Diakonisches Schülerpraktikum gegen Pfarrermangel
„Das werde ich nie im Leben vergessen“ – Niklas Heupel, Schüler des Evangelischen Gymnasiums Bad Marienberg, entschied sich als einziger von 72 Klassenkameraden das in der elften Klasse anstehende Diakonische Schülerpraktikum bei einem evangelischen Pfarrer zu absolvieren.
Bad Marienberg/Emmerichenhain. „ Es waren zwei sehr intensive Wochen“, so Niklas Heupel aus Emmerichenhain, der während seines Diakonischen Schülerpraktikums bei einem evangelischen Pfarrer viel erlebt hat. Der 17-jährige besucht das Evangelische Gymnasium in Bad Marienberg. Dort ist, wie inzwischen in vielen Schulen, in den elften Klassen ein zweiwöchiges Diakonisches Praktikum vorgesehen. Die Schüler gehen in soziale Einrichtungen wie Kindergärten, Altenheime und Krankenhäuser, helfen dort mit und lernen soziale Arbeit kennen.
Als Einziger von 72 Klassenkameraden entschied sich Niklas Heupel dafür, sein Praktikum im evangelischen Pfarramt zu absolvieren. „Dazu inspiriert hat mich eigentlich der Bad Marienberger Pfarrer Peter Wagner, der mittwochs immer den Gottesdienst für das Gymnasium macht, “ berichtet Niklas, „Ich habe mich gefragt: Was macht so ein Pfarrer eigentlich die ganze Woche über?“ Als Tutor für das Praktikum gewann der 17-jährige Schüler Pfarrvikar Markus Sauerwein aus seiner heimischen Kirchengemeinde in Emmerichenhain. „Der ist ein Super-Pfarrer, “ schwärmt Niklas Heupel, „er hat viele Ideen, ist jung und innovativ.“ Sauerwein nahm den Schüler mit in seinen täglichen Alltag. Niklas durfte zwei Gottesdienste mit gestalten, war beim Konfirmandenunterricht, mehreren Trauergesprächen, Beerdigungen und Taufen dabei. Außerdem nahm er am Schulunterricht des Pfarrers in einer Grundschule teil. Dazu kamen noch offizielle Termine, wie eine Kirchenvorstandsitzung und eine Dekanatskonferenz, eine Versammlung der Pfarrer und Dekanatsangestellten im Dekanat Bad Marienberg. Besonders berührt haben den 17-jährigen die seelsorglichen Gespräche, die Pfarrer Sauerwein führte. „Manchmal weiß man gar nicht, was man sagen soll. Da war zum Beispiel jemand, der nach dem Tod eines Angehörigen offenbar nicht wusste, wie das Leben weitergehen soll. Er war mit der Situation völlig überfordert. Oder jemand, der unter schweren Schuldgefühlen leidet, aus einem – aus meiner Sicht – eher nichtigen Grund. Diese Sache war wie ein Wehmutstropfen im Leben der Person. Da denke ich immer noch manchmal drüber nach. Ich glaube, das werde ich nie im Leben vergessen.“ Gut gefallen hat dem Oberstufenschüler der intellektuelle Aspekt des Pfarrberufs. „Wenn wir lange über einen Bibeltext diskutierten und ich dann später meine Gedanken in der Sonntagspredigt von Pfarrer Sauerwein heraus hören konnte, das war schon toll.“
Tutor Markus Sauerwein freute sich, dass Niklas sein Diakonisches Praktikum im Pfarrberuf machen wollte: „Niklas hat einen super Eindruck bei mir hinterlassen. Er hat sich während der ganzen Zeit höchst professionell verhalten und ich habe sehr gerne mit ihm über seine Erlebnisse reflektiert. Mir hat dabei sein kritisches Denken sehr gefallen, mit dem er sich bemüht, Dinge zu hinterfragen. Auch hat mich gefreut, dass er sich aktiv eingebracht hat, etwa bei den beiden Gottesdiensten, die in seine Praktikumszeit gefallen sind. Dieser tolle Eindruck wurde mir auch aus der Gemeinde zurückgemeldet.“
Im diakonischen Praktikum sollen die Schüler Erfahrungen in oftmals unbekannten Lebensbereichen sammeln. Sie gewinnen durch direkte Begegnungen und aktives Tun Verständnis für Kinder, einsame ältere Menschen, Behinderte, Notleidende oder Menschen am Rande der Gesellschaft. Vorurteile sollen reflektiert und abgebaut werden. Diese Aspekte des Diakonischen Praktikums hat Niklas erlebt: „In manchen Gesprächen kamen Dinge zur Sprache, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht hatte“, gibt er zu. Im Aussendungsgottesdienst im Evangelischen Gymnasium, unmittelbar vor Praktikumsantritt der 72 Schüler, betonte Schulpfarrerin Swenja Müller, das Diakonische Praktikum unterscheide sich völlig von einem normalen Berufspraktikum. Es zeige, dass man soziale Arbeit getan habe. „Es gehört zum evangelisch sein dazu, mit Menschen zu leben, die man so nicht trifft. Das hilft, das Evangelium zu begreifen. Jesus ist auch zu den Menschen gegangen“, sagte sie. Pfarrer Peter Wagner, ebenfalls Betreuer des Diakoniepraktikums am Evangelischen Gymnasium in Bad Marienberg, hofft, dass das Praktikum die Schüler für Menschen in ihren Lebenssituationen sensibilisiert hat und sie sich eventuell für einen diakonischen Beruf interessieren werden: „Vielleicht kommt ja die Erkenntnis: Das macht Freude, das kann ich, da bleib ich dran. Ich kann mir vorstellen, dass da bei dem einen oder anderen etwas in Bewegung gekommen ist.“ Falls Niklas Heupel nach seinem Abitur in zwei Jahren den Wunsch haben sollte, evangelischer Pfarrer zu werden, sind seine Berufschancen jedenfalls gut. Ab 2017 werden innerhalb von zwölf Jahren über 900 Pfarrerrinnen und Pfarrer in den Ruhestand gehen, das sind mehr als doppelt so viele wie sonst. Langfristig stehen in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zwar weniger Pfarrerstellen zu Verfügung. Bedingt hauptsächlich durch die demographische Entwicklung wird die EKHN in 2025 voraussichtlich statt 1,7 Millionen Mitglieder nur noch 1,5 Millionen haben. Daran angepasst reduziert die Kirche die Pfarrstellen um einen Prozent pro Jahr. Dennoch werden durch die Pensionierungswelle bis dahin circa 550 bis 600 neue Pfarrer gebraucht. Also eine gute Option für Niklas Heupel, sollte er sich für ein Theologiestudium entscheiden. Wer jetzt, mit dem Ziel evangelischer Pfarrer zu werden, sein Studium beginnt, wird um 2020 herum ein gefragter Mann bzw. eine gefragte Frau sein. (shg)
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