Buchtipp: "Das elfte Gesicht" von Annegret Held
Von Helmi Tischler-Venter
In ihrem gerade erschienenen Roman "Das elfte Gesicht" geht es der heimischen Starautorin und Westerwald-Botschafterin Annegret Held weder um Historie noch um ihre Autobiografie, sondern um eine moderne Auseinandersetzung mit Spiritualität und den Gefahren der Radikalisierung. Schauplatz ist Frankfurt, wo die Autorin lange gelebt und gearbeitet hat.

Dierdorf/Winnen. Madame Ruxandras Tarotkarten hatten für die hoffnungsvolle Josefa keine funkelnde Zukunft zu bieten. Das "lebenslange Liebesleid" der dreiundvierzigjährigen General Assistant in einer koreanischen Firma für Leuchtmonitore findet wohl ebenso wenig ein Ende wie ihre ungeliebte Arbeit in einem Großraumbüro. Lediglich die magisch wirkende Schublade unter ihrem Schreibtisch mit Edelsteinen, Kristallen und all ihren Geheimnissen belebt sie. Josefa hat den Schlüssel der Portokasse verloren, aus der sie Jubiläumsblumen bezahlen muss. Aber die nette und hellseherisch begabte Blumenhändlerin Kristina knackt nicht nur das Schloss der Kasse, sie liest auch für Josefa ein günstigeres Schicksal aus ihren Lenormandkarten.
Auf einer Kunstausstellung lernt Josefa "Albeeeert" kennen, mit französisch langgezogenem e, dem sie in einem Wutanfall einen Kuss klaut. Albert-beseelt malt Josefa mit Tusche und Eigelb einen Engel, denn eigentlich wäre sie gern eine Künstlerin.
Albert ist der von einem Fernseh-Orakel avisierte "Ritter der Schwerter", ein "Phantom, das sich im Augenblick schon wieder verflüchtigte". Mit dem zappeligen, vielliebenden Wissenschaftler erlebt sie schmerzhafte Wissenschaftlerküsse, Liebe auf dem Küchenboden, Steißbein-traktierende Fahrten auf dem Fahrradlenker und Einladungen, die viel Geld und Geduld kosten.
Bald schon ist Josefa Orakel-süchtig, besonders haben es ihr die vom Medium Danny Krämer übermittelten Botschaften von Hieronymus angetan. In der spirituellen Gruppe um Danny Krämer findet sie Freunde, doch sie will gern selbst in die Zukunft sehen, hätte gern selbst ein zweites Gesicht, aber ihr gelingt nur ein elftes Gesicht. "Wenn Thomasius irgendwo herumfleuchte, dann kam er weder durch Kristinas verstopftes Gehirn noch zu ihr in ihr untrainiertes System. Sie hatte ja nur das elfte Gesicht und nicht das zweite."
Josefa hat ihre Wundergruppe, die ihr sagt, wenn man immer in der Liebe ist, erweitern sich die außersinnlichen Fähigkeiten. Also übt sie Tag und Nacht, alles zu lieben, vom Blumentopf über Kaffee und Duschgel bis zum Brief vom Finanzamt und der Putzerei ums Altbauklo. Josefa ist wegen den kruden politischen Einstellungen einiger Orakelfreunde zunehmend verunsichert. Vielleicht ist die Erde doch wichtiger als der Himmel?
Kristina und Josefa helfen sich gegenseitig aus Liebes- und Geldnöten und beim Visualisieren von Engeln. Sie erkennen die Zeichen der Zeit und schmieden Pläne für ihre Zukunft, mit überraschendem Ende.
Das Hardcover-Buch ist erschienen im Eichborn-Verlag, ISBN 978-3-8479-0209-6. htv
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