Große Stimmen und atemberaubende Musik in kleiner Kirche
Es war ein Erlebnis der ganz besonderen Art, das die Besucher der 18. Veranstaltung "Weltmusik in alten Dorfkirchen" zum Auftakt in der evangelischen Kirche in Selters genossen. Das Quartett "Huun Huur Tu" aus der autonomen Republik Tuwa im Süden Sibiriens sorgte für ein ungewöhnliches Hörerlebnis.
Selters. Das restlos ausverkaufte Auftaktkonzert der 18. Reihe „Musik in alten Dorfkirchen“, zu der die Kleinkunstbühne Mons Tabor auch dieses Jahr zu mehreren Konzerten in Westerwälder Kirchen einlädt, war nicht nur für die Fangemeinde des „Khöömei“, des traditionellen Kehlkopfgesangs, ein glänzender Start.
Im Falle der Gruppe "Huun-Huur-Tu" war das durchaus wörtlich zu nehmen, denn der Name bedeutet übersetzt „Strahlenkranz der Sonne“, wie er gelegentlich vor ihrem Auf- und Untergang am Horizont erscheint.
Der ungewöhnliche Gesang, dem das Publikum vom ersten Moment an fasziniert und ergriffen lauschte, entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte aus der innigen Naturverbundenheit der nomadisierenden Volksstämme in Tuwa, der Mongolei und anderen Ländern Zentralasiens rund um das Altaigebirge.
Der Obertonsänger benutzt als Grundton seine „normale“ Stimme, die durch eine besondere Brustatmung sehr weich und warm klingt und fließende Übergänge der Laute zum Oberton ermöglicht. Die vier Solisten des Huun-Huur-Tu-Ensembles haben dazu eine hohe polyphone Virtuosität gezeigt, indem sie zwei unabhängige Melodien gleichzeitig mit Grund- und Oberton singen und zudem noch Laute, die an das Zwitschern eines Vogels erinnern.
Mit diesen lautmalerischen Klängen beruhigte der Sänger seine Herden, imitierte Tiergeräusche für die Jagd oder gab in der Einsamkeit der Steppe seinem Hoffen und Vertrauen, der Verbundenheit mit den Ahnen und der Familie, der Liebe zu seinem Land und zu seinen Pferden und Kamelen Ausdruck, so dass man sie zurecht auch als spirituelle Gesängen bezeichnen kann. Die Texte dieser Musik handeln vom Leben in der Steppe, von Pferden und Reiten und den Schönheiten der tuwinischen Landschaft.
Schloss der Zuschauer die Augen – viele haben das getan – fühlte er den singenden und pfeifenden Wind über den endlosen Weiten der Grassteppe, das rhythmische Hufgetrappel der halbwilden Pferdeherden, die Freiheiten wie die Härten des nomadisierenden Lebens, die Liebe und die Sorge um die Familie und die Tiere.
Der traditionelle Kehlkopfgesang wird üblicherweise von einem Solisten vorgetragen, womit das tuwinische Ensemble aus vier Sängern, dazu noch in Begleitung der unterschiedlichsten Musikinstrumente der Steppenvölker wie der „Morin-chuur“ oder Pferdekopfgeige, der blockflötenähnlichen „Tsuur“, der häufig mit Schlangenhaut überzogenen „shudraga“ und der großen Schamanentrommel, eine sehr gelungene Innovation darstellt. Diesen zu Sowjetzeiten vergessenen traditionellen Klängen und musikalischen Formen hauchte die Anfang der 90-er Jahre gegründete Gruppe neues Leben ein und verband sie zudem mit den volkstümlichen Liedern und Melodien früherer Generationen mit ihrem Motto: „Wenn eine musikalische Tradition aufhört sich weiter zu entwickeln, ist sie zum Sterben verurteilt."
Die Zuhörer waren von allem überwältigt: den herausragenden musikalischen Leistungen, den großem Stimmen wie der lebhaften Übermittlung einer Tradition, die eng mit einer Landschaft und ihren Menschen verbunden ist.
Resümee: Ein wirklich gelungener Brückenschlag zwischen faszinierenden Kehllauten und Klängen eines fast vergessenen Volkes und einem begeisterten Publikum im Westerwälder Sakralbau. Dank sei den Organisatoren der Kleinkunstbühne Mons Tabor rund um Uli Schmidt, der das Publikum zur 86. Aufführung begrüßte und sich jetzt schon auf die 100. Darbietung der Weltmusikreihe freut. Außerdem kündigte Schmidt an, das von jeder Eintrittskarte ein Euro einem sozialen Zwecke zugeführt wird. (CK)
Lokales: Selters & Umgebung
Jetzt Fan der WW-Kurier.de Lokalausgabe Selters auf Facebook werden!
Weitere Bilder (für eine größere Ansicht klicken Sie bitte auf eines der Bilder): |