Ein beeindruckender Schlussakkord zum Abschied
13 Jahre lang war Tobias Martin Kantor im Dekanat Selters – er, der Ruhige mit dem feinen Gehör und der großen Liebe für Bach. Jetzt beendet der 40-Jährige seine Zeit im Westerwald mit einem Paukenschlag. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Am Samstag, 4. Juli, führt er Georg Friedrich Händels „Messias“ auf. Ein musikalisches Ausrufezeichen am Ende einer prägenden Lebensphase.
Selters. Händels Mammutwerk ist zweifelsohne das größte Projekt, dem sich Martin bisher gewidmet hat. Er wird zwei der insgesamt drei Teile des 1741 entstandenen Oratoriums interpretieren – und zwar streng nach barocken Vorgaben. Denn Tobias Martin folgt der historischen Aufführungspraxis. Das bedeutet dass der „Messias“ auf historischen Instrumenten gespielt und sich in der Artikulation an der barocken Schule orientiert. „Diese Instrumente haben eine ganz eigene Klangfarbe: Im Gegensatz zu einer modernen Violine wirkt eine historische eher schlanker, zurückhaltender“, sagt Tobias Martin. „Und die Vokalisten gestalten lange gehaltene Töne ganz anders aus, als es heute üblich ist.“
Mit den Vokalisten meint Tobias Martin die Sängerinnen und Sänger der Kantorei Höhr-Grenzhausen – ein Ensemble, das er schon 2002 aus der Taufe gehoben hat. „Ich bin froh, dass ich die Möglichkeit hatte, die Kantorei nicht nur zu gründen, sondern mit ihr an einer eigenen musikalischen Handschrift zu arbeiten“, erzählt er. „Im Chor habe ich immer sehr viel Wert auf Stimmbildung gelegt: Mein Ziel war es, dass sich jede einzelne Stimme weiterentwickelt.“ Allerdings hat er die Sängerinnen und Sänger nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich geprägt: „Mir ist es eben ein Anliegen, durch die Musik auch meinen christlichen Glauben weiterzugeben. Damit habe ich nie hinter dem Berg gehalten“, sagt er.
Die Kantorei ist freilich nicht das einzige Projekt, das Tobias Martin in den vergangenen 13 Jahren gegründet hat: Es gibt eine Kinderkantorei und das Ensemble „Spirit Sounds“; einen Dekanats-Chor, der sich vor allem Gospels und Spirituals widmet. „Darüber hinaus habe ich Orgelunterricht gegeben und viele meiner Schülerinnen und Schüler auf die D-Prüfung vorbereitet“, erzählt er.
Im Fokus seiner Zeit im Westerwald stand allerdings immer die Kirchengemeinde Höhr-Grenzhausen. Behauptet man, dass er in ihr die Hälfte seiner Arbeitszeit absolvierte, wäre das zwar korrekt, würde aber seinem Verhältnis zur Kannebäckerstadt nicht gerecht werden. „Die Region und die Kirchengemeinde sind mir zur Heimat geworden“, sagt er. „Die Menschen haben mich hier unglaublich nett und offen empfangen und mir den Wechsel von der Hochschule ins Berufsleben damals sehr leicht gemacht. Ich bin dankbar für die Freundlichkeit, die Freundschaften und den Freiraum, den ich hier hatte. Und für die Wertschätzung, die die Gemeinde der Musik und mir entgegen gebracht hat.“
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Seinen Nachfolger erwartet in Höhr-Grenzhausen also ein gut bestelltes Feld. Nicht nur wegen des hohen musikalischen Niveaus, das Tobias Martin dort etablieren konnte. „Die Kirchengemeinde hat im Laufe der Jahre in eine umfangreiche Notenbibliothek, eine transportable Truhenorgel, einen Flügel und weitere Instrumente investiert. Die Voraussetzungen sind also ideal“, sagt er lächelnd.
Tobias Martin kann dem Westerwald also ganz entspannt Adieu sagen und sich von nun an auf seine neue Aufgabe konzentrieren, die ihn in die Pfalz führt: Er ist der künftige Bezirkskantor in Ludwigshafen. Eine besondere Herausforderung für den gebürtigen Dresdner: „Die Ludwigshafener erwarten nicht nur ein Oratorium in zwei Jahren, sondern ein bis zwei Oratorien in einem Jahr von mir“, sagt er. „Darüber hinaus kümmere ich mich mit einem Teil meiner Stelle um die Leitung des Landeskirchlichen C- und D-Seminars. Die Messlatte liegt also hoch, aber ich freue mich auf die neue Tätigkeit.“
Doch die Vorfreude auf sein Abschiedskonzert im Westerwald am 4. Juli ist derzeit fast noch größer. „Der Messias’ ist meine Art, den Menschen der Region von Herzen Danke zu sagen“, sagt er vor dem Auftritt am 4. Juli – den er übrigens ohne sein Markenzeichen bestreiten wird. Denn seine typische Fliege ist leider schon in Ludwigshafen angekommen. (bon)
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