Buchtipp: "Überleben in der Knalltüten-Gesellschaft" von Mathias Scheben
Von Helmi Tischler-Venter
Der Untertitel "Der diskrete Charme der Contenance" verrät die probate Lösung für die meisten der vielfältigen gesellschaftlichen Probleme, die der versierte Autor mit fast 80-jähriger Lebenserfahrung, der nach Aussage seiner Frau unauffällig vor sich hin altert, in seiner "Rat- und Tat-Tagebuch-Collage der letzten zehn Jahre" zusammengetragen hat.

Neuwied. Der Neuwieder Journalist und Kommunikationsberater Scheben begegnet den belastenden Krisen mit Humor und befreiendem Sarkasmus, denn die täglichen Nachrichten sind sehr belastend, hinzu kommen persönliche Schicksalsschläge. Um diese Schläge mental unbeschadet zu überleben, muss man eine gehörige Portion Contenance wahren.
Der Autor formuliert präzise die Stoßseufzer seiner Leserschaft: "Es sind verwirrende Zeiten mit verrückten Trends und Triggern, Knalltüten und kranken Hirnen, Deppen und Despoten, Nichtsnutzern und Normalos." Dabei erinnert er an geschichtliche Vorbilder wie die Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen im Jahr 1938. Das Ergebnis der Judenverfolgung ist bekannt, Erinnerungsveranstaltungen 80 Jahre später sind ergreifend, aber ergebnislos. Völkerwanderungen waren und sind das Ergebnis von Not und Verzweiflung. Ohne Zuwanderer geht es nicht, das wissen Wirtschaftsfachleute. Wir leben auf der Schokoladenseite der Erde und verbringen unseren Urlaub gern in der Heimat der Menschen, die wir nicht haben wollen. Populistische Krakeeler werden als Parlamentarier für ihre angstmachenden Parolen mit Diäten belohnt.
Gleichberechtigung für Frauen ist hierzulande ein junges, noch nicht ausgewachsenes Pflänzchen. Online-Kommunikation anstelle persönlicher Unterhaltung ist da nicht hilfreich, Punkte sammeln durch Datenverkauf an der Supermarktkasse auch nicht.
Trauerarbeit ist kein erwünschtes, medienrelevantes Thema. Der wortgewandte Autor fasst es in sensible Gedichte wie "verlorener Schatz". Er formuliert Zeitgeist-Erscheinungen in Fragen wie "Warum muss man beim Gehen telefonieren oder essen? Oder beides?" "Die Kunst familiärer Kommunikation, ein Schulfach?"
Die Auswahl negativer Erfahrungen und Nachrichten ist riesig: Umsatzsteuerbetrug und Geldwäsche, schludriger Umgang mit der Sprache, auf die Haut tätowierte Botschaften, das Zerbröseln der Infrastruktur, digitaler Rückstand, ein oranger Utan im Weißen Haus, übergriffige Helikoptereltern, Nationalstaatenwahn und Brexit, Zunahme der Diktatoren, hemmungslose Narzissten in Regierungen, Terroranschläge, Glaubenskriege und -prediger, schleppender Wohnungsbau, Bildungsmangel, ansteigende Meeresspiegel, Silvesterknallerei, Respektlosigkeit, eine unheilbare Erkrankung und Wurzelbehandlung ziehen die Mundwinkel mächtig nach unten.
Gegen die drohende Depression hilft lachen:
"Selbstschutz
Wenn vor dir die Tür zufällt,
am Parkomat die Münze fehlt,
dich jemand umrennt im Gewühl,
ein Satz verletzt kurz das Gefühl,
wenn alle doof sind um dich rum,
dann setz‘ dich hin und lach dich krumm,
rück dann die Welt dir wieder grade,
alles andere wäre schade."
"Lächeln als Epidemie, das wäre doch was!"
Das kartonierte Buch ist gerade erschienen bei epubli, ISBN
9783819065514 und als E-Book, ISBN: 9783819068157. htv
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