Gute Kitas meist wichtiger als Bares
Wird viel Geld in Familien investiert, damit aber wenig bewirkt? Der Eindruck drängt sich auf, wenn man jüngste Studien betrachtet und den Wirrwarr von 160 verschiedenen staatlichen Familien- und Kinderleistungen im Blick hat. Was brauchen vor diesem Hintergrund Westerwälder Familien? Das Forum Soziale Gerechtigkeit hatte jetzt in das Haus der Familie in Rennerod eingeladen, um mit zahlreichen Fachleuten Antworten darauf zu finden.
Westerwaldkreis/Rennerod. Für das Forum begrüßte Uli Schmidt (Horbach) die fachkundige Runde. „Die Gesellschaft ist mehr im Umbruch denn je. Vor wenigen Jahren galten Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz und Ganztagsbetreuung noch als rot-grüne Spinnerei“, so Schmidt. Jetzt sei das in allen Parteiprogrammen dick unterstrichen.
Stadtbürgermeister Hans-Jürgen Heene präsentierte in einem Grußwort Rennerod als Stadt mit einem sozialen Herz und verwies auf hohes Engagement bei Themen wie beispielsweise Kinderbetreuung und Jugendpflege sowie im Haus der Familie. Dessen Leiterin Gabi Schneider stellte diese im Westerwald einzigartige Einrichtung und zahlreiche Aktivitäten vom Kindertreff und der Elternsprechstunde bis zum Plattschwätzerkurs den Gästen vor.
Klaus Peter Lohest vom Familienministerium des Landes Rheinland-Pfalz stellte anschließend in einem Vortrag die Ergebnisse einer von ihm geleiteten bundesweiten Arbeitsgruppe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zum Thema „Weiterentwicklung des Systems monetärer Unterstützung von Familien und Kindern“ vor.
„Es ist ein Skandal, dass in einem reichen Land wie der Bundesrepublik etwa 20 Prozent unserer Kinder in Armut aufwachsen müssen“, so der Gast aus Mainz. Lohest schilderte die vielfachen ökonomischen Risiken vieler Familien und bezeichnete das System aus 160 verschiedenen Leistungsarten als zu kompliziert und intransparent. Er regte eine lokale Anlaufstelle für alle Familien an und wies darauf hin, dass finanzielle Leistungen nachweislich keinen Einfluss auf die Geburtenrate haben.
„Kinder haben Grundbedürfnisse wie Geborgenheit und Fürsorge, die durch noch so viel staatliches Geld nicht erfüllt werden können“ meinte Psychologe Frank Müller von der Erziehungs- und Familienberatungsstelle des Diakonischen Werkes in Westerburg in seinem Kurzstatement. Nach seiner Ansicht sind Bildung und Teilhabe aktuelle Themen. Bildung setze eine anerzogene Arbeitshaltung voraus und Teilhabe soziale Gerechtigkeit. Ersteres sei Aufgabe der Eltern, letzteres die von Politik.
Für Thomas Jeschke, Abteilungsleiter Beratungsdienste beim Caritasverband in Montabaur, versucht die dortige Familienberatungsstelle lokale Anlaufstelle für Familien zu sein. „Fragen der Existenzsicherung stehen dabei oft im Mittelpunkt“, so Jeschke.
Bildungsangebote erhöhen die Erziehungskompetenz
Als Leiter der Katholischen Familienbildungsstätte Westerwald/Rhein-Lahn wies Alois Schneider auf die Notwendigkeit hin, durch vielfältige Bildungsangebote für Familien deren Erziehungs- und Alltagskompetenz zu erhöhen. „Bei uns scheitert die Teilnahme an Gruppen und Kursen nicht am fehlenden Geld“, stellte Schneider fest. „Wir haben bis zu 1.000 Familien im Jahr zu Gast“, konnte der Leiter des Familienferiendorfes Hübingen e.V., Andreas Haase, stolz mitteilen. Darunter seien viele bedürftige Familien mit vielfältigen Problemlagen.
Für den DGB Koblenz/Westerwald wies Sebastian Hebeisen auf die wachsende Bedeutung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hin. Er beklagte die schlechten Arbeitsbedingungen für viele Erzieherinnen und Erzieher. „Kein Wunder, wenn den Beruf künftig immer weniger Jugendliche ergreifen wollen“, so Hebeisen.
Als Mitglied im Kreisjugendhilfeausschuss forderte MdL Dr. Tanja Machalet die Bedürfnisse der Familien künftig stärker bei der Jugendhilfeplanung des Westerwaldkreises zu berücksichtigen. Die Abgeordnete bedauerte, dass sich das Kreisjugendamt an dieser wichtigen Diskussion im Haus der Familie nicht beteiligt hat.
Nach über zwei Stunden Vortrag, Statements und Diskussion auf hohem Niveau war sich die Runde darin einig, dass die Familien im Westerwaldkreis weiterhin einen Mix aus Geld und passender Infrastruktur brauchen. „Doch bei der Infrastruktur hängen wir hinterher und sollten die Finanzen künftig mehr darauf konzentrieren“, so Stadtbürgermeister Heene am Schluss mit Blick auf die leeren kommunalen Kassen.
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