Jobs für Eltern: Aktionstag in den Jobcentern
Tülay Kara deckt den Tisch auf der Terrasse. Sie schenkt Kaffee ein und setzt sich neben einen alten Herrn. Vorsichtig hebt sie die Tasse, damit er trinken kann und reicht ihm dann mit der Gabel ein Stückchen Kuchen. Ihr Schützling genießt die Spätsommersonne und ist zufrieden. Tülay Kara, 39 Jahre alt und in der Türkei geboren, ist es auch: Zum ersten Mal hat die alleinerziehende Mutter einen Job, mit dem sie ihre Familie ernähren kann – ohne eine Aufstockung durch die Grundsicherung (Hartz IV).
Kreisgebiet. Ihr Arbeitsplatz ist Haus Herkenroth, eine Wohngemeinschaft für Senioren in Marienrachdorf, ihr Arbeitgeber das Ambulante Pflegeteam Kleeblatt (Goddert). Inhaberin Sorena Kröff ist ständig auf der Suche nach gutem und verlässlichem Personal; dass Pflege eine Branche ist, in der der Kräftebedarf stetig wächst, zeigt sich auch in unserer Region. Auf der anderen Seite gibt es Frauen wie Tülay Kara, die lieber arbeiten möchten als auf Unterstützung angewiesen zu sein, aber zunächst keine Qualifikation vorweisen können.
Dass die Geschichte der dreifachen Mutter ein Happy End fand, ist nicht zuletzt einer bundesweiten Kampagne zu verdanken, an der sich auch die Jobcenter Westerwald und Rhein-Lahn zusammen mit dem Arbeitgeberservice (AGS) der Agentur für Arbeit Montabaur beteiligen. Jobs für Eltern heißt diese Initiative, und der heutige 3. September steht als Aktionstag im Kalender: Die Jobcenter laden gezielt (alleinerziehende) Väter und Mütter ein, die ausschließlich oder zum Teil von der Grundsicherung leben. An diesem Tag werden Beschäftigungschancen sondiert, konkrete Vorschläge gemacht und bestenfalls Stellen vermittelt.
Arbeitsvermittlerin Ute Hausen-Görg hat Tülay Kara im Jobcenter Westerwald betreut und im Rahmen des Projekts Alleinerziehende intensiv beraten. Um die Kinderbetreuung zu organisieren und den beruflichen Wiedereinstieg vorzube-reiten, wurde die 39Jährige in einer besonderen Maßnahme mit Mitteln des Jobcenters, des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie und des Europäischen Sozialfonds gefördert. Die anschließende Qualifizierung in der Pflege – als Helferin, Bertreuungskraft und Haushaltsassistentin – finanzierte das Jobcenter. Nach einem Vermittlungsvorschlag Ute Hausen-Görgs knüpfte AGS-Vermittler Volker Lahnstein den Kontakt zum Pflegeteam Kleeblatt.
In den ersten drei Monaten der Beschäftigung wird ein Eingliederungszuschuss von etwa einem Drittel des Bruttogehalts gezahlt. Tülay Kara, die in Selters wohnt, hat drei Söhne im Alter von 23, 18 und 8 Jahren, für die sie seit mehr als sieben Jahren alleine sorgt. Sie hat nie die Hände in den Schoß gelegt und zum Beispiel als Reinigungskraft und als Produktionshelferin gearbeitet. Aber als Ungelernte und in Teilzeit verdiente sie zu wenig. Die Wende kam mit der Qualifizierung. „Jetzt habe ich eine volle Stelle und das Geld reicht zum Leben“, sagt Tülay Kara stolz.
Durch ein Praktikum hat sie ihre neue Chefin überzeugt. Sorena Kröff, die die gute Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur schätzt, will von allen Bewerbern wissen, ob sie für die verantwortungsvolle Tätigkeit mit betagten Menschen geeignet sind: „Für mich zählt nicht in erster Linie der Lebenslauf. Schulnoten und das Alter spielen überhaupt keine Rolle; erst kürzlich habe ich eine 59-Jährige eingestellt.“
In der Marienrachdorfer Wohngemeinschaft, für die das Pflegeteam Kleeblatt Personal und Dienstleistung stellt, leben bis zu 11 Seniorinnen und Senioren. Gemeinsam und nicht einsam den Lebensabend genießen: Diesen Anspruch haben Rainer und Marianne Herkenroth, denen das Haus gehört. Sie setzen auf Qualität und Verlässlichkeit und legen Wert auf die Feststellung, dass es vom Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung zertifiziert ist: „Das ist keine Selbstverständlichkeit. Nur 18 Prozent der privaten Wohngemeinschaften haben dieses Gütesiegel.“
Sorena Kröff ihrerseits achtet penibel darauf, die hohen Standards in der am-bulanten Kranken- und Altenpflege einzuhalten. Dazu gehört selbstverständlich die tägliche Dokumentation. Das ist für Tülay Kara eine Herausforderung. Mit Eifer ist sie dabei, ihre Deutschdefizite auszubügeln, schriftlich wie mündlich. Konzentriert erzählt sie am Beispiel der Frühschicht, wie ihr Arbeitstag abläuft – vom morgendlichen Wecken der alten Leute, von der Hilfe beim Waschen, vom Frühstück bis hin zur gemeinsamen Vorbereitung des Mittagessens. Die Bewohner bestimmen nicht nur den Speiseplan mit; sie helfen auch beim Ko-chen und vielen anderen Verrichtungen im Haus. Das macht Spaß und hält Körper und Geist rege.
Tülay Kara mag besonders die Unterhaltung mit ihren Senioren. Wenn alle beim Kartoffelschälen oder Kaffeetrinken zusammen sitzen und plaudern, geht es zu wie in einer großen Familie. Ihr jüngster Sohn begleitet die Mama ab und zu zur Arbeit. „Er redet mit den alten Leuten und macht bei Spielen mit“, sagt sie. „Das gefällt allen.“ Und wie gefällt das alles ihr selbst? Ist sie froh mit diesem Job und der Umstellung im Familienleben? „Das kann man sagen!“
Die Initiative „Jobs für Eltern“ läuft weiter. Unternehmen, die Interesse daran haben oder entsprechende Stellen anbieten können, werden gebe-ten, sich mit dem Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit Montabaur in Verbindung zu setzen. Die kostenlose Servicerufnummer: 0800/4555520.
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