Westerwälder Kantoren wünschen sich mehr Nachwuchs
Gemeinden brauchen Organisten – Dekanate bieten günstigen und qualifizierten Unterricht. Kirchenmusik verdient größere Wertschätzung. Bei Jugendlichen unbeliebt: Sonntagmorgen ist als Gottesdiensttermin fix und die Kirche oft kalt. Orgel ist ein ganzes Orchester mit einem einzigartigen Klangvolumen.
Westerwaldkreis. Schon wieder sitzt Katrin Kleck über der langen Liste und grübelt, wie sie die vielen offenen Lücken hinter den Datumsangaben gefüllt bekommt. Jeder Termin steht für einen Gottesdienst in Herschbach oder Rückeroth, und ihr Job ist es, die musikalische Begleitung für den jeweiligen Tag zu organisieren. „Aber das ist seit einigen Jahren gar nicht so einfach“, sagt die Herschbacher Gemeindeleiterin, die auch Sekretärin in der Rückerother Kirchengemeinde ist. „Denn zurzeit teilen sich nur drei Musiker die Dienste in zwei Gemeinden, und nur einer der drei ist fest angestellt.“ Mit anderen Worten: Die Auswahl an Musikern für die klangliche Gestaltung der Gottesdienste ist dünn und führt sogar dazu, dass Katrin Kleck manchmal selbst in die Tasten greifen muss, wenn sich partout kein Organist oder Pianist für den Sonntag finden lässt. Zudem ist die Situation in Herschbach und Rückeroth kein Einzelfall: Die Kantoren der Westerwälder Dekanate, Jens Schawaller und Christoph Rethmeier kennen das Problem des mangelnden Nachwuchses auf den Orgelbänken. Laufen der Königin der Instrumente etwa die Untertanen davon?
Nein – noch sind der Orgel viele Gefolgsleute treu ergeben. Im Dekanat Selters leisten rund 40 Männer, Frauen und Jugendliche musikalischen Dienst in den 17 Gemeinden, im Dekanat Bad Marienberg sind es rund 60 Personen in 16 Gemeinden. Trotzdem sind diese Zahlen für Jens Schawaller kein Anlass für Euphorie: „Was die musikalische Besetzung der Musikdienste angeht, bewegen wir uns an der unteren Grenze. Viele Kirchen geraten in Schwierigkeiten, wenn plötzlich ihre treue Orgelkraft ausfällt, und es gibt schlichtweg zu wenig Nachwuchs“, sagt der Dekanatskantor und glaubt zu wissen, wo das Problem liegt: „Die Arbeitszeiten und der Aufwand sind gerade für Jugendliche unattraktiv, und die Kirchenmusik verdient insgesamt eine größere Wertschätzung als bisher.“
Zumindest an den ersten beiden Punkten ändert sich nichts: Der Sonntagmorgen ist als Gottesdiensttermin fix und wird es wohl auch bleiben. „Und um dieses Instrument zu erlernen, muss man sich bei Wind und Wetter in die Kirche aufmachen, in der es im Winter auch mal ziemlich kalt sein kann“, sagt Schawaller.
Ein Aufwand, der gewürdigt werden muss, finden die Kantoren: „Es geht darum, den Organistinnen und Organisten Wertschätzung entgegenzubringen für das, was sie tun“, unterstreicht Rethmeier. „Das beginnt damit, dass sie aktiv in die Planungen des Gottesdienstes mit einbezogen werden, zumindest aber rechtzeitig die Lieder bekommen, die gespielt werden sollen. Und die Kirchenmusiker müssen für ihren Dienst vernünftig honoriert werden. Schließlich sind die Organisten während des Gottesdienstes das Gegenüber des Pfarrers.“
Zurzeit erhält ein nebenamtlich tätiger Musiker rund 35 Euro pro Gottesdienst. Kann er eine abgeschlossene C- oder D-Prüfung vorweisen, ist es etwas mehr. Doch die Wertschätzung, von der die Kantoren sprechen, betrifft nicht nur die Menschen, die auf der Orgelbank sitzen – sie betrifft auch die Instrumente selbst. „In den Westerwälder Dekanaten gibt es viele historisch bedeutende Orgeln“, sagt Jens Schawaller. „Es muss selbstverständlich werden, diese Kunstwerke regelmäßig zu pflegen und zu erhalten.“
Denn die Orgel ist für die Kantoren nicht bloß ein Instrument – sie ist ein ganzes Orchester mit einem einzigartigen Klangvolumen. Und eben dieser Klang ist nach Meinung Rethmeiers und Schawallers die beste Werbung für die Kirchenmusik, die man sich vorstellen kann. „Ich habe es oft erlebt, dass Menschen mit offenem Mund vor den Pfeifen stehen und kaum glauben können, mit welcher Fülle sich der Klang der Orgel im Kirchenraum ausbreitet“, sagt Christoph Rethmeier. „Das ist emotional kaum zu beschreiben. Und wenn man dann noch selbst der Dirigent dieses Orchesters ist und der Boden zu vibrieren beginnt, ist das sehr ergreifend.“
Hinzu kommt, dass die Orgel für jeden Musikinteressierten eine gute Schule ist. Denn im Unterricht lernen die angehenden Kirchenmusiker nicht nur Grundlagen der Harmonielehre (die für fast jedes Instrument wichtig sind), sondern unternehmen auch einen Streifzug durch mehrere Jahrhunderte Musikgeschichte. „Man kommt im Orgelunterricht epochal unheimlich rum: von der Moderne bis zurück in die frühe Barockzeit oder sogar noch weiter in die Vergangenheit“, sagt Jens Schawaller.
Was den Orgelunterricht selbst angeht, sind die Voraussetzungen in den Evangelischen Dekanaten ideal: Die Kantoren bieten hochqualifizierten Unterricht an, in dem sie ihre Schützlinge mit der Königin der Instrumente vertraut machen. Die Kosten: überschaubar. Denn beide Dekanate subventionieren die Stunden, sodass der Schüler nur noch rund 13 Euro für 45 Minuten zahlt. „Im Unterricht führen wir die künftigen Organisten dann ganz behutsam an ihren ersten Gottesdienst heran“, erklärt Jens Schawaller. Behutsam heißt: Zunächst sitzt der Schüler mit auf der Bank und schaut seinem Lehrer über die Schulter. Dann spielt er oder sie ein einzelnes Gemeindelied, bevor schließlich der erste „eigene“ Gottesdienst ansteht.
Das alles geschieht in aller Ruhe. Schließlich sollen die jungen Musikerinnen und Musiker motiviert bleiben – und durchhalten: „Natürlich ist es anstrengend, im Winter in einer kalten Kirche zu üben“, sagt Christoph Rethmeier. „Aber diejenigen, die für die Königin der Instrumente brennen, nehmen das in Kauf. Denn das Gefühl, einen riesigen Raum mit majestätischem Klang zu erfüllen, ist unvergleichlich.“ (bon)
Wer Lust auf die Orgel bekommen hat und sich vorstellen kann, dieses Instrument selbst zu erlernen, kann sich bei den Kantoren der Dekanate Selters und Bad Marienberg, Jens Schawaller (Telefon 02602/994810) und Christoph Rethmeier (Telefon 02663/2959981) melden. Weitere Infos auf www.evangelischimwesterwald.de.
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