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Nachricht vom 02.11.2013    

Die alte Dame mit dem zeitlos schönen Klang

Zig-Millionen Schläge hat sie klaglos weggesteckt. Und sie verrichtet immer noch treu und zuverlässig ihren Dienst: die Glocke der evangelischen Kirche Selters, die in diesem Jahr ihren 550. Geburtstag feiert. Damit dürfte sie der älteste Gegenstand der Stadt sein, der immer noch in Gebrauch ist. Höchste Zeit für eine Würdigung der alten Dame.

Sie läutet und läutet und läutet - schon seit 550 Jahren: die Glocke
in der Evangelischen Kirche Selters. Ein Durchhaltevermögen, das nicht
nur Kirchenvorstandsmitglied Eckhard Schneider schätzt.Foto: Peter Bongard

Selters. Es ist das 15. Jahrhundert und eine turbulente Dekade für den Westerwald: Die Grafen haben das Sagen, und Selters leidet unter der Fehde zwischen den Fürstentümern Sayn und Wied. Die gipfelt 1413 schließlich in der Katastrophe: Selters brennt mitsamt seiner Kirche ab. Erst 50 Jahre später gibt es in dem Ort wieder ein Geläut: 1463 schafft der Glockengießer „Meister Tilmann von Hachenburg“ einen neuen Klangkörper für das Selterser Gotteshaus: die Marienglocke. Ihren Namen leiten die Gläubigen aus der Inschrift ab, die an der Oberseite, der sogenannten „Schulter“, steht: „MARIA HEISCHEN ICH IN ERE SENTE PETERS VND IN ERE SENTE ANTHONIS LVDEN ICH M CCCC LXIII.“ Das bedeutet soviel wie: „Zu Maria rufe ich, zum Ruhm des Hl. Petrus und Hl. Antonius läute ich (1463)“.
Alleine ruft sie freilich nie zu den Heiligen: Von Anfang an gibt es im Glockenstuhl drei Werke aus der Tilmann'schen Schmiede. Allerdings fallen die beiden Schwestern der Marienglocke den Kriegen zum Opfer: Eine wird zwischen 1914 und 1918 eingeschmolzen und zu Waffen verarbeitet, die andere trifft dieses Schicksal während des Zweiten Weltkriegs. Die Marienglocke hat indes Glück: Kurz bevor sie in die Eisenschmelze kommt, endet der Erste Weltkrieg.
1938 soll sie aber endgültig zerstört werden. Nicht, um aus ihr Kriegsgüter herzustellen, sondern weil ihr Klang nicht mehr gut genug ist. Diesmal scheitert es allerdings am Geld: Der neue Glockenstuhl, der für die Nachfolgerin der Marienglocke nötig wäre, ist schlicht zu teuer. Also tönt die alte Dame weiter – bis sie 1988 von einem Gewicht der Turmuhr beschädigt wird. Im Nachhinein ist das ein Glücksfall. Denn Ende der 1980er-Jahre wird sie gründlich überholt und klingt heute schöner als je zuvor. Außerdem hat sie seit 1950 zwei neue Schwestern. Die tragen indes keine katholischen Inschriften, sondern bilden mit Luther- und Calvin-Zitaten den ökumenischen Dreiklang im Selterser Glockenturm.
„Die Marienglocke – das sind 200 Kilogramm Bronze mit Durchhaltewillen“, sagt Eckhard Schneider, der Mitglied im Vorstand der Kirchengemeinde ist und für den die Glocke viel bedeutet. „Für mich ist sie ein Musikinstrument, dessen facettenreicher Klang durch nichts zu ersetzen ist. Deshalb freut es mich so, dass sie immer wieder dem Schmelzofen entgangen ist und noch heute in Selters läutet.“
Und auch für Pfarrer Winfried Wehrmann ist nicht nur die Geschichte der Glocke aller Ehren wert: Er schätzt die „alte Dame“ als eine Erinnerung daran, dass alles seine Zeit hat: „Ihr Elf-Uhr-Geläut ist immer eine schöne Orientierung, wenn ich morgens am Schreibtisch sitze. Und wenn sie sonntags um 10 vor 10 läutet, weiß ich, dass ich mich sputen muss“, sagt er lächelnd. „Unsere Marienglocke bringt uns also in Bewegung und lädt uns auch zum Innehalten ein. Und das schon seit 550 Jahren.“ (bon)



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Am 9. November widmet sich der Samstagabendgottesdienst unter Mitwirkung von Singkreis, der Sopranistin Simone Kaupp und Trompeter Eckhard Schneider der bewegten Geschichte der Glocke. Beginn ist 18 Uhr.


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