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Nachricht vom 05.07.2014    

Eine Israel-Reise mit Folgen

Ein Buch würdigt Charlotte Petersen zum 110. Geburtstag. Noch gibt es Menschen, die sich an die zierliche alte Dame im grünen Lodenmantel erinnern können: Die Journalistin Charlotte Petersen (1904 bis 1994), gebürtig aus Niederschelden (Kreis Siegen), zog 1920 nach Dillenburg und wäre in diesen Tagen 110 Jahre alt geworden.

Charlotte_Petersen:
Die Journalistin und Schriftleiterin der Kirchenzeitung UNSER WEG in Nord-Nassau hat mit einem Bericht über die Begegnung in Haifa mit KZ-Überlebenden den Startschuss für das gleichnamige Hilfswerk gegeben. Charlotte Petersen schrieb auf ihrer Schreibmaschine viele tausend Bittbriefe, um den Häftlingen wenigstens eine kleine Rente zu sichern.
Fotos: Becker-von Wolff

Bad Marienberg. Die Ehrenbürgerin der Stadt Dillenburg war eine bescheidene Person. Und doch hat die kleine unscheinbare Frau Großartiges geleistet für die Deutsch-Jüdische Verständigung in den Nachkriegsjahren. Bundespräsident Gustav Heinemann bezeichnete sie einst als „die größte Bettlerin des Jahrhunderts“.

Im Buch „Die größte Bettlerin des Jahrhunderts“ von Gerhard Zimmermann (erschienen im Verlag Albrecht Thielmann ISBN 978-3-9813197-3-6) ist ihr Engagement für Versöhnung und Wiedergutmachung nach dem Zweiten Weltkrieg dokumentiert. Es verdichtet sich in den Jahren 1959 bis 1994 in ihrem Kampf für die Überlebenden des KZ Wapniarka in Rumänien. In diesem Lager sind die Häftlinge mit Lathyrus-Gift gequält worden. Das bittere Gift aus einer Erbsenfrucht wurde dem Essen beigegeben und sorgte für schwere Darmstörungen, Erschöpfung, Bluthochdruck, Sehstörungen, Lähmungserscheinungen, Schäden an der Wirbelsäule sowie Brand an Zehen und Füßen. Oft waren Sepsis und Tod die Folgen. Überlebende litten an den Schädigungen.

Unterstützt von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und der Buber-Rosenzweig-Stiftung Bad Nauheim hat Pfarrer i.R. Gerhard Zimmermann, ein Wegefährte, das Buch ins Rollen gebracht. Der frühere Gemeindepfarrer in Rennerod im Westerwald und spätere Dekan im Evangelischen Dekanat Bad Marienberg stellte es im Rahmen einer Feierstunde im Dillenburger Rathaus der Öffentlichkeit vor: Es ist durch und durch eine spannende Geschichte von einer Protestantin aus gutem Hause, die schon in jungen Jahren der allgemeinen Massenhysterie widerstand und sich während des Nazi-Regimes dem Kreis der Bekennenden Kirche anschloss. Das Erleben damals zwang Charlotte Petersen zum Handeln in den Nachkriegsjahren. Mit Beharrlichkeit und Engagement hat die sich die leicht nach vorne gebeugte Frau mit dem Dutt im Haar für die ehemaligen Häftlinge aus dem KZ Wapniarka eingesetzt. Und das zu einer Zeit, in der die junge Republik sich schwer tat mit Entschädigungszahlungen an jüdische Familien. Für die Überlebenden und die Opfer des Konzentrationslagers in Rumänien fühlte sich die deutsche Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer juristisch nicht verantwortlich. Erst auf Druck der USA wurden am 10. September 1952 im Luxemburger Abkommen Israel hohe Entschädigungszahlungen zugesichert. Aber auch damit blieben die Überlebenden von Wapniarka von der deutschen Hilfe ausgeschlossen.

Dass erst jetzt die 130seitige Dokumentation zum 20. Todestag von Charlotte Petersen erschienen ist, mag angesichts ihrer Geschichte verwundern: Alles beginnt mit der unverhofften Möglichkeit, 1958 mit einer Delegation evangelischer Frauen nach Israel – zehn Jahre nach Staatsgründung - zu reisen. Charlotte Petersen trifft dort auf Hilda Heinemann, der Frau des späteren Bundespräsidenten. Beides sind Ausgangspunkte, die Charlotte Petersen zum Aufbau eines großen Hilfswerks führen. „Es war Charlotte Petersens stiller Wunsch in Israel eine Möglichkeit zu finden, ein wenig von der deutschen Schuld abzutragen“, sagt Gerhard Zimmermann. Die Frauen hören in Israel zum ersten Mal vom Schicksal ehemaliger Häftlinge aus Wapniarka. Zurück in Deutschland waren sich Hilda Heinemann und Charlotte Petersen einig, den Überlebenden aus Wapniarka helfen zu wollen.
Charlotte Petersen, die damalige Schriftleiterin der Kirchenzeitung „Unser Weg“ in Nord-Nassau (Herausgeber war Propst Karl Herbert, der später Oberkirchenrat in der Kirchenverwaltung Darmstadt wurde), hat mit einem Bericht über die Begegnung in Haifa mit KZ-Überlebenden den Startschuss für das gleichnamige Hilfswerk gegeben. Weitere Berichte folgten. Viele hundert Vorträge in evangelischen Frauengruppen, Kirchengemeinden und anderen gesellschaftlichen Kreisen hat Charlotte Petersen gehalten. Bundesweit entstehen Freundeskreise, die mit Patenschaften das Hilfswerk unterstützen. Mit Lichtbildern von ihren weiteren Israel-Reisen berichtete sie in den Kreisen, von den Aufbrüchen im „gelobten Land“ und dem neuen Leben der KZ-Überlebenden. Sie schrieb auf ihrer Schreibmaschine viele tausend Bittbriefe, um den ehemaligen Häftlingen wenigstens eine kleine Rente zu sichern. Dieses Engagement wurde zu ihrer Lebensaufgabe, wie die Zeitzeugen im Buch berichten. Etliche Fotos runden die Dokumentation ab. Ein lesenswertes Buch ist es allemal.



Bis zu ihrem Tod am 1. August 1994 hat Charlotte Petersen über 18 Millionen Deutsche Mark für das Wapniarka-Hilfswerk sammeln können. Für ihr Engagement wurde Charlotte Petersen 1990 mit der „Buber-Rosenzweig-Medaille“ ausgezeichnet.

Ihr grüner Mantel, der Fotoapparat und die Schreibmaschine sind noch heute in einer Vitrine der Dillenburger Stadthalle zu sehen. Ein Tagungsraum trägt dort ihren Namen. Das Buch kann helfen, das Andenken an ihr Leben und Wirken in Erinnerung zu behalten. Im Vorwort schreibt Günter Bernd Ginzel, jüdischer Journalist und Publizist, aus Köln: „Möge es Ansporn und Ermutigung sein, für eine gute eine gerechtere und eine friedlichere Welt einzutreten“.


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