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Pressemitteilung vom 17.06.2024    

Podiumsdiskussion in Bad Marienberg: Glaube und Demokratie bedeuten Freiheit

"Die Würde des Menschen ist unantastbar." Mit diesem Satz beginnt nicht nur unser Grundgesetz. Er ist nach Meinung Hendrik Herings auch ein zutiefst christlicher Wert. Gerade in einer Zeit, in der diese Würde mit Angriffen auf Politiker und Hassreden immer antastbarer zu werden scheint.

Von links: Dr. Axel Wengenroth, Gabi Wieland, Hendrik Hering, Karl Jacobi, Georg Poell und Ansar Ahmad. (Foto: Peter Bongard)

Westerwaldkreis. Der Landtagspräsident ist einer der Teilnehmenden der Podiumsdiskussion "Religiöse Werte und Demokratie" und diskutiert im Bad Marienberger Europahaus mit Dr. Axel Wengenroth, Dekan des Evangelischen Dekanats Westerwald, Dr. Georg Poell (Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung Westerwald-Rhein-Lahn), Ansar Ahmad (Imam der Ahmadiyya-Gemeinde) der Montabaurer Stadtbürgermeisterin Gabi Wieland und 25 Besucher. Der Abend, zu dem die Evangelische Kirchengemeinde Bad Marienberg eingeladen hatte, fand im Rahmen des Demokratiesommers der Verbandsgemeinde Bad Marienberg statt; moderiert wird er von Pfarrer Karl Jacobi.

Religion und Demokratie scheinen sich manchmal zu widersprechen - etwa dann, wenn es um den Anspruch auf die alleinige Wahrheit einer Religion und dem demokratischen Gedanken der Gewaltenteilung geht, sagt die Politikwissenschaftlerin Alice Jacobi in ihrem Impulsvortrag zu Beginn des Abends. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten: "Das Christentum und die Demokratie machen uns zu freien Menschen und fordern uns gleichzeitig auf, Verantwortung zu übernehmen", sagt Alice Jacobi.

Verantwortung übernehmen in einer Gesellschaft, in der der Ton immer rauer wird: Hass und Gewalt nehmen zu; populistische Parteien sind in ganz Europa auf dem Vormarsch. Hendrik Hering berichtet von den Aggressionen gegenüber jüdischen Mitbürgern; Ansar Ahmad erzählt, wie er selbst und andere Muslime Vorurteile und Anfeindungen erleben. "Die Stimmung hat sich verändert", fasst der Imam zusammen und beschreibt damit eine Entwicklung, die auch Hendrik Hering beunruhigt: "Diese Verrohung hat ein Maß angenommen, das eine massive Gefährdung für die Demokratie darstellt. Der Grundrespekt, den es gegenüber denjenigen gab, die sich gesellschaftlich engagieren, der ist weg." Das führt dazu, dass viele Engagierte das Handtuch werfen - und somit die demokratische Basis erodiert. "Wenn wir nicht mehr tun als jetzt, wird sich die Gesellschaft sehr negativ entwickeln", glaubt der SPD-Politiker.

Ein Teilnehmer, der als Polizist arbeitet, hat diese Erfahrungen am eigenen Leib gemacht: "Die Beleidigungen nehmen immer mehr zu. Es ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, das zu ändern." Sowohl von der Politik als auch aus der Gesellschaft heraus. Pfarrer Karl Jacobi wirbt für mehr Einsatz eines jeden Einzelnen: "Wenn wir wollen, dass Einsatzkräfte, Ehrenamtliche und Politiker ihr Amt gut ausfüllen können, müssen wir vor Ort mehr Zivilcourage zeigen. Ich glaube, dass wir noch zu zurückhaltend sind."

Das Problem hat auch die Kirchen erreicht. Axel Wengenroth erlebt einen raueren Ton und berichtet von aggressiven Mails in seinem Postfach. "Die Demokratie stellt hohe Ansprüche an die Bürger", sagt er und betont, wie wichtig in diesem Zusammenhang ein stabiles Bildungssystem ist. "Das bedeutet freilich mehr als nur lesen und schreiben zu lernen. Es betrifft auch die Herzensbildung. Wenn die Bildung kaputtgeht, geht auch das politische System kaputt. Deshalb müssen Kirche und Politik in Bildung investieren."

Die guten Absichten und die Ist-Analyse beantwortet freilich nicht die Frage, wie es dazu kommen konnte. Ein Teilnehmer beurteilt das Erstarken der rechten Ränder so: "Viele, die die ,blaue Partei‘ wählen, haben Angst, ihre Werte zu verlieren", sagt er. "Werte, die sie jahrzehntelang getragen haben. Was uns nicht gelingt, ist zu zeigen, dass Vielfalt - zum Beispiel durch Geflüchtete - eine Bereicherung sein kann und weder unsere Werte noch unser Bürgergeld angreift."



Georg Poell sagt, dass diese Parteien einfache Lösungen anbieten. "Aber diese Lösungen können viele Menschen tief verletzen. Natürlich darf ich Überzeugungen und Werte haben und diese auch vertreten. Aber ich muss dabei gastfreundlich und offen bleiben." Diese Offenheit braucht Begegnungsräume, glaubt Poell: "Wenn ich für mich Freiheit beanspruche, muss ich auch anderen diese Freiheit gewähren. Das ist die Aufgabe der Politik: Freiheitsräume zu schaffen."

Diese Freiheitsräume sind wichtige Orte der Begegnung und des Austauschs. Ohne diese sogenannten Dritten Orte würden Menschen vereinsamen, sich zurückziehen und sich im schlimmsten Falle gar radikalisieren. Hendrik Hering glaubt, dass es noch nie so viele Möglichkeiten gab, Dritte Orte zu schaffen und zu gestalten. "Es ist eben immer eine Frage der Priorisierung", glaubt er.

Dritte Orte kann und muss auch die Kirche anbieten. Sie sollte sich weniger mit sich selbst beschäftigen und sich wieder stärker in die Gesellschaft einbringen, findet Gabi Wieland: "Auch, weil die Gesellschaft ein spirituelles Fundament braucht: Gemeinsame Rituale, bei denen man zur Ruhe kommen kann und sich seiner eigenen Grenzen besinnt." Hendrik Hering wünscht sich noch klarere Worte gegen die AFD - auch von der Evangelischen Kirche. "Die Kirche muss zeigen, in welchem Spektrum Politik tolerabel ist und in welchem nicht", sagt er.

Die Stimme gegen Hass und radikale Tendenzen erheben, ist freilich nicht nur die Aufgabe der Politik und der Kirche. Das beginnt nach Ansicht Gabi Wielands im kleinsten Kreis. "Jeder und jede kennt AFD-Sympathisanten. Und jeder ist gefordert, mit diesen Leuten zu reden und klare Kante zu zeigen." Denn Auswüchse wie das Grölen rechtsradikaler Parolen hat es ihrer Ansicht nach schon immer und nicht nur auf Sylt gegeben. "Das kann auch im Westerwald passieren", ist sich die Stadtbürgermeisterin sicher. "Mein Wunsch ist es, solche Dinge nicht gleich zu filmen und ins Netz zu stellen, sondern diesen Menschen mutig entgegenzutreten und ihnen zu sagen: ,Leute, das geht nicht!‘"

Demokratie und Glaube bieten eben viele Freiheiten - aber fordern auch: die Stimme zu erheben und einzutreten für Gerechtigkeit und die Würde des Menschen. "Die Propheten unserer Religionen haben das Ziel, Frieden in der Welt zu verbreiten", sagt Ansar Ahmad. "In der Politik sollten wir gegen diejenigen vorgehen, die das torpedieren: gegen Rechte, gegen Islamisten. Ihnen müssen wir sagen: ,Nicht mit uns!‘ - und zwar übergreifend über die Religionsgrenzen hinweg." Und Georg Poell hofft auf eine neue Debattenkultur. "Denn Politik funktioniert im Diskurs", sagt er. "Nicht von oben herab, sondern indem ich die Meinung anderer aushalte, aber klare Grenzen setze, wenn diese Meinung außerhalb des demokratischen Spektrums liegt." (PM)


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