Wallmeroder Ehepaar gründet evangelische Kirchengemeinde
Die wenigsten Westerwälder Christen können von sich behaupten, die Gründung ihrer Kirchengemeinde miterlebt zu haben. Liselotte und Werner Kratz waren dabei. Nicht nur das: Ohne das Ehepaar würde es wahrscheinlich bis heute keine eigenständige Kirchengemeinde Wallmerod geben.
Wallmerod. Liselotte und Werner Kratz leisten im reifen Alter protestantische Pionierarbeit: Dabei wollten die beiden Senioren eigentlich nur ihren Ruhestand genießen. 1985 verlassen Liselotte und Werner Kratz das hektische Düsseldorf und machen es sich im Westerwälder Örtchen Wallmerod schön. Sie ist damals 65, er ist fünf Jahre jünger, beide sind evangelisch. Und ziemlich unzufrieden. Denn das Wallmerod der Achtziger ist katholisch bis in die Haarspitzen. Liselotte und Werner waren nie besonders eifrige Kirchgänger. Zwar arbeitete sie lange im Referat für Familienpolitik der Evangelischen Kirche im Rheinland, ehrenamtlich engagiert haben sich beide aber nicht.
Doch dass es in ihrer neuen Heimat keine eigenständige evangelische Kirchengemeinde gibt und sie die Gottesdienste im zehn Kilometer entfernten Hadamar nur mit dem Auto erreichen, stört das Paar. „Vielleicht haben sich da meine Gene zu Wort gemeldet“, sagt Liselotte Kratz. „Meine Eltern haben sich früher im protestantischen Arbeiter- und Bürgerverein engagiert und waren sehr gläubig. Das muss ich wohl unbewusst übernommen haben.“
Die Gene geben keine Ruhe und lassen die Seniorin nach Gleichgesinnten im protestantischen Niemandsland suchen, und dank dem Engagement des Paares wird das evangelische Leben in und um Wallmerod immer aktiver. Schließlich bitten Liselotte, Werner und eine Handvoll andere Glaubensgeschwister bei der Kirchenleitung in Darmstadt um die Gründung einer Gemeinde. Am 1. Juli 1992 geht für viele ein Traum in Erfüllung: Wallmerod bildet mit 22 Dörfern endlich eine eigenständige Kirchengemeinde – in einem Gebiet, in dem vier von fünf Menschen katholisch sind.
Für die beiden Senioren beginnt ein neues Leben. Liselotte wird Teil des Kirchenvorstands, und die beiden engagieren sich, wo es nur geht. Auch, wenn es mal unangenehm wird. „In den Anfangsjahren sind wir durch Wallmerod und die umliegenden Ortschaften gezogen, um uns und die neue Kirchengemeinde vorzustellen. Viele waren offen, aber manche haben uns die Türe vor der Nase zugeknallt“, sagt sie. Nicht nur für das ältere Paar ist die Startphase schwierig: Die Protestanten treffen sich in einem angemieteten Haus. Zwischen der Küche und dem Wohnzimmer reißen sie eine Wand heraus, damit sie so etwas wie einen Gemeinderaum haben. Der erste Pfarrer, Andreas Krone, bleibt rund vier Jahre. Danach übernehmen Heike und Heinrich Meissner die Stelle. Die beiden leben damals in der Dachwohnung des „Gemeindezentrums“:. Heike Meissners theologischen Bücher stehen im Keller direkt neben den Einmachgläsern. Sonst gibt's einfach keinen Platz.
Inzwischen können die Wallmeroder Protestanten darüber lächeln. Auch Liselotte Kratz: „Wir haben uns nicht einschüchtern lassen. Denn die Gemeinde war uns wichtig. Sie war mehr als ein Ort, an dem sich Gleichgesinnte treffen. Sie war unsere Heimat.“
Heute ist Liselotte 93 und Werner 88 Jahre alt. Sie sind nicht mehr im Kirchenvorstand aktiv, sondern genießen tatsächlich ihren Ruhestand. Das ist auch in Ordnung. Denn die Kirchengemeinde Wallmerod hat mittlerweile nicht nur ein anständiges Gemeindehaus, in dem Bücher und Marmelade nicht mehr im selben Regal stehen und eine schöne Kirche, sondern ist eine lebendige, warmherzige Gemeinde mit vielen Veranstaltungen und Kreisen. „Uns ging es in unserem Engagement stets um den persönlichen Kontakt zu den Menschen. Das spielt in der Wallmeroder Kirchengemeinde immer noch eine große Rolle. Erst vor wenigen Jahren ist ein Besuchsdienst ins Leben gerufen worden, der sich um alte, kranke und einsame Männer und Frauen kümmert“, sagt Liselotte Kratz. „Solche Initiativen sind wichtig. Gerade in dieser Zeit der Umbrüche.“
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