in der Westerwälder Pflegelandschaft angekommen ist. „Die Suche nach geeignetem Personal ist nicht nur in unserer Einrichtung das große Thema“, meinte Hausleiterin Claudia Schmitt. Pflegedienstleiterin Evelyn Nehring gewährte einen kurzen Einblick in den praktischen Alltag einer Demenzwohngruppe. Danach meinte die Kreisvorsitzende der Lebenshilfe, Silvia Weyer-Burggraf: „Ich habe größten Respekt vor den Menschen, die diese schwierige Arbeit jeden Tag leisten“.
Gleich eine ganze Oberstufenklasse der Altenpflegeschule an der BBS Westerburg suchte neben Schulleiter Joachim Dell und den Fachlehrern das Gespräch mit den Gästen. „Bitte tragen Sie dazu bei, dass unsere künftige Arbeit in der Gesellschaft mehr gewürdigt wird!“, forderte eine Schülerin die kurz vor dem Examen steht. Dies trage zur Motivation der jungen Leute bei, einen Pflegeberuf zu erlernen. Unterstützt wurde sie dabei von den Fachlehrern Marita Blitzko-Hoener und Dirk Weber, die davor warnten, Pflegeschüler in der Praxis als billige Arbeitskräfte auszunutzen.
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Über einen weiteren wichtigen Bereich der Pflege informierte sich die Gruppe danach am Wiesensee: den Ambulanten Pflegedienst Vital in Pottum. Mit 65 Mitarbeiter/innen und 300 Kunden ist dies einer der großen mobilen Anbieter im Kreis. Geschäftsführerin Heike Theis stellte den Besuchern „Mut machende Alternativen“ im Pflegealltag vor. „Wir beraten und pflegen nicht nur, wir qualifizieren auch Menschen und versuchen sie für eine Ausbildung zur Altenpflegerin zu gewinnen“, so die erfahrene Pflegeexpertin.
Mit der Seniorenresidenz “Casa Conviva“ lernte die Reisegruppe dann in Hachenburg ein Angebot des Betreuten Wohnens für Senioren als Alternative zur stationären Altenpflege kennen. In der hochpreisigen Anlage können noch rüstige ältere Menschen mit dem notwendigen individuellen Unterstützungsbedarf weitgehend selbständig in der eigenen Wohnung leben. Von der guten Atmosphäre im Haus konnten sich die Gäste bei einer weihnachtlichen Feier der Bewohnerinnen und Bewohner überzeugen. „Obwohl die Anlage wirklich etwas Besonderes in Hachenburg ist, sind noch nicht alle Wohnungen belegt“, so Olaf Reineck, Pflegereferent des für die soziale Betreuung in der Anlage zuständigen DRK-Kreisverbandes.
Eine weitere Alternative wurde zum Abschluss der Exkursion in die Westerwälder Pflegelandschaft dann in Mündersbach vorgestellt. Dort betreibt die Aura gGmbH seit über einem Jahr eine Tagespflegeeinrichtung mit 20 Plätzen. „In familiärer Atmosphäre“, so Geschäftsführerin Elisabeth Stockmann, „betreuen wir die Senioren tagsüber und entlasten damit die Angehörigen“. Einrichtungsleiterin Ulrike Jahn wies ergänzend darauf hin, dass eine Überlastung der Angehörigen und ein folgender Heimaufenthalt damit in vielen Fällen verhindert werden kann. Erfreulich ist sicher die Tatsache, dass sich die Pflegekasse an den Kosten beteiligt.
Nach neun Stunden Einblicke in die Praxis der Pflege im Westerwaldkreis dankte „Reiseleiter“ Uli Schmidt (Horbach) als Sprecher des Forums Soziale Gerechtigkeit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für das gezeigte Interesse. „Die Sicherung einer menschenwürdigen Pflege auch in Zukunft ist ein vorrangiges Thema nicht nur im Westerwald. Wir alle werden ihm nicht länger ausweichen können“, so Schmidt. Mit der im kommenden Jahr erstmals anstehenden Pflegestrukturplanung des Kreises sollten die Weichen richtig gestellt werden.