Nach zehn Jahren positive Bilanz zum "Persönlichen Budget"
Insgesamt 221 Menschen aus dem Westerwaldkreis nutzen das "Persönliche Budget" um ihr Leben selbst gestalten zu können. Für behinderte Menschen ein Vorteil, dieses Fazit zog das Forum für soziale Gerechtigkeit, das zum Diskussionsabend nach Bad Marienberg gemeinsam mit der AWO, der Lebenshilfe und der Gesellschaft für Behindertenarbeit eingeladen hatte.
Bad Marienberg. "Früher habe ich sechs verschiedene Sachleistungen von fünf verschiedenen Trägern bekommen, jetzt erhalte ich ein Budget und kann mein Leben damit selbständiger organisieren!" Dies stellte eine junge Frau mit einer psychischen Erkrankung bei einem Fachgespräch in der Betriebshalle des Sozialunternehmens OptiServ gGmbH im Gewerbegebiet Bad Marienberg–Eichenstruth fest. Dabei wurde auf meist positive Erfahrungen mit dem Persönlichen Budget im Westerwaldkreis in nunmehr 10 Jahren zurückgeblickt.
Gemeinsam mit dem Forum Soziale Gerechtigkeit hatten dazu die AWO-Gemeindepsychiatrie, die Gesellschaft für Behindertenarbeit (GfB) und die Kreisvereinigung der Lebenshilfe eingeladen. Insgesamt drei Budget-Nehmerinnen und ein Budget-Nehmer stellten sich den Fragen von Sozialarbeiterin Gerlinde Kaiser-Schäfer. Es wurde deutlich, dass alle trotz vorheriger Bedenken heute über mehr Angelegenheiten in der eigenen Lebensgestaltung selbst entscheiden können und dies zu mehr Selbständigkeit in ihrem Alltag geführt hat. „Ich bin stolz auf meine erreichte Eigenständigkeit und sehr zufrieden, dass alles im eigenen Haushalt so prima funktioniert“, meinte ein „Wäller“, der die Chancen des Budgets seit einigen Jahren erfolgreich nutzt.
Frank Kröller stellte bei seiner Begrüßung als Geschäftsführer der AWO-Gemeindepsychiatrie für die vier Veranstalteter erfreut fest, dass die Halle bis auf den letzten Platz gefüllt war. „Dies ist ein deutliches Zeichen für das riesengroße Interesse an dem Thema“, so der AWO-Mann.
Bad Marienbergs Stadtbürgermeister Dankwart Neufurth wies in seinem Grußwort auf viele kleine Maßnahmen in der Stadt wie eine Schaukel für Rollifahrer hin, mit denen die Bäderstadt Barrieren für behinderte Menschen abbauen will.
Als Mitarbeiter der Lebenshilfe stellte Philipp Velte dann kurz die Grundlagen des Persönlichen Budgets vor: „Menschen mit einer Behinderung können sich damit einen persönlichen Freiraum für ihre Lebensgestaltung schaffen“, so Velte.
Nicole Schiekel von der AWO erläuterte das Antrags- und Bewilligungsverfahren. Als besonders positiv bezeichnete sie, dass der jeweilige Sozialdienst die Antragsteller auch zu Hause im persönlichen Umfeld besucht und versucht geeignete Lösungen zu finden. Die „AG der Anbieter von Leistungen der Eingliederungshilfe im Westerwaldkreis“ bedauert, dass für die Fachleistungsstunde für Mitarbeiter/innen im Budget schon seit 10 Jahren unverändert 33 Euro gezahlt werden. „Die Träger legen dabei drauf, weshalb das Angebot auf dem derzeitigen professionellen Niveau nicht dauerhaft gehalten werden kann“, stellte die Sprecherin der AG, Johanna Alef-Bill vom Diakonischen Werk fest.
In einer weiteren Podiumsrunde kamen Vertreter der Leistungsanbieter im Kreis zu Wort. Die Kreisvorsitzende der Lebenshilfe, Silvia Weyer-Burggraf, bedauerte oft zu lange Wartezeiten von der Beantragung bis zur Bewilligung eines Budgets. Jessica Rilk von der AWO-Gemeindepsychiatrie berichtete von 15 Personen in ihrem Umfeld, die bereits mit dem Budget den Sprung von der Stationären Versorgung in die eigene Wohnung geschafft haben. Jedoch gebe es häufig bei den Klienten verschiedene Ansichten darüber, was das Budget leisten kann. Für die GfB stellte deren Geschäftsführer Winfried Weber fest, die Regelungen beim „Budget für Arbeit“ seien für Arbeitgeber oft zu bürokratisch.
Als Sprecher des Forum Soziale Gerechtigkeit bedauerte Uli Schmidt, dass die Kreisverwaltung die Einladung zu der Veranstaltung nicht angenommen hatte. Er dankte der Verwaltung jedoch dafür, dass diese im Vorfeld des Abends die kreisweiten Zahlen zum Persönlichen Budget zusammengestellt und bereits veröffentlicht hatte.
Danach gibt es derzeit kreisweit 221 Menschen mit einer Behinderung im Persönlichen Budget. Für diese wurden 2011 Budgetleistungen von 1 Million Euro und weitere Hilfen von 2 MiLlionen Euro bereitgestellt. Insgesamt seien im vergangenen Jahr 30,5 Millionen Euro an Eingliederungshilfen vom Kreis gezahlt worden.
Schmidt, der die Veranstaltung auch moderierte, zeigte sich insbesondere darüber erfreut, dass viele Menschen mit einer Beeinträchtigung zu dem Informations- und Diskussionsabend gekommen waren. „Gemeinsam müssen wir helfen, dass der Westerwaldkreis weiterhin dazu beiträgt, dass Rheinland-Pfalz das Budgetland in Deutschland bleibt in dem behinderte Menschen besonders viele Chancen haben“, so das Kreistagsmitglied.
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