Jubiläum mit großartigem Europa-Erklärer Robert Menasse in Höhr-Grenzhausen gefeiert
Von Helmi Tischler-Venter
Zu ihrem zehnjährigen Jubiläum der philosophisch-literarischen Gesprächsreihe "Denkbares" luden Martin W. Ramb und Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski den Germanisten, Philosophen, Politikwissenschaftler und Autor Robert Menasse zu Lesung und Gespräch ein. Im Rahmen der "Westerwälder Literaturtage" beschäftigte sich der Wiener mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Europas.
Höhr-Grenzhausen. Die Europa-Hymne stimmte die Zuhörer im Jugend-, Kultur- und Bürgerzentrum "Zweite Heimat" in Höhr-Grenzhausen thematisch ein. Gespielt wurde die Musik von Henriette und Xanten Wolf auf Horn und Posaune, begleitet von ihrem Onkel am Klavier. In seiner Begrüßung stellte Martin Ramb eine tönerne Beziehung zwischen Wien und Höhr-Grenzhausen her.
Menasse las zunächst einen Ausschnitt aus dem Essay "Die Welt von morgen", das sich mit der Frage beschäftigt, wie das Europa der Zukunft aussehen soll. Dazu nahm er das Publikum mit auf eine Zeitreise zur Wiege der Demokratie in das antike Griechenland, wo der Staatsmann Kleisthenes von Athen sich eine Demokratie ohne Sklaven, aber mit Frauen überhaupt nicht vorstellen konnte. Das zeigt, dass Demokratie ein Prozess ist, in dem das heute Selbstverständliche nicht das morgen Selbstverständliche ist.
In der Nachkriegszeit lebte eine Generation, die während ihrer Lebenszeit viele europäische Kriege erlebt hat und aufgrund dieser Erfahrung Europa als nachnationale Gemeinschaftsdemokratie konzipierte. Mitterand erkannte: "Nationalismus bedeutet Krieg." Doch wo ist die gemeinsame Demokratie? Heutzutage besteht die EU aus 27 Mitgliedstaaten mit 27 grundverschiedenen Systemen der Demokratie mit grundverschiedenen nationalen Interessen.
Menasse statuierte: Es muss eine Diskussion beginnen darüber, was eine nachnationale Demokratie sein kann. Ist das Ziel die Souveränität von Menschen der Nationen? Wir brauchen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Holger Zabarowski fragte den Politikwissenschaftler, wie er sich die "unheimliche Wiederkehr des Nationalismus" erkläre. Menasse sah die Ursache in einer ganzen Reihe von Krisen, die nicht mehr vom nationalen Management gelöst werden können. Populisten können auch diese Probleme nicht national lösen, versprechen aber nationale Lösungen. Das ist für Nationalisten ein Heimspiel. Krisen, die weder national verschuldet noch lösbar sind, lassen Unruhe entstehen und erzeugen Sehnsucht nach einer Zeit, als nationale Regierungen noch auf die eigenen Leute schauen konnten. Nazis haben die Tendenz, die Menschenrechte auszuhebeln. Die europäische nachnationale Institution funktioniert noch nicht, weil Kompetenzübertragung fehlt. Nationalisten gewinnen in dieser Situation immer.
Fundiert und unterhaltsam belegte Robert Menasse seine europapolitischen Analysen und postulierte, es müssten kühne, übernationale Auswege aus den Krisen gesucht werden.
Zabarowskis Forderung, bereits in den Schulen transnationale Bildung zu schaffen, hielt der Autor für aussichtslos, weil in der EU gerade das Erasmus-Programm zu 50 Prozent gekürzt wurde.
Zur Rolle der Literatur meinte Menasse, er sei Erzähler. "Der Roman hat die Aufgabe, so zu erzählen, dass die Zeitgenossen sich erkennen und spätere uns verstehen." Mit dem, was er erzähle und zur Diskussion vorschlage, wolle er seine Seele retten.
Das Musiker-Trio spielte die Nationalhymnen von Albanien, Polen und Ungarn, bevor der Gast eine lustige Textpassage aus seinem Roman "Die Erweiterung" vorlas, die zeigt, wie fixe Ideen im Kopf entstehen können.
Im Anschluss beantwortete Menasse Zuschauerfragen und signierte seine Bücher.
Der mehrfach ausgezeichnete Autor Robert Menasse schreibt weiter am Epos unserer Zeit. Für "Die Hauptstadt" erhielt er 2017 den Deutschen Buchpreis. "Die Erweiterung" ist Teil zwei seiner furiosen Romantrilogie - und ein wilder Ritt durch die EU-Institutionen. Band drei wird folgen. htv
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