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Nachricht vom 05.04.2012    

Genossenschaftsgründer waren sich nicht grün

150 Jahre Westerwald Bank, Internationales Jahr der Genossenschaften, die in den letzten Jahren bundesweit als Unternehmensform eine Renaissance erleben: Gründe genug für die Westerwald Bank, sich anlässlich der Weyerbuscher Gespräche mit den beiden Genossenschaftspionieren Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen auseinanderzusetzen.

Brachten die Genossenschaftsgründer Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch in Weyerbusch zusammen: (von links) Westerwald Bank Vorstand Paul-Josef Schmitt, Wilhelm Kaltenborn, Vorsitzender des Kuratoriums der Schulze-Delitzsch-Gesellschaft aus Berlin, und der Willrother Heimatforscher und Raiffeisenkenner Albert Schäfer.

Weyerbusch. 7.600 Genossenschaften gibt es in Deutschland, rund 18 Millionen Bundesbürger sind Mitglied in einer Genossenschaft. Allein in den letzten drei Jahren wurden bundesweit etwa 600 neue genossenschaftlich organisierte Unternehmen in Deutschland gegründet. Den beiden Ideengebern der Genossenschaftsbewegung, Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 – 1888) und Hermann Schulze-Delitzsch (1808 – 1883), widmete die Westerwald Bank in ihrem Jubiläumsjahr die Frühjahrsausgabe der Weyerbuscher Gespräche im Raiffeisen-Begegnungs-Zentrum (RBZ). „Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2012 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt. Was liegt da näher, als das Wirken der beiden Gründer im Vergleich zu betrachten?“ sagte Bankvorstand Paul-Josef Schmitt, hat doch die Westerwald Bank selbst ihre Wurzeln im 1862 gegründeten Hachenburger Vorschussverein nach Schulze-Delitzsch und im 1862 gegründeten Darlehenskassenverein für die Kirchspiele Rengsdorf und Bonefeld sowie für die Obere Grafschaft Wied, heute Dierdorf.

Schulze-Delitzsch: Bismarck-Gegner und Arbeiterführer

Und so brachte die Westerwald Bank die beiden, die sich zu Lebzeiten niemals trafen, zusammen. „Schulze-Delitzsch trifft Raiffeisen“, war der Titel des Abends, der verdeutlichte, dass die genossenschaftliche Erfolgsgeschichte in einem Systemstreit ihre Anfänge nahm. Raiffeisen selbst hatte nach dem Erfolg seiner ersten Vereinsgründungen 1862 Schulze-Delitzsch zwar an den Rhein zum Gedankenaustausch eingeladen, erhielt hierauf jedoch nach heutigem Forschungsstand nie eine Antwort. In Berlin sah man in dem Dorfbürgermeister aus dem Westerwald schlicht einen Kopisten und Mitläufer. Hätten sie sich jemals direkt auseinandersetzen können, es wäre kein freundschaftlicher Plausch geworden, auch wenn es durchaus inhaltlich Gemeinsamkeiten gab: etwa die Ablehnung des Sozialismus oder die Gewissheit, dass kostenlose Bildung die Not der Bevölkerung mindere; oder schließlich die Zielsetzung, die Genossenschaften dienten der „sittlichen Hebung der Bevölkerung“, wie es die beiden Referenten in Weyerbusch, Wilhelm Kaltenborn, Vorsitzender des Kuratoriums der Schulze-Delitzsch-Gesellschaft aus Berlin, und der Willrother Heimatforscher und Raiffeisenkenner Albert Schäfer, darlegten. Doch so sehr beiden die soziale Frage im 19. Jahrhundert am Herzen lag, so sehr beanspruchten beide - oder ihre Anhänger - das „Urheberrecht“ für den Genossenschaftsgedanken.

Der Jurist, leidenschaftliche Parlamentarier und Bismarck-Gegner Schulze-Delitzsch, dessen zweiter Namensteil seinem Heimatort in Sachsen geschuldet ist, würde heute wohl als linksliberaler Arbeiterführer bezeichnet. Mit der Gründung einer Schuhmachergenossenschaft 1849 in Delitzsch propagierte er Spar- und Konsumvereine zur Gewährleistung der Lebensgrundlagen, Vorschuss- und Kreditvereine zur Beschaffung von Geld für Investitionen und die Gründung von Distributiv- und Produktionsgenossenschaften. Das System seiner Genossenschaften beruhte auf der Solidarhaftung, dem Erwerb von Genossenschaftsanteilen, der Beschränkung aller Leistungen auf die Genossen und der Ablehnung direkter Unterstützung durch den Staat. Schulze-Delitzsch gemäß Kaltenborn: „Der Staat soll die Finger von alledem lassen.“ Den Ausprägungen des modernen Sozialstaates, so Kaltenborns Mutmaßung, könnte er wohl wenig abgewinnen.



Raiffeisen: Soziales Unbehagen bekämpfen!

Gleiches dürfte vermutlich für Friedrich Wilhelm Raiffeisen gelten, so Albert Schäfer, der den vom früheren Kölner Erzbischof Josef Kardinal Höffner geprägten Begriff des „Sozialen Unbehagens“ in seine Ausführungen aufnahm. Genau dieser Erscheinung hätten sich die beiden Genossenschaftspioniere verschrieben, wobei Raiffeisen in seiner Tätigkeit als Bürgermeister in Weyerbusch, Flammersfeld und Heddesdorf auch ganz praktische Ideen wie den Bau von Straßen umzusetzen wusste, die in der Folge den Bauern ermöglichten, ihre Waren an der Rheinschiene zu verkaufen. Schäfer arbeitete zudem die tiefe Verwurzelung Raiffeisens im christlichen Glauben heraus, der ihn antrieb und ihn - in Gegnerschaft zu den Ideen Schulze-Delitzschs - dazu veranlasste, in seinen Darlehenskassenvereinen auch Wohlhabenden die Mitgliedschaft zu ermöglichen, womit diese ihrer Christenpflicht nachkommen könnten. Ein weiterer Unterschied: Raiffeisen forderte für die Vereine nach seinem Ideal keine Eintrittsgelder, zudem beanstandete die Schulze-Delitzsch-Fraktion den Verzicht auf Geschäftsanteile und Gewinnausschüttungen - was sich nach einer Gesetzesinitiative Schulze-Delitzschs im Reichstag später ändern sollte.

Als Glücksfall für die Entwicklung der Raiffeisen-Bewegung bezeichnete Schäfer schließlich die Ernennung des gebürtigen Hammers Raiffeisen zum Bürgermeister von Heddesdorf, wo er erstmals nicht nur die Not der Landbevölkerung erlebte, sondern auch mit den Folgen der Industrialisierung konfrontiert war. Eben hier kam es auch zum regen Austausch mit dem Fürsten Wilhelm zu Wied, den er selbst als seinen „Protektor“ bezeichnete und ohne dessen Hilfe Raiffeisen sein Lebenswerk nicht hätte verwirklichen können.



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