Pfarrer sprach schonungslos über Situation der Flüchtlinge
Peter Oldenbruch hielt einen beeindruckenden Vortrag in der Selterser Moschee. Ein Foto, das mehrere Menschen unterschiedlicher Nationalitäten vereint in einer himmlischen Hand zeigt: Pfarrer Peter Oldenbruch hätte wahrscheinlich kein besseres Motiv für seinen Vortrag über die Situation der Flüchtlinge wählen können.
Selters. Das Bild, das der Flüchtlingsseelsorger jedem seiner mehr als 50 Zuhörer in die Hand drückt, ist aus der Vogelperspektive aufgenommen und zeigt sozusagen Gottes Sicht der Dinge. Die irdische Situation, wie sie Oldenbruch einen Abend lang darstellt, wirkt wie ein Zerrbild der himmlischen Szene: Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, unüberwindbare Grenzzäune, undurchsichtige Hackordnungen in überfüllten Flüchtlingsheimen.
Das Bild, das Oldenbruch nach den Begrüßungsworten des Stellvertretenden Dekans Wilfried Steinke und des Vertreters der Türkisch-Islamischen Gemeinde, Veysel Oral, austeilt, ist eine fotografische Interpretation der diesjährigen Jahreslosung; des biblischen Leitverses von 2015: „Nehmt einander an, wie Christus Euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Der Satz aus dem Römerbrief zieht sich wie ein roter Faden durch Oldenbruchs Vortrag in der Selterser Moschee. Ein Idealbild davon, wie es sein sollte, aber nur selten der Fall ist. „Seien wir ehrlich: Wir wollen, dass sich andere in unser Schema einpassen. Tun sie das nicht, haben wir dafür kein Verständnis.“ Und da es bei der ganzen Diskussion seiner Meinung nach ohnehin um Emotionen geht, helfen auch keine moralischen Appelle. „Letztlich spielen die Gefühle eine Rolle: beim Rentner, der Angst hat, dass ihm die Ausländer das Geld wegnehmen. Bei den Pegida-Anhängern, die Angst vor der Islamisierung haben … vielleicht auch vor einer Frömmigkeit, die uns oft fehlt.“
Doch die Angst vor dem Fremden greift schon lange nicht mehr nur an den Stammtischen um sich. Sie scheint auch den Weg in die Gesetzesbücher gefunden zu haben, glaubt Oldenbruch: Er nennt Eckdaten einer Flüchtlingspolitik, die seiner Ansicht nach Probleme schafft, statt sie zu lösen. Ein Beispiel: die Drittstaatenregelung, die das Asylrecht in Deutschland quasi aushebelt. „Wer aus einem sogenannten sicheren Drittstaat kommt, hat kaum eine Chance, hierzubleiben. Menschen aus Ländern wie Serbien, dem Kosovo, Albanien oder Bosnien werden fast immer zurückgeschickt – in Länder, wo sie keine Zukunft haben.“
Noch schlimmer ist die Situation derer, die übers Mittelmeer nach Europa flüchten – besser gesagt: die es versuchen. Denn nach Ansicht Oldenbruchs ist es letztlich die EU selbst, die die Männer, Frauen und Kinder auf die See treibt. „2014 sind 130.000 Menschen übers Mittelmeer gekommen – mehr als doppelt so viele wie 2013. Die Militarisierung der EU-Außengrenzen zwingt sie dazu: Es werden unüberwindbare Grenzzäune hochgezogen, und es gibt keinen legalen Weg mehr, in die EU einzureisen.“ Schlimmer noch: Mit dem Scheitern der Aktion „Mare Nostrum“ werden in Seenot geratene Flüchtlinge künftig nicht mehr auf hoher See, sondern nur noch im küstennahen Bereich gerettet. „Deutschland war nicht bereit, sich an den Kosten für ,Mare Nostrum' zu beteiligen“, kritisiert der Inhaber der rheinland-pfälzischen Pfarrstelle für Flüchtlingsarbeit. „Wenn wir Leute im Mittelmeer absaufen lassen, verraten wir das Abendland und das Recht auf Leben.“
Bei aller Kritik: Die Lösung für die Flüchtlingsproblematik kennt auch Pfarrer Oldenbruch nicht. Natürlich nicht. Er kann nur die Fakten präsentieren. Und seine Gäste ermutigen, im Kleinen zu helfen – etwa wenn es darum geht, Kontakte zwischen Betroffenen und Einheimischen zu knüpfen. „Denken Sie über Begegnungscafés oder Interkulturelle Gärten nach. Sprechen Sie mit Sportvereinen, der Feuerwehr oder Chören.“ Denn letztlich ist jede Annäherung zwischen Deutschen und „Fremden“ gut – auch wenn manche Fälle von vorne herein aussichtslos sind. „Lassen Sie uns das Maß der Hilfe nicht davon abhängig machen, ob ein Asylverfahren Erfolg hat oder nicht. Es geht darum, für diese Menschen hier und jetzt da zu sein.“
Der Hausherr des Abends, die Türkisch-Islamische Gemeinde zu Selters, greift diesen Gedanken am Ende des Vortrags in beeindruckender Weise auf: „Wenn jemand die Hand reicht und Dich um Hilfe bittet, Du ihn aber erst nach seiner Religion, seiner Herkunft oder seiner politischen Einstellung fragst, dann willst Du ihm nicht wirklich helfen“, sagt der Imam der Gemeinde, Hüseyin Oğlakci. „Das Wichtigste ist, dass man denen hilft, die Hilfe brauchen.“ (bon)
Menschen, die sich für die Arbeit mit Flüchtlingen interessieren, können sich bei der Diakoniemitarbeiterin Swetlana Glück unter Telefon 02602/10698-73, oder per E-Mail s.glueck@diakonie-westerwald.de melden.
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