Wichtige Zukunftsfragen im "KuckRein" diskutiert
Kann man über die Ungerechtigkeitigkeiten der Großkapitals und der Zockermentalität an den Banken in einem Sozialkaufhaus reden? Man kann - vor allem dann wenn man einen Referenten wie Dr. Ulrich Thielemann zu Gast hat, dessen Stimme manchmal sogar von politischen Entscheidungsträgern gehört wird. Allerdings scheint die Politik, und das nicht nur in Deutschland, in Sachen Behandlung des Großkapitals und der globalen Wettbewerbsverzerrung beratungsresitent. Die Eurokrise zeigt es jeden Tag und gefährdert letztlich die demokratischen Grundwerte.
Montabaur/Westerwald. Kann man darüber, wie das Großkapital zu bändigen ist, in einem Sozialkaufhaus reden? Einer Einrichtung in der die Bedürftigen unserer Wohlstandgesellschaft einkaufen. Man kann – und das auf hohem Niveau. Verantwortlich dafür war das Forum Soziale Gerechtigkeit, das mit Unterstützung der Kreissparkasse Westerwald in das Montabaurer Sozialkaufhaus „KuckRein“ eingeladen hatte.
Der Träger des „KuckRein“, die Fortbildungsakademie der Wirtschaft (FAW) gGmbh mit Sitz in Neuwied, hatte die Einrichtung für diesen Tag zu einem Konferenzsaal mit sozialem Flair umgebaut. Kleiderständer, gebrauchtes Kinderspielzeug, Möbel und Haushaltswaren ließen schon noch den Zweck der Einrichtung erkennen. Jedenfalls ließ es sich in diesem Umfeld trefflich über die Gefahren der ungezügelten Finanzmärkte informieren und streiten.
Als Sprecher des Forums Soziale Gerechtigkeit stellte Uli Schmidt (Horbach) fest, es gehe nicht mehr darum, ob die Zockergeschäfte der Investment- und Schattenbanken gestoppt werden müssten, sondern nur noch um das „wie“. Andernfalls drohe dies die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft in den Abgrund zu reißen.
Die stellvertretende Leiterin der FAW-Akademie Neuwied, Nina Nelles, wies auf die zweifache gesellschaftliche Bedeutung des Sozialkaufhauses in der Kreisstadt hin: zunächst für die hier Beschäftigten, denen der Wiedereinstieg in die Arbeitswelt ermöglicht werde. Aber auch für die Bedürftigen, die hier Güter des täglichen Gebrauchs günstig erwerben können.
„Wenn alle Banken in der Vergangenheit so solide gearbeitet hätten wie die Kreissparkasse Westerwald und andere Sparkassen, dann gäbe es die gefährlichen Entwicklungen auf den Finanzmärkten nicht“, stellte KSK-Vorstandsvorsitzender Frank Sander in einem Grußwort fest.
Der Veranstalter hatte angekündigt, mit dem Vortrags- und Diskussionsabend aus wirtschaftsethischer Sicht einen unverzerrten Blick auf die Rolle des Kapitals in Wirtschaft und Gesellschaft geben zu wollen. Als Referent konnte Dr. Ulrich Thielemann als Gründer und Direktor des MeM – Denkfabrik für Wirtschaftsethik, Berlin – und ehemaliger Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen (Schweiz), begrüßt werden.
Sein Thema „Im Würgegriff es Kapitals. Finanzmarktkrise, Eurokrise und Bankenrettung – was läuft da falsch?“
Der Gast aus der Bundeshauptstadt stimmte zunächst mit einer Bewertung des bekannten Ökonomen Prof. Dr. Hans-Werner Sinn überein, nach der die Finanzkrise, die heute in der Euro- und Staatsverschuldungskrise ihre Fortsetzung findet, das Ergebnis einer jahrzehntelang betriebenen Politik der „Hofierung“ des Kapitals ist. „Die Finanzmärkte wurden dereguliert, die Länder hatten sich als Standort des global nach rentabler Anlage suchenden Kapitals fit zu machen“, so Dr. Thielemann.
Der Managementnachwuchs sei zudem an „Kapitaluniversitäten“ konsequent auf Gewinnmaximierung eingeschworen worden. Hinzu komme: Statt das Kapital angemessen zu besteuern, hätten sich die Staaten bei ihm immer weiter verschuldet. Schließlich sei versucht worden, die gigantisch angewachsenen Vermögensbestände immer dann, wenn die Blase zu platzen drohte, durch Bürgschaften, weitere Staatsverschuldungen oder Geldmengenausweitungen zu retten. Ein Kreislauf, an dessen Ende das Ende der Demokratie stehen könne, wie einer der Teilnehmer dazu bemerkte.
Ökonom und Wirtschaftsethiker Dr. Thielemann weiter: „Der tiefere Hintergrund dieser Politik ist der Glaube, dass die Hofierung des Kapitals der Schaffung von Arbeitsplätzen und damit der Realwirtschaft dient. Dabei heizt diese Politik nur den globalen Wettbewerb an, der ein Prozess der schöpferischen Zerstörung ist“. Dies führe zur Ökonomisierung der Lebensverhältnisse und zu einem Verlust an persönlicher Entfaltungs- und politischer Gestaltungsfreiheit.
Ziel des Abends war es, hinterher die finanz- und wirtschaftspolitischen Zusammenhänge besser verstehen zu können. Denn erst wenn wir als mündige Wirtschaftsbürger diesen Prozess genauer verstehen, erkennen wir, vor welchen Fragen wir stehen. „Nämlich vor der Frage, ob der Wettbewerbsprozess vielleicht zu weit getrieben wurde“, stellte der Referent fest. Dies habe zur Folge, dass der Wettbewerb nicht mehr dem guten Leben aller diene und überdies zu gravierenden Ungerechtigkeiten führe.
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In der abschließenden lebhaften Diskussion meinte der älteste Teilnehmer Josef Melchior aus Montabaur: „Wenn Banken aus Profitgier an einem Tag Milliarden verzocken und hinterher vom Steuerzahler gerettet werden müssen, dann stimmt in unserem System etwas nicht mehr.“ Dafür erhielt der rüstige Senior heftigen Applaus von allen Teilnehmenden.
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